Rolf Zimmermann

Philosophie nach Auschwitz

Eine Neubestimmung von Moral in Politik und Gesellschaft
Cover: Philosophie nach Auschwitz
Rowohlt Verlag, Reinbek 2005
ISBN 9783499556692
Gebunden, 271 Seiten, 12,90 EUR

Klappentext

Die Einweihung des Holocaust-Mahnmals in Berlin zeugt vom politischen Selbstverständnis Deutschlands, den moralischen Absturz von Auschwitz ein für allemal bewusst zu halten und die Errungenschaften des demokratischen Rechtsstaats zu unterstreichen. In der philosophischen Deutung muss es darum gehen, aus der geschichtlichen Erfahrung eine Revision traditioneller Moralbegriffe einzuleiten.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 01.06.2005

Die Thesen, die Rolf Zimmermann über eine "Neubestimmung von Moral in Politik und Gesellschaft" (so der Untertitel) als "Philosophie nach Auschwitz" vorlegt, sind nach Detlef Horster nicht unbedingt neu. Das entwertet sie allerdings nicht, bemerkt er dazu, sie seien dadurch nicht weniger plausibel und überzeugend. Für Zimmermann stellt Auschwitz keine "normale" Abweichung vom moralischen Handeln dar, erläutert Horster, sondern einen Gattungsbruch oder eine Gattungskrise. Was das im einzelnen bedeutet, erklärt er folgendermaßen: ein individueller Mörder verstoße gegen die existierende moralische Ordnung, wohingegen der Genozidtäter die alte Ordnung beseitigen und eine neue Ordnung etablieren wolle. So gesehen hätten die Nazis die Juden als Begründer der alten moralischen Ordnung gar nicht aus der Gemeinschaft ausschließen, sondern gleich ganz vernichten wollen, da sie in ihrer neuen Ordnung keinen Platz gehabt hätten. Rolf Zimmermanns philosophische Betrachtungen, so Horster, gehen über das herkömmliche philosophische Instrumentarium hinaus, mit dem man die Vorgänge in Auschwitz nicht begreifen oder erklären könne: hätte Hannah Arendt Zimmermanns Thesen vom Gattungsbruch oder der Gattungskrise gekannt, dann hätte sie das "radikal Böse" vielleicht eher begreifen können, wagt der Rezensent zu behaupten.
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 17.03.2005

Beeindruckt zeigt sich Rezensent Thomas Assheuer von Rolf Zimmermanns Buch über die "Philosophie nach Auschwitz". Der Konstanzer Philosoph verstehe die NS-Herrschaft nicht nur als einen Exzess von Macht, Propaganda und Gewalt, sondern als einen Gattungsbruch, der das Menschenbild der Aufklärung radikal verändert habe. Für die Ethik ziehe Zimmermann den Schluss, dass wir nicht länger an einem "objektivistischen Universalismus" in der Nachfolge Kants festhalten können, wie er etwa von Jürgen Habermas, Hans-Otto Apel oder der amerikanischen Philosophien Christine Korsgaard vertreten werde. Assheuer hebt hervor, dass Zimmermann kein anthropologischer Pessimist ist. Seine Kritik an Habermas, Apel oder Korsgaard sieht Assheuer als Familienstreit. Anders als die lieben Verwandten wolle Zimmermann den Universalismus nicht aus einer vorgängigen Struktur von Sprache und Vernunft herleiten, sondern aus geschichtlichen Konstellationen erschließen, wolle moralisches Handeln letztlich negatorisch begründen: "Allein die Selbstevidenz des Unmenschlichen", so Assheuer, "soll uns die Augen öffnen für die Bestimmung dessen, 'wie Menschen auf gar keinen Fall miteinander umgehen dürfen'". Obwohl sich gegen Zimmermann einwenden lässt, er verstricke sich in Widersprüche und operiere selbst stillschweigend mit einem einheitlichen Menschenbild, hat sein Vorschlag, beim Plädoyer für Menschenrechte solle man von Leiden und Unrecht erzählen, nach Einschätzung Assheuers "viel für sich".