Christian Kracht

Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten

Roman
Cover: Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten
Kiepenheuer und Witsch Verlag, Köln 2008
ISBN 9783462040418
Gebunden, 160 Seiten, 16,95 EUR

Klappentext

"Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten" ist die literarische Erfindung eines alternativen Verlaufs der Weltgeschichte seit dem ersten Weltkrieg. Es ist das Jahr 1917. Lenin besteigt nicht den plombierten Waggon von Zürich nach Sankt Petersburg. Die russische Revolution findet nicht statt. Stattdessen erlebt die Schweiz einen kommunistischen Umsturz, und die Geschichte des 20. Jahrhunderts entwickelt sich völlig anders als wir sie heute kennen. So erzählt dieser zunächst historisch anmutende Roman die Geschichte eines Schweizer Politkommissars, der einen Mord aufklären soll und zur Reduit, zur großen Schweizer Bergfestung, in das Herz der Finsternis reist.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15.10.2008

Mit der Handlung des neuen Romans von Christian Kracht möchte sich Dietmar Dath gar nicht lang aufhalten. Dazu später. Zunächst geht es Dath darum, den Autor und die von ihm für dieses Buch gewählte Gattung der Fantastik, genauer der "kontrafaktischen", dezidiert antihistorischen Fantastik, in Sicherheit zu bringen vor einer indolenten Kritik, der das Populäre und also die Fantastik eines Philip K. Dick oder eben eines Christian Kracht "ein Graus" sei, wie Dath wettert. Kracht wird dagegen in Daths Lobrede zum "abgebrühtesten", waffenlosen Militärschriftsteller schlechthin. Listig, erklärt er uns, umschifft der Autor die Ortungsgeräte der Literaturkritik und in einem Akt "in sich ruhenden Größenwahns" biegt er die Geschichte um, in diesem Fall, freut sich Dath diebisch, indem er ein Buch "gegen die Geschichte als solche" vorlegt. Und hier kommt der Rezensent nicht umhin, die Handlung doch noch zu bedenken. Immerhin verhilft Krachts erzählerische und historische Unerschrockenheit dem Bolschewismus zum Sieg über das Bürgertum, wenn auch bloß in der Schweiz. Für Dath ein respektabler Versuch der Aufklärung über den "eigenen moralischen Knacks".
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Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 13.10.2008

Etwas argwöhnisch betrachtet Rezensent Roman Bucheli Christian Krachts neues Buch, welches seiner Meinung nach genauso gut von einem skurrilen Zufallsgenerator hätte produziert werden können. Den "neuen großen Schweiz-Roman?, wie die FAS jubelte, sieht Bucheli darin jedenfalls nicht, sondern eher "eine große Albernheit?. Krachts Alternativ-Geschichts- und Endzeitroman zeichnet eine stalinistische Schweizer Sowjetrepublik, die, mit Ostafrika verbündet, seit 96 Jahren für eine gerechte Welt kämpft, informiert Bucheli. Vor allem die Deutschen seien in diesem Szenario schwer zu besiegen, und so antizipieren die Sowjets furchtvoll eine Niederlage. Bucheli fragt, ob diese Thematik nicht vielleicht eine geheime Abneigung der Schweiz gegen die Deutschen parodieren soll. Als Beitrag zur aktuellen Debatte im Verhältnis der Nachbarländer zueinander hätte er dem Roman mehr Bedeutung beigemessen. Doch Kracht wirkt auf ihn einfach zu "anspruchslos und offenkundig desinteressiert?, als dass Bucheli die Handlung weiter analysieren möchte. Sprachlich konnte Bucheli dem Buch auch nichts abgewinnen.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 09.10.2008

Nicht ohne Faszination, doch mit ausgesprochen gemischtem Gefühl hat Rezensent Dieter Hildebrandt das neue Buch von Christian Kracht gelesen. Kracht spinnt darin, wie Hildebrandt schreibt, das Gedankenspiel zum hundertjährigen Weltkrieg aus, was geschehen wäre, wenn Lenin 1917 das Schweizer Exil nicht Richtung Russland verlassen, sondern dort die erste Sowjetrepublik errichtet hätte. Der Leser kommt der Schilderung des Rezensenten zufolge rund 100 Jahre später dazu. Längst herrscht ein desaströser Krieg und die Untergangsszenarien müssen es in sich haben. Hier genau setzt auch das Unbehagen des Rezensenten ein, der angesichts von "Nahkampfvokabular, Landserlakonik und Schützengrabenromantik" immer wieder unangenehm berührt wird. "Stahlgewitter für die VIP-Lounge" bringt er den Habitus des Romans für sich auf den Punkt; die ebenso zynische wie virtuose Vorführung einer Haltung, in der die Lust am Untergang auf "volle Dröhnung" gebracht wird, weil man seinen "Dom Perignon längst lieber aus der Feldflasche" trinke.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 23.09.2008

In seinem neuen Roman arbeitet sich Christian Kracht in guter Schweizer Tradition (Lukas Bärfuss, Urs Widmer) an seinem Heimatland ab, indem er ihm Afrika entgegenhält, konstatiert die nicht eben begeisterte Rezensentin Eva Behrendt fest. Zum Inhalt: Lenin hat nicht in Russland, sondern in der Schweiz die kommunistische Revolution entzündet und nun - wir schreiben das Jahr 2013 oder 2014 - reist ein schwarzer Parteikommissär ins Schweizer Reduit um einen gewissen geheimnisumwitterten Brazhinsky zu verhaften, fasst die Rezensentin zusammen. Unverhüllt werde auf Joseph Conrads "Herz der Finsternis" angespielt, das sich hier mitten in der Alpenrepublik befinde, die sich allerdings als "Irrenanstalt" mit Brazhinsky als "nettem Guru" erweise, erklärt die Rezensentin unwillig das undurchsichtige Geschehen. Die Geschichtsparodie kippt schließlich in eine "Heilsgeschichte" um, notiert Behrendt indigniert, der dieser Roman viel zu geheimniskrämerisch ist, um sie in den Bann zu ziehen. Sie wartet immer auf ein Indiz dafür, dass sich Kracht einen durchgedrehten Scherz erlaubt hat. "Aber da kichert nichts." Manche werden dieses Buch für Poesie halten, doch in Behrendts Augen ist es "einfach schwachsinnig", wie sie unumwunden festhält.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 20.09.2008

Zwischen Bewunderung und Enttäuschung schwankt Gustav Seibt in seiner Besprechung dieses alternativhistorischen Romans Christian Krachts. Was den Rezensenten begeistert, ist zuerst und zuletzt die Sprache des stilversessenen Autors, mit der es ihm geradezu mühelos gelinge, "magische Wirkung" zu erzeugen. Wenn nur, daher die Enttäuschung, das so mühelos magisch Gewirkte irgendwie auch sich zum sinnvollen Zusammenhang zusammenschlösse. Das aber tut es, findet Seibt jedenfalls, nicht. Um einen Schweizer Sowjetstaat geht es, in dem ein Politkommissar als Ich-Erzähler in eine "unterirdische Alpenfestung" unterwegs ist. Sehr von Belang aber ist die Handlung nicht. Überhaupt löse sich nach und nach alles auf in Albernheit und "höhnischen Nippes", aus dem mal Ernst Jünger und mal der "Ekel" am Menschlichen klingt. Alles in allem, bedauert Seibt, ein "gedankliches Durcheinander" trotz hoher stilistischer Gaben.

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Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 20.09.2008

Rezensentin Wiebke Porombka kann dem Roman nur wenig abgewinnen. Grundsätzlich stört sie daran die dandyhafte Geste, mit der sie diesen Autor hier das Buch als Kulturgut vorführen sieht, "das emphatisch etwas erzählen will". Dabei hole Christian Kracht gewaltig aus und stelle die Zwanzigstes-Jahrhundert-Frage: Was wäre geschehen, wenn Lenin 1917 die Schweiz nicht Richtung Russland verlassen hätte und die bolschewistische Revolution in der Schweiz stattgefunden hätte. Laut Rezensentin fällt die Antwort auf diese Frage zwar ziemlich verheerend, letztlich aber doch recht belanglos aus. Denn sie findet alles zu diffus und zusammenhangslos erzählt. Krachts Text sei kaum mehr als eine drogenvernebelte Kulisse. Wenn Kracht wenigstens zu den großen genialen Dilettanten gehören würde, die sonst bei Kiepenheuer und Witsch publizierten. Doch dazu fehlt es Kracht Ihrer Ansicht nach an Humor, was die Lektüre eher freudlos für sie gestaltet hat.
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