Christoph Hein

Willenbrock

Roman
Cover: Willenbrock
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2000
ISBN 9783518411551
Gebunden, 319 Seiten, 20,35 EUR

Klappentext

Bernd Willenbrock, ehemals Ingenieur in einem DDR-Betrieb, führt in Berlin einen Gebrauchtwagenhandel; ein sympathischer Mann im besten Alter, der sich geschickt mit den Verhältnissen arrangiert. Alles scheint zu stimmen: Die Ehe funktioniert, gemeinsame Wochenendfahrten ins Haus auf dem Lande unterbrechen den Alltag, die Gattin hat Spaß an der Arbeit in der eigenen Boutique. Von Willenbrocks Treffen mit attraktiven Kundinnen bekommt sie nichts mit.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 06.07.2000

Rezensentin Dorothea Dieckmann ist wenig davon angetan, wie Christoph Hein in diesem Roman seine an sich gute Idee von Person und Schauplatz der Handlung umsetzt. Protagonist ist ein Gebrauchtwagenhändler in Deutschlands Osten. Er lebt "ein Durchschnittsleben zwischen privatem Eigenheim und einem dieser Autohöfe, der seinen Besitzer reich machte". Der Autohof biete wegen der milieubedingten Zwielichtigkeit einen potentiell interessanten Schauplatz für "Gebrochenheit" und "innere Abgründe" und einen glaubwürdigen Hintergrund für die Darstellung eines "trauriges Daseins". Diese jedoch glaubwürdig darzustellen und mit Leben zu füllen, gelingt Hein nach Auffassung von Dieckmann nicht. So stehe der Aufwand, mit dem diese Erzählung betrieben wird, in keinem Verhältnis zu dem hier transportierten Inhalt. Eine "ermüdende dokumentarische Schlichtheit" läßt nach Auffassung der Rezensentin Brüche vermissen, die "heile Glätte" bleibt "unglaubwürdig", und es bleibt unerreicht, was die Rezensentin als Ziel von Heins Darstellung vermutet: "das Psychogramm eines Gefährdeten in einer gefährlichen Welt".

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 27.06.2000

Dirk Knipphals versucht diesem Roman mit seiner "gewundenen trockenen Sprache" mit einem `Nein danke - aber vielleicht doch` beizukommen. Immer wieder verspürt der Rezensent den Impuls, die langatmige Schilderung der Geschichte eines Gebrauchtwagenhändlers, der trotz wirtschaftlichen Aufstiegs anhaltender Verunsicherung anheimfällt, wegzulegen. Anders als der durchschnittliche Leser mußte Knipphals jedoch seiner beruflichen Verpflichtung folgen, d.h. er hat durchgehalten. Mit zwiespältigem Ergebnis. Hinter der sich windenden Oberfläche entdeckt er "ein ebenso gnadenloses wie beiläufig erzähltes Psychogramm": des Protagonisten, seiner Ehe, seines verunsicherten Mittelstandslebens, das dem Rezensenten zumindest Achtung einflößt. Eine lustvolle Leseempfehlung ist das nicht unbedingt.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 24.06.2000

Geradezu hingerissen zeigt sich Helmut Böttiger in einer sehr ausführlichen Rezension über Christoph Heins neuen Roman. Dabei hebt er zwei Aspekte ganz besonders hervor: Da ist zum einen das Schwinden eines Gefühls von Sicherheit, das Willenbrock und seine Frau nach einem Überfall durch zwei russische Brüder in ihrem Landhaus durchleben: „Es entsteht ein Gefühl des Ausgesetztseins, das eher diffus ist, aber den Alltag zu prägen beginnt“, beschreibt dies der Rezensent. Aus dem einst hemdsärmeligen, zupackenden Willenbrock wird ein paranoides Nervenbündel. Hein gelingt es nach Böttigers Ansicht, dieses Leben „danach“, das nie mehr so sein wird wie früher, weil der Überfall eine Wunde tiefer Verunsicherung hinterlassen hat, zu vermitteln. Böttiger befürchtet allerdings, dass eine Inhaltsangabe des Buches zwangsläufig „plakativ“ wirken muss. Das Beeindruckende an diesem Buch sei gerade, dass es Hein gelingt, nichts in diesem Roman „aufgesetzt“ erscheinen zu lassen. Der zweite von Böttiger hervorgehobene Aspekt betrifft die seiner Ansicht nach äußerst gelungenen und präzisen Beobachtungen über das Berlin der neunziger Jahre, die der Rezensent sogar mit Heinrich Bölls Schilderungen über die fünfziger Jahre auf eine Stufe stellt.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 24.06.2000

Eine Geschichte, die Agnes Hüfer von Christoph Hein "schnörkellos" dargestellt findet, obwohl nichts an ihr "einfach" oder "eindimensional" ist; ihre Besprechung ist im wesentlich Nachvollzug des Romans. Es geht um den Ingenieur Willenbrock, der nach dem Ende der DDR in Berlin zum Gebrauchtwagenhändler wird; das Geschäft geht gut, seiner Frau richtet er eine Boutique ein, man kauft Immobilien, hat Affairen, belügt sich routiniert. Der beste Kunde Willenbrocks ist der russische Ganove Krylow, der mit seinem deutschen Geschäftspartner lange, "unverblümte" Gespräche führt über "Recht und Geschäft". Denn - obwohl seine stets florierende Geschäfte ihrerseits viel zu tun haben mit Einbruch und Raubüberfall, ist Willenbrock zutiefst schockiert darüber, dass bei ihnen, im Landhaus und im Geschäft, eingebrochen wird. Krylows Antwort ist eine Pistole, die auch tatsächlich beim nächsten Einbruch zum Einsatz kommt. Ob er jemanden im Dunkeln getroffen hat, weiß Willenbrock nicht. "Fast naiv", so Agnes Hüfer, wird das erzählt, ohne Perspektivwechsel oder sonstige sichtbare Raffinessen; dennoch entsteht ein "Subtext", und zwar durch den Leser, der "zu ergänzen geradezu gezwungen ist". So ist der Roman eine "Geschichte ohne jede Botschaft", der die Verhältnisse zum Tanzen bringt, indem er ihnen ihre eigene Melodie vorspielt, meint Agnes Hüfner.
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 21.06.2000

Der erste Eindruck, den man von Christoph Heins neuem Roman bekommen könnte, täusche. Die "genüssliche Langsamkeit" der Schilderung des Gebrauchtwagenhandels habe, so Rezensent Gustav Seibt, mit der Wiedergeburt des sozialistischen Realismus wenig zu tun. Sie bilde nur das beinahe beliebige Material, in das hinein Hein eines seiner typischen abstrakten Denkspiele inszeniere. Vom Gebrauchtwagenhandel führe der Roman über die Andeutung einer Kriminalhandlung zuletzt ins "Zeichenhafte und Allegorische ". Verhandelt werde die akute Bedrohung der Zivilisation durch Gewalt und Barbarei, die aus dem Osten kommen, und in der Figur eines waffendhändlerischen Russen satanisch-allegorische Gestalt werden. Gustav Seibt ist sich nicht sicher, wie wörtlich die Botschaft gemeint ist, findet aber viele lobende Worte für den Kunstverstand des Autors, die "düster-schwarze, kalt-glänzende" Poesie dieses Romans.
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