Kiran Desai

Erbin des verlorenen Landes

Roman
Cover: Erbin des verlorenen Landes
Berlin Verlag, Berlin 2006
ISBN 9783827006837
Gebunden, 429 Seiten, 19,90 EUR

Klappentext

Aus dem Englischen von Robin Detje. Indien Mitte der 80-er Jahre: Auf einer verwunschenen Sturmhöhe an den Hängen des Himalaja erlebt die 16-jährige Sai inmitten der Unwetter des Monsuns ihre erste Liebe. Als Aufständische das Anwesen überfallen, auf dem sie lebt, gerät ihre Welt aus den Fugen. Vor dem historischen Hintergrund des indischen Ghurka-Aufstandes zeichnet die Autorin das faszinierende Psychogramm einer aufstrebenden Weltmacht. Aus einer fein gesponnenen kleinen Geschichte wächst eine große Erzählung vom Fremdsein daheim und in der Fremde.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 18.10.2006

Kiran Desais postkolonialistischer Roman hat Manuel Gogos begeistert. Desai beschreibt, wie sich junge Inder auf verschiedene Weise vor der deprimierenden Realität flüchten, berichtet er: Die siebzehnjährige Sai liest romantische Literatur, träumt von Bollywoodglück und verliebt sich in ihren Mathematiklehrer. Dieser sucht im Nationalismus einen Ausweg und schließt sich nepalesischen Rebellen an. Biju schließlich lebt als Illegaler in den USA und versucht, sein prekäres Leben den Daheimgebliebenen als Erfolgsgeschichte darzustellen. Allesamt sind sie "von ihrer Begegnung mit dem Westen verwundet", weiß der Rezensent. Dabei stelle Desai ihre globalisierungskritische Botschaft jedoch im Zweifelsfall hinter literarische Ansprüche zurück, und behandle ihre Figuren mit "einem großzügigen, kosmopolitischen, menschenfreundlichen Humor, der alle Säure der Kritik bindet". Nach der Lektüre bleibt dem Rezensenten kein Zweifel an der literarischen Begabung und dem intellektuellen Format der Autorin.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 11.10.2006

Rezensent Martin Zähringer ist schwer beeindruckt sowohl von den schriftstellerischen Fähigkeiten der Autorin als auch vom Thema des Romans. Kiran Desai habe gleich zwei unbekannte Handlungsorte gewählt, um von dem zu erzählen, was aus Sicht des Rezensenten im englischen Originaltitel als Nebenbedeutung angesprochen werde: die ideologische Unterwerfung Indiens, die nach der kolonialen erfolgt sei. Held dieser negativen Mimikry sei ein Richter, der in der abgelegenen Stadt Kalimpong lebe, zusammen mit einem Koch und einer siebzehnjährigen Enkelin. Über den Liebhaber der Enkelin mache die Autorin den Leser mit einer im Westen nahezu unbekannten revolutionären Freiheitsbewegung bekannt, deren Bekämpfung zum Teil "drastisch" dargestellt wird. Der zweite Handlungsort sind New Yorker Kellerküchen, in denen neben dem Sohn des Kochs aus Kalimpong viele indische Hilfskräfte arbeiteten. Für die Figuren beider Handlungsstränge gäbe es im Roman keine Lösung oder eine Besserung der Situation. Kiran Desais stilistische Fertigkeiten hingegen vergleicht der Rezensent mit einer gelungenen Kletterpartie in "unwegsamem Gelände".

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 04.10.2006

Ingeborg Harms hat sich den Turbulenzen dieses Romans aus der nordindischen Provinz von Kiran Desai gern hingegeben. Das von Harms trotz aller Vielfarbigkeit des Buches erkannte Thema einer sich aufgrund des Wunsches nach Würde entwickelnden Zwietracht sieht sie mit einem "schwungvollen Fatalismus" in Szene gesetzt. Das schafft Vitalität, verteidigt Harms diese Schreibhaltung und weist auf die Schönheit des solcherart geschilderten zivilen, höchst brüchigen Lebens hin. Desais Sprache findet die Rezensentin unamerikanisch, weil auch das Obszöne darin Platz hat und die Albernheit. Noch im exklamativen Baby-Talk entdeckt sie die "Babelsprache" der Migranten, um die es in diesem Buch auch geht. Im Mittelpunkt indessen scheint ein "herrenloses" Indien zu stehen, die Rezensentin jedenfalls vermag sich in keine von Desais Figuren einzufühlen. Ein Grund für Harms, von einem "Gegenbuch zur nostalgischen Kolonialliteratur" zu sprechen.
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Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 04.10.2006

Bei Kiran Desai hat man es mit einer europäisch geprägten, heute in Indien, England und den USA lebenden Autorin zu tun, teilt Wolfgang Schreiber mit, der damit erklärt sieht, dass in diesem Roman "indische Folklore" so gut wie keinen Platz hat. Das Buch dreht sich um die junge, verliebte Sai, ihren verbitterten Großvater und einen Koch, in deren abgelegenes, heruntergekommenes Anwesen nepalesische Terroristen eindringen, erklärt der Rezensent. Schreiber ist von der kunstvollen Komposition des Romans, der in Bruchstücken und Fragmenten ein buntes "Kaleidoskop" entwirft, begeistert. Er fühlt sich, wenn auch im "Kleinformat", an die "Jahrestage" von Uwe Johnson erinnert. Ihm imponiert der empathische Blick der Erzählerin auf ihre Figuren und Schauplätze, und er ist vom Reichtum der Bilder beeindruckt, wobei er auch nicht vergisst, auf die "ausgezeichnete" Übersetzung von Robin Detje hinzuweisen. Schreiber räumt ein, dass der politische Hintergrund in dieser Geschichte etwas schlicht ausgefallen ist, trotzdem lässt sich der begeisterte Rezensent ganz von der Fülle der Begebenheiten, Schauplätze und Charaktere in den Bann schlagen.
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Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 04.10.2006

Eine starke Resignation spürt Susanne Messmer aus Kiran Desais parallel montierten Geschichten von einem jungen indischen Ehepaar in der Provinz und einem indischen Immigranten, der sich in New York durchzuschlagen versucht. Der Glaube an das Gelingen des Multikulturalismus und auch die optimistischen Prognosen für das "postkoloniale Subjekt, wie man sie bis vor kurzem auch von Salman Rushdie kannte, hat ausgedient. Zur Qualität des Buches sagt Messmer leider nichts, allein zur Atmosphäre macht sie einige Anmerkungen. Negatives ist ihr nicht aufgefallen.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 28.09.2006

Rezensent Ulrich Greiner mochte dieses Buch, an dem ihn besonders das unzerstörte Urvertrauen in die "Kraft der Bilder" beeindruckt hat. Kiran Desais "Panorama bunter Schicksale" aus einem vielgestaltigen Indien erinnert ihn in an einen "Teppich im Stil traditioneller Webkunst", wiewohl man hinter diesem Begriff deutliches Misstrauen des an der europäischen Moderne geschulten Kritikers gegen den "beschreibenden, bannenden Zugriff" dieser Autorin spüren kann. Die "kunst- und wirkungsvolle" Art, mit der Desai schließlich seine Aufmerksamkeit auf Empfindungen und Erfahrungen der drei wichtigsten Protagonisten des Buches zu lenken versteht, nehmen ihn am Ende doch uneingeschränkt für das Werk ein, das ihm ein "reiches, vielfarbiges Bild" des heutigen Indien und seiner Widersprüche bot. Übersetzer Robin Detje wird ebenfalls gelobt.