Helmut Krausser

Einsamkeit und Sex und Mitleid

Roman
Cover: Einsamkeit und Sex und Mitleid
DuMont Verlag, Köln 2009
ISBN 9783832180928
Gebunden, 240 Seiten, 19,95 EUR

Klappentext

Vincent ist Callboy, aber an Weihnachten sitzt er alleine in der Kneipe. Als die dichtmacht, lässt er sich zu Hause eine Badewanne ein. Beim Einsteigen wird er von einer Einbrecherin überrascht. Die beiden freunden sich an. Helmut Kraussers neuer Roman bringt zusammen, was nicht zusammengehört: Die unterschiedlichsten Menschen streifen durch Berlin, begegnen sich, kommen einander nah - immer auf der Suche nach dem Glück. Helmut Krausser verknüpft ihre Geschichten zu einem Netz, aus dem es kein Entkommen gibt. Ein Kind wird entführt, eine mitternächtliche Hochzeit improvisiert, ein Genickschuss erkauft, der Prophet Jesaja predigt auf dem Kreuzberg - und alles ist auf ungeahnte Weise miteinander verbunden. "Einsamkeit und Sex und Mitleid" spielt auf der Klaviatur des scheinbaren Zufalls.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 02.01.2010

Frank Schäfer mochte den neuen Roman von Helmut Krausser, wenn auch mit ziemlichen Abstrichen. Denn so sehr er in diesem Buch Kraussers Souveränität als Erzähler schätzt, beim Lesen immer wieder auch den Spaß spüren kann, den dieser Autor beim Entwerfen seiner Charaktere hatte - insgesamt haftet dem Buch aus Sicht des Kritikers etwas Unfertiges und oft auch Schematisches an. Allzu deutlich spüre man, dass Kraussers Figuren als Exempel für ein bundesdeutsches Panorama konzipiert sind. Auch die "Rollenprosa" der Dialoge klingt im Kritikerohr nicht immer überzeugend, was dem Roman insgesamt ein "akutes Glaubwürdigkeitsproblem" einhandelt, wie Schäfer meint, der immer wieder das Gefühl nicht los wird, einer "wenn auch dramaturgisch virtuosen" Fiktion aufzusitzen. Am besten könnte er sich das Buch noch als Berliner Version von Robert Altmans "Short Cuts" nach Raymond Carver, also verfilmt vorstellen.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27.11.2009

Rezensent Wolfgang Schneider würde nicht so weit gehen und Helmut Kraussers neuen Roman zum großen Wurf hochjubeln. Aber ausgesprochen unterhaltsam und voll treffender Pointen findet er ihn schon. Nach gewohnter Krausser-Manier handelt es sich um eine Berliner Soap mit pornografischen Anteilen und sympathischem Personal wie dem durchgeknallten, frühpensionierten Lateinlehrer, der in der Lebensmittelabteilung von Karstadt seinem Unmut über das eingeschränkte Chipsangebot in langen Tiraden Luft macht. Oder der Callboy, der in seiner Wohnung eine Einbrecherin vorfindet, die er gleich zu sich in die Badewanne einlädt, lässt der Rezensent uns wissen. Wegen der krassen Überzeichnungen und der mitten aus der Berliner Unterschicht stammenden, lebensechten Dialoge weiß man nicht immer sicher zu unterscheiden, "wo das Prekäre aufhört und der Trash beginnt", muss Schneider zugeben. Aber als großartige Hardcore-Komödie aus "Berlin-Sarrazin" kann der Rezensent für diesen Roman ohne Scheu eine Empfehlung aussprechen.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 13.11.2009

Kirsten Voigt winkt ab. Was Helmut Krausser in seiner Berlin-Farce "Einsamkeit und Sex und Mitleid" alles an Liebeslebenskonstellationen durchhechelt, sei der Lesemühe nicht wert. Immer wieder stieß die Rezensentin zwar auf Momente von "unerhörter Situationskomik", aber das Karussell an Pappfiguren, die Krausser hier an der Rezensentin vorbeiziehen ließ, konnte ihr keine wirkliche Freude bereiten: Vincent und Vivien, Minnie und Mahmud, Janine und Julia, Thomas und Uwe - sie alle führt ihr kompliziertes Sexleben in der Spelunke "Nachtmar" zusammen, mal lieben sie sich dort, mal schlagen sie sich. Eher dürftig findet sie den Mehrwert dieser Leküre: Berlin sei ein Dorf, in dem jeder nach seiner Facon selig werde.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 12.09.2009

Eine Spur zu großsprecherisch und selbstverliebt ist für den Geschmack von Rezensent Burkhard Müller der neue Roman von Helmut Krausser ausgefallen, auch wenn er ihm im Detail mitunter doch Manches abgewinnen kann. Vor allem die Komposition des Plots samt seiner Verwicklungen schildert er als ziemlich virtuos. Doch bereits im Titel, der die "deutsche Nationalhymne zum Privatblues travestiert", findet Müller das Thema des Romans etwas rührselig ausgestellt. Es geht, lesen wir, um einen Callboy aus Berlin-Kreuzberg, den Müller allerdings grundsätzlich eher unglaubwürdig findet, weil er den Intentionen des Autors zufolge offensichtlich etwas "cooler" ausfallen sollte, als es die realen Verhältnisse hergeben würden. Auch sonst stoßen die einzelnen Folgen des episodisch komponierten Romans dem Rezensenten mitunter sauer auf. "Ein bisschen wie Lindenstraße für Fortgeschrittene", murrt er.
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