Wolfgang Reinhard

Lebensformen Europas

Eine historische Kulturanthropologie
Cover: Lebensformen Europas
C.H. Beck Verlag, München 2004
ISBN 9783406517600
Gebunden, 720 Seiten, 39,90 EUR

Klappentext

Wolfgang Reinhard entwirft in seinem neuen Buch ein Gesamtbild der Lebensformen des europäischen Menschen vom ausgehenden Mittelalter bis zur Gegenwart. Das Werk gliedert sich in drei große Teile: Körper, Mitmenschen und Umwelten. Jeder dieser Teile erschließt einen zentralen Bereich unserer Wirklichkeitserfahrung: Der erste Teil befasst sich mit unserer physischen Existenz als Menschen, die gezeugt und geboren werden, Mann oder Frau sind, Hunger und Durst haben, sich kleiden und pflegen, Krankheit (und hoffentlich auch Heilkunst) am eigenen Leib erfahren, die alt werden und am Ende sterben müssen. Der zweite Teil geht unserer Selbstorganisation in Partnerschaft, Ehe und Familie nach, betrachtet Erziehung und Schule sowie das ganze Terrain unserer sozialen Beziehungen in Staat, Gesellschaft und Kultur. Der dritte und letzte Teil schließlich widmet sich unserer Erfahrung von Raum und Natur, unserem ökonomischen Handeln, den historischen Wandlungen der Lebensqualität sowie den Kommunikationsformen von der elementaren - und regional oft unterschiedlichen - Gestik bis hin zu den neuen Medien der Gegenwart. Die abschließenden Kapitel beleuchten behutsam das Verhältnis des europäischen Menschen zu Transzendenz und Rationalität, Zeitlichkeit und Geschichte.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 29.07.2004

Als "epochale Leistung" bezeichnet Rezensent Arne Karsten das neue Buch von Wolfgang Reinhard, in dem es um nicht weniger geht als um die Analyse der Menschen Europas und ihrer Umwelt vom Mittelalter bis in die heutige Zeit. In drei Hauptabschnitte gegliedert - Überlegungen zum eigenen Körper, den Mitmenschen und schließlich der Umwelt - liefere das "umfangreiche, aber nicht unförmige" Buch dem Leser "vielfältige" Erklärungen der heutigen Welt. Völlig verständlich findet es der Rezensent, dass Spezialisten einzelner Fachrichtungen "allerlei Kleinigkeiten" bemängeln könnten - bei einem "derartig umfassenden Zugriff" verstünde sich dies von selbst. Doch diese Schwächen empfindet der Kritiker als "vollkommen unerheblich". Für ihn bleibt Reinhards "zu allem Überfluss" auch noch lesbares Monumentalwerk eine "herausragende Leistung".

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 05.05.2004

Hanno Helbling sinnt über den Anspruch dieser Studie nach, sowohl was ihr Ausmaß, als auch was ihre wissenschaftliche Verortung betrifft. Ersteres sei gewaltig: "Ein Überblick wird angestrebt und versprochen, der zeige, wie Mann und Frau in einem landschaftlich, wirtschaftlich, gesellschaftlich vielgestaltigen Erdteil ein paar Jahrhunderte lang gelebt haben." Und, o Wunder - es gelingt! Dabei, so Helbling, spiele es keine Rolle, dass die Gewichtung zuweilen uneinheitlich ausfällt - in den vielen Details stecke genug Wissen und Anschauung. Und was die wissenschaftlichen Voraussetzungen angeht: Hier hatte der Rezensent zunächst Bedenken, der Autor könne sich womöglich im Netz der verschiedenen Schulen selbst die Hände binden, doch dann atmet er auf, denn Reinhard gewinne, "nachdem er sich und uns mit Michel Foucault und Jacques Derrida geplagt hat, den Anschluss an die bewährten Alltagshistoriker (...), um nach und neben ihnen nun als deutscher Vertreter ihres Fachs in Ehren zu bestehen."

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 25.03.2004

Die untersuchten "Lebensformen Europas" des emeritierten Freiburger Neuzeithistorikers Wolfgang Reinhard versuchen sich an einer historischen Kulturanthropologie, angelehnt an das amerikanische Modell der Cultural Anthropology, erläutert Wolfgang Kaschuba in seiner Rezension, wobei das Historische bei Reinhard mit kleinem h geschrieben werde - um seine Offenheit zu unterstreichen. Durch die direkte Bezugnahme auf das amerikanische Vorbild erreicht Reinhard zweierlei Dinge, so der Rezensent: den ethnologischen Blick und das hermeneutische Vorgehen. Diese Verfahrensweise einer "dichten Beschreibung" wende der Historiker direkt auf die Menschen, ihre Körper, ihre Lebensweisen an: die Kapitel handelten von Kleidung und Essen, Gefühlen, Beziehungen, Arbeit, Ethik, Tod, und stellten so das Gemeinsame wie auch das Verschiedene und Verborgene unter den Völkern heraus. Wie bunte Muster lassen sich so die verschiedenen Facetten des europäischen Alltagslebens neben- und übereinander legen, staunt Kaschuba. Das alles sei glänzend und kompetent beschrieben, doch fehlt dem Rezensenten die Rückwendung des ethnologischen Blicks auf den Betrachter selbst zur Abrundung des europäischen Panoramas. Ist nicht gerade die Geschichtsschreibung selbst eine zutiefst europäische Lebensform, fragt Kaschuba.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 22.03.2004

Wie macht dieser Mensch das? Diese Frage schwebt durch jeden Satz, den Tim B. Müller über Wolfgang Reinhards "gewaltiges Werk" auf dem Gebiet der historischen Anthropologie schreibt. Reinhards Ziel sei es gewesen, "einen ethnologischen Blick auf uns selbst durch verfremdenden Kontrast mit den Sitten unserer Vorfahren einerseits, durch Aufdeckung der Wurzeln unseres eigenen Verhaltens in jenen andererseits" zu ermöglichen, zitiert Müller den Autor. Dies, so der Rezensent, ist Reinhard "meisterhaft" gelungen und zwar in einer Art, die dieses Werk zu einem "Geschenk" für jeden interessierten Menschen mache. Reinhards "gigantischer Forschungsbericht" und "Enzyklopädie der ganzen Vielfalt des Lebens" gliedere sich in drei Teile: "der menschliche Körper", "der Mensch unter Mitmenschen" und die "Lebenswelt". Zwar bemerke Reinhard "bescheiden", dass die jeweiligen Facetten dieser Themenbereiche angesichts seines "kolossal" umfangreichen Gegenstands hier nur "umrissen" werden können, doch das lässt der Rezensent angesichts des ungeheueren Erkenntnisgewinns, den dieses Werk birgt, nicht gelten. Denn gerade Reinhards "methodischer Scharfsinn" sei es, der Wunder wirke und das relativ junge Feld der historischen Anthropologie "mit sicherem Urteil" von vergangenen und zukünftigen "Kinderkrankheiten" heile. Darüber hinaus, und darin sieht der Rezensent ein wichtiges Unterfangen, wage Reinhard, "historische und biologische Anthropologie in Beziehung zu setzen", indem er Dialogmöglichkeiten aufzeige, gerade weil der Mensch "Natur und Kultur zugleich" sei. Schließlich beziehe Reinhard auch das "Politische" wieder verstärkt in die anthropologische Überlegung ein. All das mit einer hinter der Nüchternheit vorscheinenden "Leidenschaft", die für Müller "den wahrhaft großen Gelehrten auszeichnet". Müllers Fazit: "In seiner Nüchternheit und Akribie, in seiner gedanklichen Strenge und seinem lakonischen Stil ist dieses Werk durch und durch deutsch und zugleich von weltoffener Eleganz, eine internationale Spitzenleistung."
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