A. L. Kennedy

Alles, was du brauchst

Roman
Cover: Alles, was du brauchst
Klaus Wagenbach Verlag, Berlin 2002
ISBN 9783803131720
Gebunden, 573 Seiten, 29,50 EUR

Klappentext

Aus dem Englischen von Ingo Herzke. Mary Lamb, eine elternlos aufgewachsene junge Frau, will allen wohlmeinenden Warnungen zum Trotz Schriftstellerin werden. Sie hat ein Stipendium gewonnen und fährt auf eine Insel, um dort bei dem erfolgreichen Autor Natahan Staples das Schreibenzu erlernen. Was sie nicht weiß: Staples ist ihr Vater, der sie als Kind weggegeben hatte, den sie nie kennenlernte und der sie jetzt unbedingt wiedergewinnen will.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 05.12.2002

Die Rezensentin Ursula März jubiliert: A. L. Kennedys Roman "ist die europäische Antwort auf Thomas Pynchon und die Antwort des weiblichen Geschlechts auf die Idee lebensvernichtender Kunsterzeugung". Damit stellt März die Autorin in die Tradition der "paranoischen Literatur" (in der die Paranoia "ästhetischer" Natur sei), deren zwei Merkmale sich in "Alles was du brauchst" wiederfinden. Einerseits die Inszenierung von Eigenwelten: die 19-jährige Protagonistin Mary Lamb will Schriftstellerin werden und wird zur Initiation auf eine Insel eingeladen, auf der sich "die abgefahrendste Variante" einer "Künstlerkolonie" niedergelassen hat, zu der ihr leiblicher Vater gehört, von dem Mary jedoch nicht weiß, und der zur Krönung auch noch ihr Mentor wird. Ein "aus den Stoffen antiker Tragödien" gewebter Plot, der nach Ansicht der Rezensentin jedoch weder dem "pathetischen Furor" noch der reinen "Gedankenkonstruktion" anheim fällt. Andererseits charakteristisch für die "paranoischen Literatur" sei das "obsessive, fast abergläubische Verhältnis zu Motiven, Attributen, bestimmten Konstellationen und ihre nicht enden wollende Abarbeitung": "mehrere Ersatzfamilien" und "mehrere multiple Vaterschaften" ziehen sich durch den symbolträchtigen Roman. Doch diese Paranoia, die für März auch in Kennedys "meisterhaften", "explosiven" und "eruptiven Sprache" Ausdruck finden, sei nicht der "Hölle", sondern dem "Purgatorium" bestimmt, und finde die "Erlösung". Hymnisches Fazit der Rezensentin: Wo auch immer Kennedy ansetze, ob beim "Besten" oder beim "Übelsten" im Menschen, da "entsteht Größe".

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 27.11.2002

A.L. Kennedys Figuren haben immer mehr zu bieten als ihre Krankheit, behauptet Meike Albath, sie hätten nämlich auch einen Heilsplan, so aussichtslos ihre Lage auch sein möge. Calvinismus gepaart mit europäischer Geistesgeschichte, diese eigenwillige Mischung sieht Albath bei der schottischen Autorin gegeben, die sie literarisch meisterlich zur Geltung bringe. Kennedys erzählerischer Kniff bestünde darin, dass sie auf engstem Raum innere Monologe und wörtliche Rede verknüpfe, erläutert Albath, und so zu einer Mehrstimmigkeit der Figuren gelänge. "Alles was du brauchst" ist Entwicklungs- und Familienroman, Künstlerbiografie und Gralsgeschichte zugleich, charakterisiert Albath den Roman, der eine Vater-Tochter-Beziehung und eine Künstlerkolonie beschreibt. Kennedy scheue das Pathos nicht, erklärt Albath, wobei der Autorin Sentimentalität völlig fremd sei. Ihre Protagonisten erführen in der Nähe zum Tod oder beim Sex Grenzüberscheitungen, die sie mit religiöser Inbrunst lebten. Dadurch aber, dass Kennedy diese quasi religiösen Erlebnisse, versetzt mit europäischen Mythen, Tragödienstoffen, Versepen, in individuelle Schicksale überführe, so die Rezensentin, gelänge es ihr, diese "urmenschlichen Erfahrungen mit neuem Sinn" zu füllen.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 08.10.2002

Die Rezensentin Angela Schader ist von A. L. Kennedys Talent überzeugt, umso enttäuschter ist sie von diesem eher durchwachsenen Roman. Zu Kennedys Entlastung bringt sie die Theorie vor, der Roman, der das fast inzestuöse Verhältnis zwischen Vater und Tochter darstellt, sei auf eine Art Kompensationswunsch zurückzuführen. In der Tat, so Schader, bestehen recht eindeutige Parallelen, einerseits zwischen dem wirklichen, abwesenden Vater Kennedys und dem fiktionalen, und andererseits zwischen der Autorin und dem Wunsch der Protagonistin, Schriftstellerin zu werden. Der Weg der Tochter zur Schriftstellerin sei allerdings auf eine literaturtheoretisch unglaubwürdige und banale Art und Weise gezeichnet. Die Vorbehalte des Vaters bei der Annäherung zu seiner Tochter wiederum findet Schader zu statisch: Sie verleihen der sich entwickelnden Beziehung "auf die Dauer einen allzu monochromen Hintergrund". Und doch, dass der Roman trotz all seiner Schwächen einen gewissen "Zug" behalte, sei wohl der Sprache selbst zu verdanken, die sich "blitzend und körperhaft, lebendig und gewandt" zwischen "filigraner Poesie" und "verzweifelter Grobheit" bewege. Gerade deshalb empfiehlt Schader auch die Lektüre der Originalfassung: Ingo Herzkes Übersetzung sei zwar "kompetent", könne aber den "besonderen Schimmer dieser Prosa" nicht wiedergeben.