Durs Grünbein

An Seneca. Postskriptum / Seneca: Die Kürze des Lebens

Cover: An Seneca. Postskriptum / Seneca: Die Kürze des Lebens
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2004
ISBN 9783518416099
Gebunden, 85 Seiten, 15,00 EUR

Klappentext

Aus dem Lateinischen von Gerhard Fink. "So ist's: Wir erhalten kein kurzes Leben, sondern haben es dazu gemacht, und es mangelt uns nicht an Zeit, sondern wir verschwenden sie." Als Stoiker widmet Seneca sein Denken der Lebenspraxis: dem gut geführten Leben, das, von Vernunft geleitet, Affekten widersteht. Seelenruhe zu erlangen ist das erklärte Ziel. Auf die Frage, wie denn zu leben sei, antwortet Seneca mit "lebe jetzt", "verschaff dir Muße", "zieh dich von den anderen zurück", "widme dich der Philosophie" - und nicht der Karriere, der Ablenkung und Zerstreuung. Um so bewegter war sein eigenes Leben: Ruhm, Verbannung, Macht und Rückzug. Durs Grünbein befreit den berühmten Text aus der Schublade der ewig haltbaren Lebensrezepte. Ihn interessiert das Janusköpfige des Philosophen, seine schriftstellerische Könnerschaft, der Widerspruch zwischen Philosophie und Leben, aus dem gar Dichtung entsteht. "Wie kommt ein erwachsener Römer dazu, dem Freund in der Pose des Ratgebers entgegenzutreten? Warum opfert einer seine kostbare Freizeit, um einen Essay zu schreiben zum Thema Von der Kürze des Lebens?" Grünbein schreibt einen Brief, ein Postskriptum an Seneca: "Du hattest recht. Das kurze Leben raunt uns zu: halt an, / Eh die Affekte dich versklaven." Aber: "Was, wenn wir unbelehrbar sind, verstockt und in uns regt / bei jedem Ja ein Nein sich "

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26.07.2005

Zwar gibt sich Thomas Poiss als Bewunderer von Durs Grünbeins Büchern "Grauzone morgens" und "Schädelbasislektion" zu erkennen. Was der Dichter aber über den Stoiker Seneca verlautbaren lässt, hält er schlicht für "trostlosen Unfug". Nach einer kurzen Würdigung der Aktualität Senecas und einer lobenden Erwähnung von Gerhard Finks Übersetzung des Traktats "Die Kürze des Lebens" macht sich Poiss daran, sein vernichtendes Urteil über Grünbeins Nachwort sowie das Seneca-Gedicht zu begründen. Trostlos sei das Nachwort, weil sich der Ernst, mit dem Grünbein in den frühen neunziger Jahren von Epiktet sprach, in Herablassung gewandelt habe. Unfug sei es, weil der "Großteil aller Aussagen evident falsch" sei. Etwa Grünbaums Behauptung, der "zentrale Gedanke" von Senecas Philosophie sei, dass sich das menschliche Leben nur dann gelohnt habe, "wenn es soviel als möglich dem Bücherlesen gewidmet war". Was Poiss zu Recht zurückweist. Unter den Prämissen von Grünbaums verzerrtem Seneca-Bild gerät für Poiss auch dessen Seneca-Gedicht "ins Zwielicht", zumal er auch hier einige Fehler nicht übersehen kann.
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Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 16.08.2004

Andreas Dorschels Urteil über diesen Band, der neben einer Übersetzung von Senecas "Von der Kürze des Lebens" ein - allerdings vorangestelltes - in Versen gehaltenes "Postskriptum", ein Gedicht und einen Essay von Durs Grünbein enthält, ist zwiespältig. Die Gedanken, die der Stoiker Seneca in seinem kurzen Text formuliert hat, sind "genauso genommen eher eine Kette von Bestätigungen des immer Gleichen", räumt der Rezensent ein und er glaubt, dass dies dem Autor Grünbein durchaus bewusst ist. Dennoch ist er von Grünbeins Anmerkungen zu Seneca begeistert und er preist sie als "Salz in der Suppe". Der Autor glänze dabei sowohl stilistisch als auch inhaltlich, auch wenn er seine "scharfsinnigen" und mitunter "anrührenden, anspielungsreichen Bemerkungen" eigentlich um eine "philosophische Flaute" herumgruppiert, so Dorschel kritisch. Was ihn dagegen richtiggehend aufgebracht hat ist die Übersetzung des Seneca-Textes aus dem Lateinischen von Gerhard Fink. Hier bemängelt er schludrigen Sprachgebrauch, der, wie er anklagt, den "rhetorischen Qualitäten", für die Seneca bekannt ist, nicht gerecht werden kann.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 19.06.2004

Wie man zu leben habe, das wusste der Philosoph Seneca ganz genau: im Verzicht auf Zeitverschwendung. Reflexion aufs Vergangene ist nötig, die Lektüre der Philosophen hilft dabei. Senecas Leben jedoch sah großen Teils ganz anders aus. Berühmter denn als Dramatiker, Denker und Autor von Werken wie "Über die Milde" oder eben des hier wieder veröffentlichten "Über die Kürze des Lebens", wurde er als Erzieher. Schließlich war er der Hofphilosoph Neros. Der aber schlug sämtliche moralischen Lehren seines stoischen Lehrers nicht nur in den Wind, sondern aufs Blutigste kurz und klein. Auch Durs Grünbein kommt nicht darum, diesen Widerspruch - allerdings elegant poetisch zu formulieren: "Posthum erst ging die Einsicht auf, mit der dein Buch / Den Leser quält. Dein eignes Leben hat dich widerlegt." Und auch essayistisch zu formulieren, denn mit gleich zwei Texten begleitet der Dichter und Denker Grünbein diese Ausgabe. Schade nur, meint der Rezensent Jürgen Verdofsky, dass er den Seneca-Text nicht auch gleich übersetzt habe.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 22.05.2004

Wie man sein Leben am sinnvollsten verbringt, dazu hatte der spanischstämmige, in Rom zu Einfluss und Ruhm gekommene stoische Philosoph, Dramenautor und Nero-Erzieher Lucius Annaeus Seneca (4 v.Chr. - 54 n.Chr.) eine ganz klare Meinung: "Einzig die haben Muße, die ihre Zeit der Weisheit widmen; allein sie leben." Das ist schön und gut, meint Durs Grünbein, der Senecas Text "Die Kürze des Lebens" einen gereimten sowie einen ungereimten Kommentar beigesellt hat - eher zweifelhaft ist allerdings, ob der Philosoph sich selbst daran hielt: "Dein eignes Leben hat dich widerlegt", dichtet Grünbein. In seinem Prosa-Essay lässt er es sich unter anderem angelegen sein, die Botschaft Senecas mit der Jesu zu vergleichen und dabei Senecas Sieg zu konstatieren. Der Rezensent Uwe Justus Wenzel hält sich in diesem Dialog weitgehend vornehm zurück, meint aber am Ende, dass Grünbein ein wenig mehr Abstand zu Seneca nicht geschadet, dem Band ein "philologischer Apparat" dagegen genutzt hätte.
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