Wolfgang Schivelbusch

Entfernte Verwandtschaft

Faschismus, Nationalsozialismus, New Deal 1933-1939
Cover: Entfernte Verwandtschaft
Carl Hanser Verlag, München 2005
ISBN 9783446205970
Gebunden, 224 Seiten, 21,50 EUR

Klappentext

Die Wirtschaftskrise der 30er Jahre erschütterte die USA genauso wie Europa. Doch Roosevelts Wirtschaftsprogramm des New Deal rettete die USA bis in die Kriegswirtschaft, und nach Ende des Krieges erschien Amerika als das leuchtende Gegenbild zum kollabierten Europa. Gerade im New Deal aber entdeckt Wolfgang Schivelbusch nun überraschende Gemeinsamkeiten mit den rechten Ideologien Hitlers und Mussolinis: Roosevelts Beschwörung der nationalen Gemeinschaft etwa oder den konsequenten Einsatz von Propagandatechniken.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 25.04.2005

In einem überaus positiven Sinne "irritiert" ist Rezensent Ulrich Teusch von Wolfgang Schivelbuschs historisch-vergleichender Analyse der politischen Führungsstile in Deutschland, Italien und den USA während der dreißiger Jahre. Schivelbusch fokussiert die Regierungspraxis Franklin Delano Roosevelts und stellt dabei erstaunliche Parallelen zu Hitler und Mussolini her: Alle drei bedienten sich ähnlicher ökonomischer Steuerungsinstrumente, teilten die Vorliebe für prestigefördernde Großprojekte sowie massenwirksame Selbstinszenierung bei gleichzeitiger Suggestion eines wertkonservativen Traditionsbewusstseins. Teusch, der Schivelbuschs Buch im Rahmen einer Doppelrezension bespricht, ist allerdings nicht nur von dessen faktischen Ergebnissen beeindruckt , sondern lobt darüber hinaus, dass Schivelbuschs Studie nie "in eine Verharmlosung der Systeme Hitlers und Mussolinis oder eine Dämonisierung der Ära Roosevelt" abgleite. Der Rezensent interpretiert das Werk unter anderem als Lehrbuch über die Bedrohung der Demokratie zu Zeiten äußerer oder innerer Krisen, und er erkennt sogar einen Bezug zur angeblich gegewärtigen "Deformation der Demokratie" in den USA.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22.04.2005

Überzeugend findet Rezensent Andreas Platthaus diesen Vergleich von Faschismus, Nationalsozialismus und New Deal, den der Kulturhistoriker Wolfgang Schivelbusch vorgelegt hat. Dessen Hauptaugenmerk sieht er in der Untersuchung der Nähe von Franklin Delano Roosevelts New Deal zum Nationalsozialismus, wobei der italienische Faschismus gleichsam die Schnittmenge zwischen den beiden System bildet. Als zentrale Gemeinsamkeit der behandelten Formen von Herrschaft arbeite Schivelbusch ihren Ursprung aus einer historischen Krisensituation heraus. Einzelne Einsichten erscheinen Platthaus dabei durchaus "provokant", was seines Erachtens aber nichts an der "sachlichen Schlüssigkeit" von Schivelbuschs Verfahren ändert. Die ausführliche Darstellung von strukturellen Ähnlichkeiten und Gemeinsamkeiten im Blick auf Machttechniken aus Boykottdrohungen, der Schaffung von Freund-Feind-Schemata oder staatlich kontrollierten Großprojekten hält Platthaus für "schlagend". Besonders angetan zeigt er sich von der "Finesse", mit der der Autor seine "halb polemischen, halb subtilen Pointen" setzt.
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Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 30.03.2005

Rezensent Hans Woller ist geradezu entsetzte, was der Kulturhistoriker Wolfgang Schivelbusch hier abgeliefert hat. Er stellt die amerikanischen Sozialprogramme der 1930er Jahre in die geistige Nähe der Sozialprogramme des deutschen und italienischen Faschismus und sieht dabei nach Meinung des Rezensenten den Wald vor lauter Bäumen nicht: Schivelbusch "sucht fast krampfhaft nach einzelnen Oberflächenphänomenen", schimpft der Rezensent, "während er den Kosmos der Unterschiede fast ganz ignoriert". Auch ignoriert er den aktuellen historischen Forschungsstand nach Wollers Meinung an verschiedenen Stellen, zum Beispiel indem er den italienischen Faschismus mit dem Nationalsozialismus in ein inniges Verwandtschaftsverhältnis setzt - "so als gäbe es darüber nicht einen seit den zwanziger Jahren währenden giftigen Streit, der bis heute unentschieden geblieben ist". Unterm Strich ist seine Arbeit wissenschaftlich ausgesprochen unsolide, nicht einmal die Begrifflichkeiten werden sauber definiert: "Mit argumentativen Amokläufen... soll der Anschein der Vergleichbarkeit der drei 'Regime' erweckt werden, in der Sache selbst wird aber nur heillose Verwirrung gestiftet."

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 17.03.2005

Als etwas missverständlich empfindet Jürgen Busche den Titel, der nahelegen könnte, man wolle sich von der Verwandtschaft distanzieren. Doch geht es Schivelbusch weder darum, die Unterschiede zwischen Amerika und Deutschland einzuebnen, noch solle irgendetwas gleichgesetzt werden, versichert der Rezensent. Von Verwandtschaft könne aber, daran lässt Schivelbusch keinen Zweifel, "nur begrenzt die Rede sein". Aber wovon ist überhaupt die Rede? Schivelbuschs Anliegen sei es, erklärt Busche, die Ähnlichkeiten zu analysieren, die es vor dem Krieg zwischen beiden Staaten in den Ansätzen zur Krisenbewältigung gegeben habe. Der Ursprung der Ähnlichkeit liegt laut Schivelbusch in der Einsicht, dass der Liberalismus des 19. Jahrhunderts versagt hatte und die schrankenlose Industrialisierung wie die hemmungslose Entfaltung des Kapitalismus nicht länger toleriert werden dürfen. Diese Ähnlichkeiten waren es, die nach dem Ende des Krieges trotz aller zwischenzeitlicher Feindschaft das umstandslose Ende der Gegnerschaft ermöglicht haben, erkläutert Busche, der Schivelbuschs Essay für eine sehr "umsichtige" und interessante Untersuchung hält.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 17.03.2005

Reizvoll findet Rezensent Hans-Ulrich Wehler diesen Vergleich von Faschismus, Nationalsozialismus und New Deal in den Jahren 1933-1939, mit dem Wolfgang Schivelbusch eine immer noch nicht geschlossene Lücke anvisiert habe. Schivelbusch - für Wehler ein "zu Recht gerühmter Autor unorthodoxer historischer Bücher"- könne etwa im Blick auf den Regiecharakter und den Führungsstil der politischen Leitfiguren in den Italien, Deutschland und den USA mittels des Schlüsselbegriffs der charismatischen Herrschaft "bemerkenswerte Gemeinsamkeiten" herausarbeiten. Das treffe auch auf das Feld der Wirtschaftspolitik zu, die durch einen massiven Staatsinterventionismus gekennzeichnet war. "Erstaunliche Parallelen" finde der Autor ferner in der Propaganda der drei Regime, in der Siedlungspolitik sowie bei der Realisierung technischer Mammutprojekte. Dass Schivelbusch die teilweise "verblüffenden" Ähnlichkeiten und Gemeinsamkeiten "mit Nachdruck" hervorhebt, kann Wehler gut nachvollziehen. Aber er vermisst eine Antwort auf die Frage, was nach 1939, nach 1941 aus diesen Ähnlichkeiten wurde. Zudem hätte er gerne auch die Unterschiede "nachdrücklicher" betont gesehen. Trotz mancher Bedenken in dieser Richtung hält der Rezensent abschließend fest: "Für die Zunfthistoriker im engeren Sinne sollte Schivelbuschs Essay als willkommene Anregung wirken, den Königsweg des Vergleichs beherzter als bisher zu beschreiten."

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 16.03.2005

Rezensent Stephan Schlak lässt sich auch von einem "begnadeten kulturhistorischen Lauscher", wie er Wolfgang Schivelbusch betitelt, nur "ungern bluffen". Ihm fehlt in Schivelbuschs neuem Buch, das Parallelen zwischen dem faschistischem Europa und dem amerikanischen "Wohlfahrtsprojekt" des "New Deal" aufzeigen soll, besonders das "historische Gesamtbild". Dabei stimmt der Kritiker der Grundidee des Autors prinzipiell zu: Auch in den USA der Zwischenkriegszeit habe der Liberalismus als "abgewirtschaftet" gegolten. Zudem konstatiert der Autor beispielsweise eine gewisse Ähnlichkeit zwischen der amerikanischen "Blue Eagle"-Sozialkampagne und dem Winterhilfswerk der Nationalsozialisten und verweist darauf, dass Zeitgenossen die Parallelen der beiden heute so unterschiedlich wirkenden Systeme deutlich erkannt hätten. Doch wenngleich sich der Rezensent von den "eigenwilligen" Gedanken des Kulturhistorikers "angeregt" fühlt und es schätzt, dass dieser die "ideologischen Masken" zu zerstören sucht, fehlt ihm der Verweis auf die "politisch hässliche Seite" der dreißiger Jahre in Form von Antisemitismus und Rechtlosigkeit.