Sherko Fatah

Ein weißes Land

Roman
Cover: Ein weißes Land
Luchterhand Literaturverlag, München 2011
ISBN 9783630873718
Gebunden, 478 Seiten, 21,90 EUR

Klappentext

Bagdad in den 1930er Jahren. Der junge Araber Anwar versteht nichts von den politischen Wirren seiner Zeit. Er träumt von schönen Häusern, von fernen Reisen und vielleicht ein bisschen von der Schwester seines jüdischen Freundes. Er träumt davon, ein "Jemand" zu werden. Doch dann gerät er mit Ausbruch des Zweiten Weltkriegs unter den Einfluss der "Schwarzhemden", der faschistischen Jugendorganisation im Irak. Ein bitter wahres Märchen nimmt seinen Lauf, ein Abenteuerroman mitten durch die Katastrophen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 12.01.2012

Thomas E. Schmidt hat aus dem jüngsten Roman von Sherko Fatah eine Menge gelernt, wie er anerkennend schreibt. Es handelt sich dabei um die resignierte Lebensbeichte eines Iraker Gassenjungen, der sich als gewissenloser Opportunist zum Diener verschiedener Herren macht und schließlich als Handlanger des Großmuftis in der Ostturkmenischen Division der Waffen-SS dient, erfahren wir. Der Berliner Autor mit irakischen Wurzeln blickt in ein dunkles, wenig bekanntes historisches Kapitel des 20. Jahrhunderts, zeichnet ein faszinierendes Bild vom alten Bagdad der 30er Jahre und hat auch keine Angst, die Vorgeschichte des Konflikts zwischen Arabern und Juden, der in seinem Roman ebenfalls eine wichtige Rolle spielt, aufzugreifen, lobt der Rezensent. Dass bei den Kriegserlebnissen seines Protagonisten mitunter "Landser-Atmosphäre" aufkommt, missfällt Schmidt zwar, sieht er aber der interessanten Erzählperspektive der so gar nicht zur Identifikation einladenden Hauptfigur geschuldet. Für den Rezensenten ist Fatah ein herausragender Erzähler, der sich durch einen "gewieften Erzählrealismus" auszeichnet, wie er beeindruckt schreibt.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 11.01.2012

Zum Schluss ist Katharina Granzin richtig verärgert, ganz offensichtlich hat ihr Sherko Fatahs Roman nicht gefallen, der die unwahrscheinlichen Abenteuer eines Irakers aus armer Familie erzählt. Diesen katapultieren die Weltläufte von Bagdad aus zum Großmufti nach Jerusalem und von dort ins "ostturkestanische Regiment" der Waffen-SS. Doch weder die Orte noch die Personen findet Rezensentin Granzin glaubwürdig, Bagdad bleibt ihr zu blass, Berlin ist ihr zu explizit, die Figuren findet sie ganz und gar konturlos, abgesehen von den Nazi-Flittchen und den Nazi-Krankenschwestern. Hier erkennt sie auf "sexistischen Mist", vielleicht sogar auch "rassistischen Mist".

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22.10.2011

Mit gemischten Gefühlen hat Rezensentin Lena Bopp Sherko Fatahs neuen Roman "Ein weißes Land" gelesen. Das liegt einerseits an Fatahs emotional sowie intellektuell ungebildetem Protagonisten Anwar, den Bopp zwar mit Mitleid, aber auch mit Wut  über seine Unfähigkeit, die richtigen Entscheidungen zu treffen, durch das Bagdad der Zwanziger und Dreißiger Jahre begleitet. Wenn dieser schließlich mit den Hilfstruppen der Waffen-SS gegen russische und polnische Partisanen kämpft, erfährt die Kritikerin viel über die Beziehungen zwischen dem irakischen Bestreben nach Unabhängigkeit vom Britischen Empire und den Hoffnungen, die einige Iraker in den deutschen Nationalsozialismus setzten. Die starken Bilder, die der Autor hier für den Schrecken finde, kann die Rezensentin nur loben, leider muss sie aber auch gestehen, dass Fatah seinem umfangreichen Irak-Epos schließlich doch etwas zu viel Last aufbürdet.
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Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 11.10.2011

Bagdad als Handlungsort hat Karl-Markus Gauß in der deutschsprachigen Literatur nicht nur bei Karl May, sondern auch bei jüngeren Autoren ausgemacht. Der Roman des 1964 als Sohn eines irakischen Kurden und einer deutschen Mutter in Ost-Berlin geborenen Sherko Fatah erzählt von der unheiligen Allianz des gerade aus dem Osmanischen Reich hervorgegangenen Irak mit den Nationalsozialisten, lässt der Rezensent wissen. Der Autor schildert den Werdegang des aus ärmsten Verhältnissen in Bagdad stammenden Anwar, der zunächst nach Berlin und dann unter islamistischen und nationalsozialistischen Herren ins Osteuropa des Zweiten Weltkriegs gerät und sogar die jüdischen Freunde seiner Jugend verrät. Der Roman stützt sich auf historische Fakten und ist genau recherchiert, muss sein historisches Wissen aber nirgends referieren, sondern bindet es ungeheuer geschickt in die Handlung und die Dialoge des Romans ein, preist Gauß. Ebenso bewundernswert findet er, wie es Fatah gelingt, aus der Ich-Perspektive des Aufsteigers Anwar zu erzählen und die Leser dennoch nicht zu Komplizen seiner Untaten werden zu lassen. Nur wenn der Protagonist quasi durchs "Schlüsselloch" die Mächtigen belauscht, entsteht für den Rezensenten so etwas wie die "unangenehme Atmosphäre von Traulichkeit im Grauen", das bleibt allerdings sein einziger Kritikpunkt an diesem in seinen Augen lobenswerten Roman.
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