Andre Glucksmann

Hass

Die Rückkehr einer elementaren Gewalt
Cover: Hass
Nagel und Kimche Verlag, München und Wien 2005
ISBN 9783312003600
Gebunden, 284 Seiten, 19,90 EUR

Klappentext

Aus dem Französischen von Bernd Wilczek und Ulla Varchmin. Der Hass ist längst nicht mehr nur das Kennzeichen fanatischer Splittergruppen. Stattdessen bestimmt er das Denken und Handeln ganzer Volksbewegungen. In gut humanistischem Glauben vertrauen wir darauf, der Hass lasse sich durch Verständnis und Vernunft überwinden. Damit betrügen wir uns nur selbst.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 03.11.2005

Kersten Knipp ist hin und her gerissen. Einerseits findet er viele der Beobachtungen, die Andre Glucksmann in seinem Buch "Hass" notiert hat, "so ganz und gar richtig" - und dann auch noch so vortrefflich formuliert -, dass er sich am liebsten in kognitive Blindheit flüchtete. Denn so viel Richtigkeit habe ja beinahe etwas Bedrohliches. Jedoch konstatiert der Rezensent schon im nächsten Satz, dass "nicht alle Diagnosen zeitgemäß wirken". Ob das wohl daran liegt, dass Glucksmann sich bei den Klassikern bedient, bei Homer und Seneca? Jedenfalls verurteilt der Philosoph unter Berufung auf die Altehrwürdigen die "einmal naive, einmal träge Ignoranz", mit der die Bewohner der europäischen Nationen in ihrem "großen Urlaubsparadies" nichts von den Manifestationen des Hasses, ob in Ruanda oder im Kosovo, wissen wollen. Sie träumten sich die Welt schön, den Menschen sanft. Knipp urteilt knapp angesichts solcher schäumenden Tiraden: "Mäßigung ist Glucksmanns Sache nicht." Und doch hält er Glucksmanns Zorn ausdrücklich für "gerecht" und gerechtfertigt. Glucksmanns Parteinahme für die USA allerdings stößt ihm als zu undifferenziert auf.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 27.10.2005

Glucksmann beschreibt das Phänomen des puren Hasses und des Terrorismus sehr eindringlich - doch das ist auch schon alles, was Thomas Speckmann gelten lässt an diesem Buch. Glucksmanns Prämissen und Schlussfolgerungen findet er durchweg fragwürdig bis falsch. Zum Beispiel die Vorstellung, dass es sich bei dem Terrorismus, wie wir ihn seit 9/11 erleben, um ein neues Phänomen handelt. Es ist nämlich, so Speckmann, keinesfalls so, dass erst die heutigen Selbstmordattentäter die klare Frontlinie verlassen und den Krieg dorthin tragen, wo jeder Zivilist zum Feind wird. Außerdem findet er Glucksmanns ethische Gebrauchsanweisungen fehl am Platz. Seiner Meinung nach ist es nicht moralische Emphase, was wir derzeit brauchen. "Denn wenn der Westen der Spirale der Gewalt irgendetwas entgegenzusetzen hat, dann allenfalls Gelassenheit." Das zeige die historische Erfahrung, schließt der Rezensent ungebeugt.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 19.10.2005

Man muss nicht allen Überlegungen von Andre Glucksmann zum Phänomen des Hasses zustimmen, meint Harry Nutt, der Text lade allerdings dazu ein, die eigenen "politischen Reflexe" zu untersuchen. Der französische Philosoph biete einige "überraschende" und neue Sichtweisen auf altbekannte Gegebenheiten, etwa den permanenten Opferstatus der Palästinenser. Die größte Leistung Glucksmanns sei es aber, ein Stufenmodell für die psychologische Entwicklung des Hasses zu entwerfen. Als Grundraster diene dabei der Medea-Mythos und die Abfolge von dolor, furor, und nefas. Das ist so überzeugend, dass der Rezensent Bösewichte wie Stalin, Hitler und Osama bin Laden als direkte Nachfolger Medeas und der Artriden begreift. Allerdings schlage auch in dieser Abhandlung das "politische Temperament" Glucksmanns durch, der "das Schmettern des Säbels dem subtilen Stoß des Floretts" vorzieht. Nutt kommt die Argumentation in ihrer teilweisen Grobheit und Einseitigkeit ein wenig wie ein "in die Länge gezogener Leitartikel" vor.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 13.10.2005

Der französische Philosoph Andre Glucksmann wartet mit seinem Buch zur Rückkehr des Hasses als "absolutes", "autonomes" Gefühl einmal mehr mit "pointierten Debattenbeiträgen" auf, stellt Ludger Lütkehaus fest. Glucksmann lässt keinen Zweifel an seiner Ansicht, dass man dem Hass nicht durch Aufklärung oder sozialarbeiterische Programme beikommen kann, sondern lediglich mit seiner entschlossenen Bekämpfung, so der Rezensent, der von Glucksmanns Selbstauskunft, er hasse den Hass nicht, keineswegs überzeugt ist. Lütkehaus lobt die "instruktiven" Ausführungen zu verschiedenen Formen des Hasses, wie dem Judenhass, dem Frauenhass oder dem Hass auf Amerika, in denen der Autor die "Rationalisierungsgrundlagen", die diesen Hass jeweils rechtfertigen sollen, analysiert. Auch das Montaigne-Kapitel, in dem Glucksmann den "religiösen Hass" untersucht, findet der Rezensent "vorzüglich". Bei der "glänzend belesenen" Analyse der Medea allerdings fällt es Lütkehaus schon auf, dass der Autor konsequent die "Verletzungen" dieser literarischen "Hassfigur" ignoriert, um sich umso mehr auf ihren "Furor" zu konzentrieren. Dabei lässt der Autor bewusst "Zwischentöne" außer acht, wie er "selbstkritisch" angibt, und das stört den Rezensenten schon ein wenig. Und so wird für seinen Geschmack in dieser Monografie über den Hass zu wenig nach Erklärungsmodellen für die "wahnhafte Paranoia" des Hasses gefragt. Das liegt nach Meinung Lütkehaus' schlicht daran, dass Glucksmann nicht erklären, sondern "lieber kämpfen will".

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 09.09.2005

Abermals unternimmt es Andre Glucksmann, "die reale Existenz des Bösen inmitten der modernen Zivilisation darzustellen", schreibt Rezensent Joseph Hanimann, und damit die Grenzen soziologischer, politologischer und aller anderen rationalistischen Erklärungsmodelle zu markieren, wenn es um den Ausbruch von Gewalt geht. Um den Terrorismus in seiner gegenwärtigen nihilistischen Form. Glucksmann beschreibt den Hass als "die Fähigkeit des Menschen, spontane Wut in seinem Inneren zum Monstrum auszubrüten", erläutert Hanimann. Doch ertragreicher, urteilt Hanimann, wird seine Analyse dort, wo er die halbgare Wahrnehmung dieses Hasses durch die "Weltmeinung" untersucht. Zum Beispiel, wenn er, ausgehend von der Terrorismus-Debatte, eine "vordergründige Israel-Kritik" als "neueste Mutation eines jahrhundertealten Antisemitismus" kennzeichne. Oder in seiner Analyse der Amerikafeindlichkeit. Alles in allem, urteilt Hanimann, eine düstere, "unterschiedlich plausible" Diagnose der aktuellen Weltlage, die mit Montaigne argumentiert, ohne an den "Meister des Zweifels" heranzureichen: "Montaignes Rezept" war "skeptische Distanznahme". Andre Glucksmann verleitet eher zum beschwörenden Starren aufs Böse."
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