Stanley Cavell

Der Anspruch der Vernunft

Wittgenstein, Skeptizismus, Moral und Tragödie
Cover: Der Anspruch der Vernunft
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2006
ISBN 9783518584699
Gebunden, 800 Seiten, 49,80 EUR

Klappentext

Aus dem Amerikanischen von Christiana Goldmann. Mit einem Vorwort von Susan Neiman. Stanley Cavells monumentales Buch, das nun in deutscher Übersetzung erscheint, gehört zu den großen philosophischen Büchern des 20. Jahrhunderts. Seit seiner Erstpublikation 1979 hat es eine ganze Generation von Philosophen beeinflusst und gilt längst als moderner Klassiker. Ungewöhnlich breit angelegt, komplex in der Argumentation, eigenwillig, ja exzentrisch im Stil, eröffnet uns Cavell in seinem Opus magnum Zugänge zu epistemologischen, metaphysischen, ethischen und ästhetischen Fragen, die bis heute nichts an Originalität eingebüßt haben.
Leuchtend roter Faden, der das ganze Buch durchzieht, ist Cavells Wittgenstein-Lektüre. Konträr zum philosophischen Mainstream liest Cavell Wittgensteins Forderung, "die Wörter von ihrer metaphysischen wieder auf ihre alltägliche Verwendung zurückzuführen", nicht einfach als Hinweis auf eine Gebrauchstheorie der Bedeutung, sondern macht sie für eine raffinierte Umdeutung des Skeptizismus fruchtbar. Denn der Zweifel, tief eingelassen in das menschliche Denken, ist der Dorn im Fleisch der Philosophie. Er ist es, der zwischen uns und der Welt steht, der uns der Welt entfremdet und dazu führt, dass wir sie immer wieder verlieren. Die Macht der Skepsis durch das philosophische Streben nach letzten Wahrheiten brechen zu wollen ist für Cavell ein sinnloses, ja kontraproduktives Unterfangen. Vielmehr muss der skeptisch-metaphysischen Versuchung widerstanden und die Welt auf geradezu romantische Weise ständig zurückerobert werden: indem wir sie in unseren Sprachspielen immer wieder neu erschaffen.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 03.04.2007

Endlich, so Rezensent Andreas Cremonini, liege nun Stanley Cavells großes Werk auf Deutsch vor, und man könne sich wie zuvor in Amerika darüber streiten, ob es auch ein großer Wurf sei. Richard Rorty habe nämlich weiland von zwei Büchern gesprochen, die keinerlei Zusammenhang hätten, wobei ihm das erste inhaltlich überholt und das zweite sympathisch erschienen sei. Sympathisch, erklärt der Rezensent, weil Cavell nach einem ersten fachphilosophischen Teil über den Skeptizismus im zweiten Teil seines Werkes in ungezwungen schriftstellerischer Manier die Abgründe des alltäglichen, zwischenmenschlichen Skeptizismus auslote. Hier liege gewissermaßen die "Wahrheit" des theoretischen Skeptizismus. Stanley Cavells eigene Präferenz auf diesem Feld kann man dem Rezensenten zufolge schon an seiner immer freundlichen Kritik an anderen Philosophen ablesen. Solch menschlicher Umgang basiere bei Cavell auf der Annahme einer grundsätzlichen Getrenntheit vom anderen durch Sprachprobleme. Man habe lediglich die Wahl, referiert der Rezensent, diese Getrenntheit anzuerkennen oder sie zu vermeiden. Thematisch passend und auch angemessen zum essayistischem Stil des zweiten Teils habe Stanley Cavell Shakespeares Othello als Schlusspunkt seiner Reflektionen über den Zweifel ausgewählt. Übersetzt worden sei das über eine Zeitspanne von achtzehn Jahren entstandene Werk auf "kongeniale" Weise von Christiana Goldmann.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 31.01.2007

Mit seiner Dissertation würde Stanley Cavell heute wahrscheinlich keine akademischen Meriten mehr erringen, doch lässt sie mit ihren Widersprüchen und Gedankenexkursionen den Denkprozess des Philosophen deutlich hervortreten, was die Lektüre so fesselnd macht, schwärmt Michael Hampe. Cavell, heute emeritierter Harvard-Professor, geht es in seiner in den 70er Jahren entstandenen Arbeit um die "Wiederentdeckung des Alltäglichen" in der Philosophie und eine Abkehr von der in der Philosophie allgegenwärtigen "Skepsis", die selbst moralphilosophische Selbstverständlichkeiten in Zweifel ziehen, erklärt der Rezensent. Der Zweifel als Methode verhindere einen alltäglichen Zugang zur Wirklichkeit und verliere auch den gewöhnlichen Menschen mit seinen Handlungs- und Denkantrieben aus dem Blick, argumentiert der Autor, so Hampe weiter. Er hat einen Faible für Cavells ausholende, an Henry James oder Herman Melville erinnernde Sprache und entdeckt zu seiner Freude, dass sie von Christiana Goldmann flüssig und ansprechend ins Deutsche übersetzt worden ist. Für Neulinge auf dem Gebiet der Cavellschen Philosophie, findet der eingenommene Rezensent die Einführung von Susan Neiman sehr nützlich.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 04.10.2006

Als "philosophischen Solitär" würdigt Andreas Platthaus den amerikanischen Philosophen Stanley Cavell, dessen gewaltiges Opus Magnum zur Freude des Rezensenten nun in einer ausgezeichneten deutschen Übersetzung vorliegt. Zentrale Bedeutung haben für ihn Cavells Interpretationen von Wittgensteins Spätwerk. Diese zielen für ihn darauf ab, die Möglichkeit einer Versöhnung von Skeptizismus und analytischer Philosophie zu demonstrieren. Daneben hebt Platthaus besonders die Ausführungen zu Austin und seiner Sprechakttheorie hervor. Mit diesen Denker im Gepäck suche Cavell die tiefe Kluft zwischen kontinentaleuropäischer und der neueren angelsächsischen Philosophie zu überbrücken. Doch geht es nicht nur um die Überwindung dieser Kluft. Insgesamt stellt das Werk stellt für Platthaus nämlich einen "großangelegten Versuch" dar, Philosophie und Literatur zu versöhnen. Ein Versuch, der dem Autor dank seines überragenden literarischen Könnens nach Ansicht von Platthaus auf beeindruckende Weise gelungen ist.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 04.10.2006

Rezensent Martin Hartmann ist froh, dass mit diesem 800-Seiten-Buch nun endlich das Hauptwerk des amerikanischen Philosophen auf Deutsch vorliegt. Aus seiner Sicht nämlich gehört es zu den ungewöhnlichsten philosophischen Büchern des 20. Jahrhunderts. Es setze zwar beim Leser einiges an Leidensfähigkeit, Wissen und Bereitschaft zu genauer Lektüre voraus, biete aber im Gegenzug den diskursiven roten Faden, um die unterschiedlichen Richtungen von Stanley Cavells "komplexem Werk" zu erschließen. Im Zentrum sieht Hartmann die Auseinandersetzung mit skeptizistischen Deutungstraditionen der Ludwig-Wittgenstein-Rezeption und deren Folgen stehen, die er besonders virtuos im Schlusskapitel über Shakespeares Tragödie "Othello" dargelegt sieht. Beeindrucken kann Cavell aber auch mit seiner Kritik der klassischen Erkenntnistheorie, deren Fragestellungen der amerikanische Philosoph bis in die Literatur und die Populärkultur verfolge.