Jonathan Franzen

Schweres Beben

Roman
Cover: Schweres Beben
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2005
ISBN 9783498020903
Gebunden, 688 Seiten, 24,90 EUR

Klappentext

Deutsch von Thomas Piltz. Louis Holland, ein Rundfunktechniker, zieht nach Boston, wo seine Familie lebt: seine Mutter, eine frustrierte Aufsteigerin, sein Vater, ein linker Geschichtsprofessor, und seine Schwester, eine ganz und gar verwöhnte, ichsüchtige Frau. Kaum ist er eingetroffen, passiert Merkwürdiges - ungewöhnliche Erdbeben erschüttern die Stadt, und gleich das erste tötet seine Großmutter. Während eines erbitterten Streits um das große Vermögen, das sie hinterlässt, verliebt sich Louis in Renee Seitchek, eine leidenschaftliche, kluge Seismologin, deren Enthüllungen über die Gründe der rätselhaften Erdstöße alles, wirklich alles durcheinander bringen...

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 21.09.2005

Richtig begeistert ist Almut Finck nicht von Jonathan Franzens im Original bereits 1992 erschienenen Roman. Zu konstruiert erscheint ihr der Plot und die Handlung "verworren wie ein Wollknäuel nach Bearbeitung durch ein Katzenvieh". Erst in der zweiten Hälfte - nach über 350 Seiten! - komme die Geschichte über Umweltsünder und militante Abtreibungsgegner in Schwung, lesen wir. Eindeutig zu spät für die Rezensentin, und irgendwie auch herbeigeholt. Aber lobende Worte findet sie trotzdem, nämlich für die "schillernden, komplexen" Nebenfiguren, die im Gegensatz zu den "wandelnden Holzschnitten", den Hauptprotagonisten Louis und Renee, sehr charmant rüberkommen, findet sie. Besonders hebt Finck den Familienpatriarchen Bob Holland heraus, der trotz seines Unverständnisses für konsumgierige Arbeiter selbst auch kein Kostverächter ist. Die Rezensentin fasst Franzens Roman entsprechend ihrer Hinundhergerissenheit auch als "bunt, laut, leidenschaftlich, wütend, manchmal zynisch, manchmal romantisch, manchmal ziemlich kitschig" zusammen.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 04.08.2005

Am besten findet Bernadette Conrad Jonathan Franzens Roman "Schweres Beben", das im Original bereits 1992 erschien, dann, wenn Franzen sein "manisches Interesse am perfekten Plot" verliert und einfach nur "zweckfrei" erzählt. In diesen wenigen Passagen lasse sich bereits der Autor der "Korrekturen" erkennen, der seinen klaren und ungeschönten Blick auf die Normalität familiären Lebens in wunderbare Literatur verwandeln kann, gesteht Conrad, die in ihre Besprechung auch ein Gespräch mit Franzen einfließen lässt. Doch zum großen Teil erscheint ihr der Roman bleischwer, in seiner Detailversessenheit geradezu erschlagend und ein wenig überkomplex: Denn erzählt wird nicht nur die Geschichte von Renee und Louis, sondern die des gesamten dunklen Amerikas: Renne vermutet hinter einer Serie von unerklärlichen Erdbeben rund um Boston Erdreaktion auf die Einleitung verseuchter Abwässer und macht sich daran, diese Verschwörung skrupelloser Mächte aufzudecken. Und auf 685 Seiten wird alles ans Tageslicht gezogen, was das amerikanische Establishment so alles auf dem Gewissen hat, von der Ausrottung der Ureinwohner bis zu den Machenschaften der Chemiekonzerne, wie die Rezensentin ächzt. Großes Lob geht an die kongeniale Übersetzung durch Thomas Piltz, doch abschließend urteilt Conrad über den Roman: "Zu perfekt, um richtig gut zu sein."

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 27.07.2005

Von Jens Bisky gibt es uneingeschränkten Jubel für Franzens zweiten Roman. Der spätere Erfolgsautor, schreibt er, "geht auch hier aufs Ganze, entwirft ein Gesellschaftspanorama". Und sein Erzähler war auch 1992 schon auf der Höhe der großen Ambition. Die besteht darin, einerseits so genau wie möglich die Verwerfungen der Gegenwart in der hoch entwickelten Welt zu zeigen, andererseits über jede Erklärung oder Schuldzuweisung hinauszugehen und vom Leben zu erzählen, das komplexer ist als alle Vorschriften. So geht es einerseits um "Geldgier, Abtreibung, Konsum, Umweltbehörden, Zeitungen, Fernseh- und Rundfunkstationen, Sex, Hochzeiten, Mordversuche und Todesfälle", andererseits um die Liebe, und doch kommt am Ende weder ein "antikapitalistisches Manifest" noch ein Familienroman dabei heraus. Denn immer wieder geht der Blick auf die Figuren selber: "Was heißt es, Verantwortung zu übernehmen, für die Folgen seines Handelns einzustehen? Franzen entfaltet die Frage, verwirft, verspottet, verachtet die vorgefertigten Antworten." Es triumphiert, so Bisky, "die Kraft des Erzählens" und fordert immer wieder neu zum Hinschauen auf.
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Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 23.07.2005

Auf dem Weg zu den "Korrekturen", aber noch lange nicht so gut - so könnte man das Urteil der Rezensentin Angela Schader zu Jonathan Franzens Roman-Zweitling zusammenfassen. Ambitioniert ist das alles schon, so themen- wie umfangreich. Es geht um Abtreibung und einen Umweltskandal rund um einen Chemiekonzern, im privaten Bereich vor allem um eine  Liebesgeschichte zwischen Ungleichen. Dagegen, findet Schader, wäre nicht viel zu sagen, wäre nur die Figurenzeichnung nicht so unbefriedigend geraten. Die Frauen scheinen ihr hoffnungslos unsympathisch angelegt, die Männer bleiben blass, das Verhältnis zwischen beiden unbegreiflicherweise von vorneherein asymmetrisch. Diese Strukturen, um manche etwas mühselig zu lesende Information zum Chemiekonzern angereichert, tragen den doch recht umfangreichen Roman nur mit einiger Mühe. Das reine Vergnügen, das wird aus der Rezension deutlich, war die Lektüre dieses Werks nicht.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 23.07.2005

Durchaus beeindruckt zeigt sich Rezensentin Marion Lühe von Jonathan Franzens  Roman "Schweres Beben" aus dem Jahr 1992, der nun in einer deutschen Übersetzung vorliegt, auch wenn ihr das Ganze etwas unausgewogen erscheint. Den Plot etwa findet sie "mitunter arg konstruiert" und "thematisch überfrachtet", die Figuren "wie aus dem Handbuch des Umweltaktionisten", die zahlreichen Nebenhandlungsstränge, Rückblenden und seismologischen Fachgespräche manchmal "ermüdend" und die Symbolik bisweilen "aufdringlich". Imponiert hat ihr allerdings die Radikalität, mit der Franzen das kapitalistische Gesellschafts- und Wertesystem kritisiert. Eine Radikalität, die in der amerikanischen Literatur eher selten sei. "Sehr deutsch" findet sie das Buch in dieser Hinsicht. Die wechselvolle Liebesgeschichte zwischen dreißigjährigen Harvard-Seismologin Renee Seitchek und Louis Holland, dem Sohn einer in dunkle Machenschaften verstrickten Chemiedynastie, lobt sie als "bewegend, ohne ins Kitschige abzugleiten". In seiner Leidenschaftlichkeit und Wucht wirke der "politisch und ökologisch korrekte" Roman wie ein typisches Produkt der Achtzigerjahre, resümiert die Rezensentin: "'Schweres Beben' ist moralisch und zynisch, heftig und sanft, komisch und traurig zugleich. Als hätten Bob Dylan und The Clash zusammen einen Song geschrieben."