Viola Georgi

Entliehene Erinnerung

Geschichtsbilder junger Migranten in Deutschland
Cover: Entliehene Erinnerung
Hamburger Edition, Hamburg 2003
ISBN 9783930908899
Kartoniert, 344 Seiten, 30,00 EUR

Klappentext

Geschichte hat eine wichtige Funktion bei der Ausbildung von Identität. Das gilt auch für jugendliche Migranten in der Bundesrepublik, die sich mit Nationalsozialismus und Holocaust als historischem Erbe des Einwanderungslandes auseinandersetzenund sich dieses auf vielfache Weise aneignen. Viola Georgi geht in ihrem Buch der Frage nach, welche Bedeutung Nationalsozialismus und Holocaust unbestritten die zentralen Ereignisse der deutschen Geschichte für junge Migranten haben.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 05.11.2004

"Bemerkenswert" findet Rezensent Michael Jeismann diese Studie der Soziologin Viola B. Georgi, die sich mit dem Umgang junger, nichteuropäischer Migranten mit der deutschen Geschichte und insbesondere der Erfahrung des Holocaust befasst. Jeismann lobt die "große methodischer Genauigkeit", mit der Georgi die Brüche des Geschichtsbewusstseins anhand ausgesuchter Beispiele untersuche und damit die Kenntnis der changierenden Vergangenheitsbezüge innerhalb der deutschen Gesellschaft deutlich erweitere. Anhand von Fallbeispielen arbeite Georgi vier Typen des Geschichtsbezugs in der deutschen Einwanderungsgesellschaft heraus: Beim ersten fühle man sich selbst als Opfer des Nationalsozialismus, beim zweiten identifizierten sich die Migranten so weit mit der deutschen Gesellschaft, dass sie die historische Schuld für sich annehmen. Die dritte Gruppe von Migranten stelle die Erfahrungen der eigenen ethnischen Gruppe in den historischen Erfahrungsraum der Deutschen und versuche auf diese Weise, die eigene Geschichte in die des Einwanderungslandes zu integrieren. Im vierten Typus schließlich werde durch den Bezug zur "Menschheit" die Erfahrung des Holocaust universalisiert. Jeismann hebt insbesondere Georgis Befund hervor, dass die Herkunft für das Verhältnis zur deutschen Geschichte weit weniger bedeutend sei, als das Maß an Integration und Akzeptanz, das den Ausschlag über die Annahme der deutschen Geschichte in einer Aneignung zweiten Grades gebe.
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Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 15.05.2004

Recht aufschlussreich findet Claus Leggewie diese Studie von Viola Georgi, die der Frage nachgeht, ob und inwiefern Immigranten nicht nur in die heutige Lebenswelt, sondern auch in die Geschichte und Vergangenheit ihres Aufnahmelandes eingewandert sind. Wie Leggewie berichtet, arbeitet die Autorin auf Grundlage von Interviews mit 15- bis 20-jährigen Migranten zu ihrem Geschichtsbewusstsein verschiedene Typen heraus, sich zur Deutschen Vergangenheit zu verhalten. Die meisten Migranten tendierten dazu, referiert Leggewie, sich die deutsche Vergangenheit zu "leihen", und zwar mit unterschiedlichen, für die Bewältigung der Gegenwart nützlichen Absichten. Am erhellendsten findet er die von Georgi geführten Gespräche, während ihm ihre methodischen Hinführungen etwas langwierig scheinen. Kritisch sieht er insbesondere die bisweilen etwas "oberlehrerinnenhaft" Kommentare zu den Aussagen ihrerGesprächspartner. Nichtsdestoweniger kommt er zu dem positiven Urteil: "Die von Georgi im deutschen Sprachraum erstmals systematisch erarbeitete Problematik ist zentral für den Unterricht an Schulen und Universitäten sowie für die künftige Arbeit von Gedenkstätten und von daher Pflichtlektüre."

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 07.02.2004

Mit großem Interesse liest Frank Keil das vorliegende Buch, dessen Autorin elf ausführliche Interviews mit Immigrantenkindern über ihr Bild des Nationalsozialismus geführt hat. Keil merkt an, dass diese elf Interviews aus einer viel größeren Zahl von Gesprächen ausgesiebt sind und von der Autorin akribisch kommentiert werden. Voraussetzung für die Gespräche war, so Keil, dass die jungen Menschen sich ausdrücklich für die Nazizeit interessieren. Paradoxe Reibungs- und Annäherungsprozesse erkennt Keil hier bei den Jugendlichen. Sehr häufig versucht man sich gerade über die Einverleibung des schwierigsten Teils der deutschen Geschichte den Deutschen anzuverwandeln: "Geschichtsaneignung" nennt Keil das. Es ist allerdings eine widersprüchliche Sache, wie Keil immer dann merkt, wenn die Befragten über die dunklen Momente in der Geschichte ihrer Herkunftsländer sprechen und häufig in Klischees verfallen. Als problematisch merkt Keil die Voraussetzung des ausdrücklichen Interesses an der Nazizeit an - diese Jugendlichen dürfen darum nicht als repräsentativ gelten. Auch dass aktuelle Probleme wie der Islamismus nicht angesprochen werden, bedauert er - am Ende aber ist das Buch für ihn vor allem ein "wichtiger Beitrag für die Debatte um Heimat, Geschichte und Heimatkonstruktion".

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 08.01.2004

Was haben in Deutschland eingebürgerte Ausländer mit der deutschen Vergangenheit zu schaffen? Dieser Frage widmet sich der vorliegende Band, der das Thema aus dem Blickwinkel 15- bis 20-jähriger Migranten und Migrantenkinder beleuchtet, erklärt Antonella Romeo. Die Schüler erzählen der Soziologin Viola B. Georgi "was Nationalsozialismus und Holocaust für sie" bedeutet. Romeo, die empfiehlt die ersten hundert Seiten mit allerlei wissenschaftlichen Erklärungen zu überspringen, ist gerührt von diesen Gesprächen. Die Schüler versuchten immer wieder, die deutschen Mitschüler "zu entlasten" und vertrauten auf eine bessere Zukunft. "Manchmal klingt es, also ob sie bereit wären, die Last der deutschen Vergangenheit mitzutragen, wenn sie dafür in die Gesellschaft eintreten dürften", hat Romeo festgestellt. Dass Georgi die Gespräche kommentiert, findet sie ganz überflüssig: "Die Schüler sprechen doch Deutsch."

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 22.10.2003

Eine "eindrucksvolle" Studie hat die Erziehungswissenschaftlerin Viola Georgi da vorgelegt, findet Harald Welzer. Beeindruckt hat den Rezensenten vor allem die Erkenntnis, dass die Aneignung von Geschichte in den deutschen Klassenzimmern nicht nur anders geschieht, als sich das die Pädagogen vorstellen mögen, sondern auch "weit vieldeutiger". Grundlage der Arbeit stellen Interviews mit 32 Jugendlichen unterschiedlichster Herkunft dar, die sich im Unterricht "extensiv mit der NS-Vergangenheit und dem Grauen des Holocaust" auseinander gesetzt haben, erfahren wir von Welzer. Aus diesen habe die Autorin elf "ausführliche Fallgeschichten destilliert". Interessiert habe Georgi dabei nicht das abrufbare Wissen über den Holocaust, sondern der Gebrauch desselben. Dieser sei hochgradig davon bedingt, "wie ausgegrenzt oder integriert" die Jugendlichen sich selbst in Deutschland fühlen, erklärt der Rezensent.
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