Jachym Topol

Nachtarbeit

Roman
Cover: Nachtarbeit
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2003
ISBN 9783518414774
Gebunden, 314 Seiten, 22,90 EUR

Klappentext

Aus dem Tschechischen von Eva Profousova und Beate Smandek. Als die Panzer im August 1968 in Prag einrücken, werden der dreizehnjährige Ondra und sein kleiner Bruder Kamil vom Vater aufs Dorf geschickt. In der wilden, von Höhlen, Bunkern und verlassenenWeilern gezeichneten Landschaft unweit der polnischen und deutschen Grenze hat die Familie oft die Sommerferien verbracht. Hier hat Ondra sich im letzten Jahr verliebt, in Zuza, die Tochter des Gastwirts; sehnsüchtig-bang erwartet er das Wiedersehen. Doch die erste Liebe und die Abenteuerwelt der Heranwachsenden werden überschattet von rätselhaften Morden in der Gegend, aber auch von der Prager Geheimpolizei. Sie versucht über die Kinder an den Vater heranzukommen, dessen Erfindung, eine "Wettermaschine", für die Staatsmacht offenbar höchste Bedeutung besitzt ...

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 20.04.2004

Was es an phantastisch Skurrilem und zeitgeschichtlichem Schrecken aufzubieten gibt, scheint der junge tschechische Kultautor Jachym Topol in seinem Roman "Nachtarbeit" heranzuziehen. Zumindest deutet das Steffen Richter in seiner Rezension an. Ob da ein toter SS-Mann umgeht, ein Deserteur sich aufgehängt hat oder eine schöne Leich' durchs Wasser treibt, ob die Russen kommen oder ein Raumschiff - die Grenzen zwischen Science-Fiction-Groteske und historisch grundierter Gruselgeschichte scheinen überaus durchlässig: "Selbst banale Naturbeschreibungen sind metaphysisch aufgeladen." Die Verhältnisse in der Fiktion sind grundlegend verkehrt, Morbidität allerorten, erzählt Richter, auch "Denunziation und Verrat sind nicht weit". Das Dorf, in dem die makabren Ereignisse stattfinden, sei denn auch ein "Ort jenseits der historisch markierten Zeit", auch wenn die historische Zeit als 1968 ausgesprochen genau markiert wird. Allerdings will der Rezensent nicht so richtig auf den Punkt kommen - die Übersetzung sei vorzüglich, soviel immerhin erfahren wir. Und dass es richtig zur Sache geht. Und dass, wer Andrzej Stasiuk mag, auch bei Topol auf seine Kosten kommen werde. Soviel steht fest, und auch: "Manieristisch wirkt das nie."

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 26.02.2004

Höchst beeindruckt zeigt sich Eberhard Falcke angesichts des "großen Erinnerungsbuchs" über eine tschechische Kindheit aus der Feder von Jachym Topol. Die Geschichte der Brüder Ondra und Kamil, die "im Schatten des Eisernen Vorhangs" zur Zeit des Prager Frühlings aufwachsen, erinnert ihn in der Darstellungsweise an Elfriede Jelinek und Hans Lebert, in der "unvergesslichen" Bildhaftigkeit an Agota Kristofs "Großes Heft". Die besondere Würze liegt für den Rezensenten in der "hermetischen Atmosphäre", in der Topol seine jungen Helden einschließt, verbunden mit einem nüchternen, umgangssprachlichen Erzählstil "ohne Sentiment". Dem Jahr 1968 ist so eine "höchst eigentümliche poetische Interpretation gewidmet", findet Falcke.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 10.01.2004

In Erscheinung getreten ist der tschechische Autor Jachym Topol zunächst als junger Wilder, als zur Bändigung seiner Sprachlust und irrwitzigen Ideen kaum befähigter Schriftsteller, zwar "irre talentiert" wie Katharina Granzin meint, aber doch auch "anstrengend zu lesen". Mit seinem dritten Roman von 2001, jetzt ins Deutsche übersetzt, hat sich das geändert. Topol hat sich gemäßigt, schreibt kontrolliert, wenngleich nicht ohne Dunkelheit. Von der Stadt hat er sich aufs Land begeben, die Zeit ist die des Prager Frühlings und es geht am Beispiel der Brüder Onda und Kamil und ihrer Familie um die "Apokalypse des Privaten". Die genaue Situierung, räumlich wie zeitlich, verweigert der Autor freilich. Das ganze spielt in einem "Zwischenreich", denn an den drei Tagen, die die Handlung der Logik nach in Anspruch nehmen dürfte, wechseln, nicht realistisch, aber das eigentliche Geschehen kommentierend, die Jahreszeiten. Auch sonst schwankt das Geschehen, so Granzin, zwischen Metapher und Realismus. Nicht alles erschließe sich - dennoch aber, oder deshalb, nehme der in Richtung "episches Poem" tendierende Roman den Leser gefangen.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 07.01.2004

Christoph Bartmann überschlägt sich fast vor Begeisterung: Hätte Louis-Ferdinand Celine einen Jugendroman geschrieben, dann wäre vielleicht so ein Buch wie Jachym Topols "Nachtarbeit" herausgekommen, ein Abenteuerroman, der ebenso von Höhlen und kindlichen Versteckspielen handelt wie von dunkler Geschichte. Der Vergleich mit Celine drängt sich Bartmann auf, weil Topol die tschechische Literatursprache revolutioniert und eine Kunst-Umgangssprache in die Hochliteratur eingeführt hat. Wahre "Orgien der Mündlichkeit" erfuhr Bartmann bereits in den ersten beiden Romanen des 1962 geborenen Tschechen; in diesem - seinem bislang besten - Roman, jubelt Bartmann, blühe zwar die Sprache so wild wie eh und je, dafür sei aber die Handlung geradliniger erzählt. Großes Lob spricht der Rezensent im übrigen den beiden Übersetzerinnen aus! Der Roman spielt im Jahr 1968: zwei Brüder werden aufs böhmische Land verschickt, und während sie dort ihre ersten erotischen Erfahrungen machen, wühlt in "Nachtarbeit", so ja der Romantitel, die politische Vergangenheit im Riesengebirge weiter. In dem Buch stecke ebensoviel Apokalypse wie Räuberpistole, meint Bartmann, aber eben keiner beherrsche die Kunst des Dick-Auftragens so gut wie Topol.
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Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 07.10.2003

Einen "großen, wild wuchernden" Roman hat Jachym Topol mit "Nachtarbeit" geschaffen, urteilt Paul Jandl. Die Flucht zweier Kinder eines subversiven Wissenschaftlers vor der tschechischen Geheimpolizei im Jahr 1968 lasse Topol zu einer "allegorischen Versinnbildlichung" der tschechischen Geschichte werden. Die hellen Hoffnungen des politischen Frühlings gehen dabei auch auf der sinnlichen Ebene in die dunkle Verzweiflung der böhmischen Nacht über, wie der Rezensent erklärt. In einem "Kunstgriff" nehme der Autor abwechselnd die Perspektive der Kinder und des Geschichtlichen ein. Im Verlauf der Erzählung entfessele Topol einen "Mahlstrom des Moribunden", die Grenzen zwischen Toten und Lebenden werden immer verschwommener, die Episoden immer "phantastischer", die Sätze immer "elliptischer". Insgesamt ein Buch, dass "Kinder der Toten" von Elfriede Jelinek und "Die Wolfshaut" von Hans Lebert in nichts nachsteht, meint Jandl.
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