Götz Aly

Volkes Stimme

Skepsis und Führervertrauen im Nationalsozialismus
Cover: Volkes Stimme
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2006
ISBN 9783596168811
Kartoniert, 224 Seiten, 12,95 EUR

Klappentext

Über die positive bzw. negative Stimmung der Deutschen während des Zweiten Weltkrieges ist bislang nur spekuliert worden. Da für die fragliche Zeit keine demoskopischen Untersuchungen vorliegen, wird in dem Buch anhand konkreter Indikatoren historische Demoskopie betrieben mit dem Ziel, das Politbarometer für die Jahre 1939 bis 1945 zu rekonstruieren. Das geschieht mithilfe von Texten in Todesanzeigen für gefallene Soldaten: Wurde "der Führer" genannt oder hieß es darin nur "... gefallen für Volk und Vaterland"? Ferner wurde ermittelt, wie oft die Deutschen die Vornamen Adolf, Horst und Hermann vergaben. Als Indikator für Skepsis bzw. Führervertrauen eignet sich außerdem die Statistik der Kirchenaustritte. Die vom Volksgerichtshof gegen arische Deutsche verhängten Todesurteile stehen exemplarisch für das Anwachsen des inneren Terrors. Und schließlich wird die Entwicklung der materiellen Situation am Zuwachs von Spareinlangen gemessen, an den Neuabschlüssen von Lebensversicherungen und an der Verpfändung von Wertstücken in städtischen Pfandhäusern.Diese Indikatoren erlauben es, tiefenscharfe Aussagen über die mentale und ökonomische Stimmung der Volksgenossen zu erhalten.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25.05.2007

Ziemlich beachtlich findet Rezensent Hans-Jürgen Döscher, was Götz Aly in diesem Buch zur politischen Stimmung im Nationalsozialismus feststellt. Die Ergebnisse weichen Döschers Ansicht nach derart von bisherigen Studien ab, dass er sie unbedingt bestätigt oder gegebenenfalls widerlegt sehen will, denn von der Hand weisen ließen sie sich nicht. Was Döscher an Alys Vorgehensweise überzeugt, ist, dass er sich nicht wie üblich auf die Stimmungsberichte verlässt, die SD oder Gestapo verfasst haben, denn schließlich wurden mit ihnen ein ideologisches und hierarchisches System bedient. Aly nehme indirekte Indikatoren: Namensgebung, Kirchenaustritte oder etwa Todesanzeigen. So zeige er, wie Döscher interessiert erklärt, dass Eltern ab 1939 ihre Kinder nicht mehr häufig Adolf, Horst oder Hermann genannt haben. Ebenfalls mit Kriegsbeginn gingen die Kirchenaustritte zurück, was Autor und Rezensent dahingehend bewerten, dass selbst unerschütterliche Parteigänger ihr Heil nicht allein dem NS-Regime anvertrauen wollten. Bei den Todesanzeigen schließlich wurde mit anhaltendem Krieg immer öfter auf die Ergebenheitsformel für "Führer, Volk und Vaterland" verzichtet. Damit, stellt Döscher fest, erhebt Aly wichtige Einwände gegen die bisher geltende Überzeugung, dass die schnellen Siege im Krieg gegen Polen und Frankreich die Begeisterung der Deutschen für den Nationalsozialismus gesteigert hätten.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 07.02.2007

Ungewöhnlich, aber aufschlussreich und spannend scheint Alexander Jürgs dieser Band über die Stimmungslage der deutschen Bevölkerung während des Nationalsozialismus, den Götz Aly herausgegeben hat. Der Ansatz des Bands, anhand indirekter alltäglicher Indikatoren ein verlässliches Bild von Skepsis gegenüber beziehunsgweise Vertrauen in den Führer zu zeichnen, hält er für "außerordentlich wertvoll", auch weil er der historischen Forschung neue Wege eröffnet. Bemerkenswert findet er etwa den Beitrag über die Beliebtheit des Namens Adolf, die seit Kriegsbeginn 1939 rapide abnahm. Daneben hebt er die Untersuchung von Todesanzeigen in der Parteizeitung Frankfurter Volksblatt und in der bürgerlichen Frankfurter Zeitung hervor, die einen steten Rückgang der Kriegszuversicht verdeutlichen. Instruktiv scheint ihm auch die Entwicklung bei den Kirchenaustritten, die nach 1936 auffällig und ab 1942 deutlich abebbte. Auch wenn Jürgs nicht alle Artikel in gleicher Weise überzeugen, würdigt er den Band insgesamt als einen wichtigen Beitrag zur Erforschung des Nationalsozialismus.
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 23.11.2006

Dieses Buch habe wegen seines ausgesprochen kreativen Umgangs mit der Statistik Pioniercharakter und sei "durchaus geeignet", der Forschung neue Wege zu weisen, schreibt Rezensent Harald Welzer, bevor er seine Wertschätzung für die "verlässliche" Innovationsfreudigkeit dieses Autors kundtut. Objekt der Rezensentenbegeisterung ist besonders die sogenannte "Adolf-Kurve", eine Erhebung, die ihm Aufschlüsse über die Zusammenhänge von Namensvorlieben und Systemnähe zwischen 1932 und 1945 geben konnte. Aber auch Untersuchungen zu Kirchenaustritten und Sparverhalten jener Jahre geben Welzer ausgesprochen aufschlussreiche Einblicke in Mentalitäts- und Stimmungslagen jener Zeit. Der Rezensent lobt außerdem, dass die Studenten, mit denen Götz Aly die Beiträge in Zusammenarbeit mit dem Statistiker Albert Müller erarbeitet hat, als Einzelautoren auftreten und Aly nur als Herausgeber fungiert, als seltenen Ausweis akademischer Redlichkeit.