Heinrich August Winkler (Hg.)

Griff nach der Deutungsmacht

Zur Geschichte der Geschichtspolitik in Deutschland
Cover: Griff nach der Deutungsmacht
Wallstein Verlag, Göttingen 2004
ISBN 9783892447108
Gebunden, 272 Seiten, 34,00 EUR

Klappentext

Wenn historische Ereignisse Vergangenheit sind, beginnt der Streit um ihre Deutung. In den säkularisierten Gesellschaften der Moderne spielt Geschichte eine wichtige Rolle bei der Stiftung nationaler und kultureller Identität und bei der Legitimation politischer Herrschaft. Geschichtsbilder können unter diesen Bedingungen große historische Wirkungen entfalten. Wer über historische Deutungsmacht verfügt, übt daher mittelbar auch politischen Einfluß aus. Die Geschichte wird zu einem Kampffeldverschiedener Deutungseliten, die danach streben, ihre Sicht der Vergangenheit durchzusetzen, um so den Handlungsraum und das Selbstverständnis ihrer politischen Gemeinschaft zu beeinflussen. Diesem "Griff nach der Deutungsmacht" spüren der BerlinerHistoriker und Publizist Heinrich August Winkler und zehn Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler in der deutschen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts nach.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 11.09.2004

Insgesamt zufrieden zeigt sich Rezensent Frank Ebbinghaus mit diesem von Heinrich August Winkler herausgegebenen Band zur Geschichte der Geschichtspolitik in Deutschland. Der Band versammle zehn "solide Essays", die geschichtspolitische Debatten an ihren historischen Schauplätze besichtigten. In dieser doppelten Perspektive sieht Ebbinghaus den Reiz des Unternehmens. Ein weiterer Vorzug des Bandes besteht für ihn in der Kontinuität von Fragestellungen und Methoden. Die Beiträge lobt er als "gut verzahnt". So untersuchten drei Autoren das Gedenken von 1848 in unterschiedlichen Epochen, drei weitere Aufsätze widmeten sich der Weimarer Republik und der vorangegangenen Revolution. Bisweilen wirken die Aufsätze der jungen Autoren allerdings "recht bemüht" auf ihn, fallen für seinen Geschmack mitunter auch "allzu quellenlastig" aus. "Es fehlt der Mut zur Kompilation", moniert der Rezensent in diesem Zusammenhang. Auch vermisst er ein Kapitel über das 150-jährige Jubiläum der Paulskirche im Jahr 1998. Grundsätzlich hätte er gern mehr darüber erfahren, "ob und wie aus Geschichte Politik wird".
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 03.05.2004

"Spektakuläre Enthüllungen", wie sie der Herausgeber Heinrich August Winkler mit seinem "Griff nach dem Fritz-Fischer-Titel von 1961" verheiße, seien in diesem Buch mit Beiträgen von Winklers Doktoranden und Doktorandinnen zwar selten, berichtet Gerrit Walther. Wer einen "soliden Rapport" darüber suche, "wie heutige Historiker frühere Politiker nach der Deutungsmacht greifen sehen", sei mit diesem Band aber "gewiss nicht schlecht beraten", meint Walther. Interessant werde der Band vor allem dort, so der Rezensent weiter, wo er Paradoxien der "Geschichtspolitik", also vor allem Fälle behandelt, in denen es nicht gelang, die Geschichte für eine bestimmte Politik zu instrumentalisieren. Walther nennt hier den Beitrag von Kay Wenzel, der zeige, wie der Versuch der wilhelminischen Propaganda misslang, die Befreiungskriege von 1813 als historisches Vorbild für die Heeresverstärkung von 1913 einzusetzen: "Zu beobachten, mit welch schöner Pünktlichkeit taktische Kalküle Ideologien unterlaufen und damit entlarven, ist lehrreich und tröstlich."
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 25.03.2004

Verweise auf die Geschichte sind ein beliebtes Gesellschaftsspiel, bei dem mit willkürlich herausgegriffenen Argumenten Ereignisse in der Gegenwart kommentiert und gerechtfertigt werden, behauptet Rezensent Tillmann Bendikowski. Diesen strategischen Umgang mit der Vergangenheit bezeichne man als "Geschichtspolitik", ein Phänomen, das auch die Historiker als "Kampf um das richtige Gedächtnis" inzwischen ernst nähmen. Gerade die Kulturwissenschaften beschäftigt zunehmend die Frage nach dem kollektiven Gedächtnis, so Bendikowski, allerdings nicht immer mit zufriedenstellenden Ergebnissen. Eine Ausnahme will der Rezensent allerdings bei dem vorliegenden Sammelband gelten lassen, der von Heinrich August Winkler betreut wurde. Die verschiedenen Beiträge - namentlich werden Hilmar Sack, Robert Gerwarth, Kay Wenzel, Sebastian Ullrich erwähnt - untersuchten, wie Erinnerung ebenso Anlass gebe zu Streitigkeiten wie als einigendes Band funktionieren könne. Allerdings, hebt der Rezensent mahnend den Finger, setzt sich bei den Historikern erst allmählich die Einsicht durch, dass für die Forschung nicht nur von Interesse sei, was erinnert werde - sondern auch was vergessen wurde.