Nora Bossong

Webers Protokoll

Roman
Cover: Webers Protokoll
Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2009
ISBN 9783627001599
Gebunden, 320 Seiten, 19,90 EUR

Klappentext

Konrad Weber ist stellvertretender Leiter des deutschen Generalkonsulats in Mailand, 1943 eine scheinbar friedliche Enklave, die ihn vor der nationalsozialistischen Diktatur und dem Krieg schützt. Beim Einmarsch deutscher Truppen in Italien wird ihm der im diplomatischen Dienst unerfahrene, weit jüngere Parteischnösel Palmer vor die Nase gesetzt, der das Konsulat bis unter das Dach nazifizieren soll. Palmer entdeckt Unstimmigkeiten in den Rechnungsbüchern, die in die Verantwortung Webers fallen. Dieser hat für den Bau einer Deutschen Schule bestimmte Gelder in der Schweiz auf eigene Rechnung angelegt. Geschäftsmann Wendler, ein dubioser Bekannter von Weber, hilft ihm nicht ohne eigenen Vorteil aus der verfahrenen Situation und vermittelt ihm ein riskantes Geschäft: Weber soll unter dem Schutz seines diplomatischen Status Verfolgten des faschistischen Regimes falsche Pässe und Visa beschaffen. Eine gefährliche Aufgabe. Als er 1944 vor einer drohenden Verhaftung gewarnt wird, setzt Weber sich in die Schweiz ab. Anfang der Fünfzigerjahre versucht Weber wieder in den diplomatischen Dienst zu kommen. Er stößt jedoch auf unerwartete Widerstände.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 25.06.2009

Michael Braun ist überzeugt davon, mit Nora Bossong die wohl talentierteste Stimme der jungen deutschsprachigen Literatur entdeckt zu haben. Die 27-jährige Bossong erzählt darin vom opportunistischen Diplomaten Konrad Weber, tätig im deutschen Generalkonsulat in Mailand während des Zweiten Weltkriegs, der wegen "prekärer Geldgeschäfte" ins Schleudern gerät, aus finanziellen Gründen deshalb Pässe für von den Nazis Verfolgte fälscht und nach dem Krieg von seiner Vergangenheit eingeholt wird, fasst der Rezensent zusammen. Sehr angenehm aufgefallen ist ihm, dass die Autorin an keiner Stelle "wohlfeile" Zeitkritik übt und sich nirgends aufs  moralische Ross schwingt. Etwas verwunderlich findet er allerdings, dass Bossong den Kriegsalltag jenseits der Diplomatenwelt so gar nicht in ihrem Roman spürbar werden lässt und die "überinstrumentierte Symbolik", die sie mitunter auffährt, wird von ihm leise getadelt. Insgesamt aber überwiegt der positive Eindruck, dass ihr "historisches und stilistisches Bewusstsein" vergleichbare literarische Unternehmungen in den Schatten stellt.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 16.06.2009

Hans-Peter Kunisch imponiert es gewaltig, wie souverän Nora Bossong ihren Roman von einem mittelmäßigen Menschen erzählt, der als stellvertretender Generalkonsul in Mailand während der Nazizeit einerseits Geld unterschlägt und andererseits zum Retter von Juden und Nazigegnern wird. Die 1982 geborene Autorin hat für ihren zweiten Roman Dokumente von mehreren Lebensläufen ausgewertet und dennoch keinen dokumentarischen Roman geschrieben, wie der Rezensent betont. Vielmehr gehe es Bossong um die Ambivalenz eines Menschen, der, so gut es eben geht, die Augen vor den politischen Entwicklungen verschließt und sich nach dem Krieg zum Widerstandskämpfer stilisiert, erklärt Kunisch, der das Buch bis auf eine für sein Gefühl zu wenig tief gehende Episode im Vatikan rundum geglückt findet.
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 28.05.2009

Als "schillerndes Vexierspiel" beschreibt Rezensent Wend Kässens diesen aus seiner Sicht "etwas überorchestrierten" Roman der jungen Berliner Autorin, der seinen Informationen zufolge die Nazi-Verstrickung des Auswärtigen Amtes zum Thema mache. Im Zentrum stehe eine verstrickte Figur und der Versuch, ein Leben neu zu erfinden, bei dessen Komposition Nora Bossong dem Eindruck Kässens' zufolge auch ein bisschen bei Max Frisch abgeschaut hat. Denn sie erfinde eine junge Frau, die mehr über diesen Dr. Weber zu wissen vorgebe und an deren Spuren sie sich als Erzählerin hefte. Insgesamt kann er dem entstandenen labyrinthischen Entwurf aus Vor- und Rückblenden, harten Schnitten und unterschiedlichen Schrifttypen dennoch nur teilweise etwas abgewinnen - nämlich dann, wenn sich Geschehenes und Gespiegeltes zu einer Geschichte ordnet, in der der Mensch Weber erkennbar werde.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 25.04.2009

Christoph Schröder lässt in seiner Besprechung erst einmal die jungen Starautorinnen der vergangenen Jahre Revue passieren, um festzustellen, dass sich Nora Bossong nicht so einfach in ein Raster einfügen lasse. "Ätherische Melancholikerin, Popgöre" oder die Intellektuelle vom Dienst? Nichts davon treffe auf die 27-Jährige zu, die sowohl Prosa auch als Lyrik schreibe, stellt Schröder klar, der Bossong die Eigenwilligkeit sehr positiv anrechnet. Auch ihr Roman "Webers Protokoll" hat ihn sehr beeindruckt, auf unterschiedlichsten Ebenen erzählt Bossong darin von dem Diplomaten Konrad Weber, der sich in einem eher mehrdeutigen Verhältnis aus innerem Rückzug, Mitläufertum und Dissidenz zum NS-Regime befindet. "Manchmal spröde und jederzeit intelligent" findet Schröder diesen komplex konstruierten Roman und sieht durch ihn die Frage aufgeworfen, wie legitim es sei, individuelle Entscheidungen retrospektiv zu beurteilen.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 16.04.2009

Noch lange nach der Lektüre klingen Catharina Koller die Ohren. Nora Bossongs neuer Roman scheint an Vielschichtigkeit und Konzentration kaum zu überbieten. Wenn die Autorin das Psychogramm des Diplomaten Konrad Weber in waghalsigen Zeitsprüngen kreuz und quer durch die Jahrzehnte entwirft und dabei den Leser mit "Strahlenkränzen von Bedeutungszuschreibungen" (zu Mänteln und Orangen etwa) beschenkt, freut sich die Rezensentin. Für Koller zählt indes auch die kriminologische Spannung, die zwischen den im Buch mittels der Erinnerung aufgerufenen Generationen entsteht. Und die "präzise Sprachgewalt", mit der Bossong ihre Geschichte fest im Griff hat.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11.03.2009

Nora Bossongs gleichermaßen auf Tatsachen und Spekulation basierende Geschichte des jungen deutschen Vizekonsuls Weber in Mussolinis Italien gibt Beate Tröger Rätsel auf. Die Frage, wer genau dieser Weber ist, dem im Text die Figur des Eugenio Pacelli, der spätere Papst Pius XII., gegenübergestellt wird, und wie es um seine Moral bestellt ist, wird der Rezensentin nicht restlos beantwortet. Für Tröger ist ebendies eine Qualität des Romans, der sie auch durch seine szenischen Bruchstücke und seine spannungsreiche Komposition überzeugt. Durch seine, wie Tröger erklärt, auch nach mehrmaligem Lesen noch reiz- und rätselvolle Vieldeutigkeit übertrifft das Buch die hochgesteckten Erwartungen nach Bossongs Romanerstling von 2006 noch.
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