Ljudmila Ulitzkaja

Die Lügen der Frauen

Roman
Cover: Die Lügen der Frauen
Carl Hanser Verlag, München 2003
ISBN 9783446203600
Gebunden, 168 Seiten, 16,90 EUR

Klappentext

Aus dem Russischen von Ganna-Maria Braungardt. Shenja ist eine Frau, zu der man rasch Zutrauen fasst. Ireen, eine englische Ferienbekanntschaft, erzählt ihr sofort ihre ganze (erfundene) Lebensgeschichte, und bei einer Dokumentation über russische Prostituierte in der Schweiz bemerkt sie verblüfft, dass jedes Mädchen die gleiche Kindheit hinter sich hat. Eine literarische Erkundung der weiblichen Lügen, ein Zyklus gewitzter und weiser Geschichten, die alle von der Kunst zu leben handeln.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 17.12.2003

Der "klugen und sensiblen Hauptfigur Shenja" in Ljudmila Ulitzkajas neuem Buch hat die Rezensentin Ilma Rakusa "uneingeschränkte Sympathie" entgegengebracht. Sie sei eine wahre "Heldin unserer Zeit", schwärmt Rakusa, die sich von den "heiter-ernsten Einblicken in die weibliche Psyche und die Wirrnisse des russischen Alltags" hat begeistern lassen. Zwar sei das Buch recht "flott" erzählt, doch bedinge dieser geradlinige Stil auch eine gewisse "Seichtheit", die der Rezensentin zufolge zwar perfekt mit den "Lügen der Frauen" harmoniere, aber eben nicht ausreiche, um die "komplexe Wirklichkeit" nachzuzeichnen.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 08.10.2003

Hier wird einmal deutlich gelobt: Kathrin Hillgruber nennt das Buch einen "Episodenroman" mit "dezent" geschaffenen Verbindungen, und beschreibt die Haltung der im Zentrum sitzenden Erzählerin Shenja, die sich von "ungläubigem Erstaunen zu ironischer Skepsis" entwickelt. Die Rezensentin kennt die Autorin und ihr Werk gut und bezeichnet es als ein "erzählerisches Matriarchat". Zudem scheint sie Ulitzkaja zustimmen zu wollen in der Aussage über Russland: "Ich kenne kein Land, wo die Situation der Frauen so von Unglück geprägt ist." Immerhin aber ist dieses Unglück der Anlass ihrer Lügen, die von den russischen Frauen aus "ästhetischen" Gründen erzählt werden: Sie lügen sich ihr Leben schön. Und so urteilt Kathrin Hillgruber, wohl in Anlehnung an das Glück des Camus'schen Sisyphos, man müsse sich Ludmila Ulitzkaja "als wahre Philanthropin vorstellen".

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 06.10.2003

"Wie leicht das Leben sein kann!" Wie viel Kritik schon in diesem ersten Satz mitschwingt, erkennt der Leser erst im Laufe von Meike Fessmanns Besprechung. Denn genau die Leichtigkeit ist es, die sie Ljudmila Ulitzkaja vorwirft. Eine Frau wie deren Hauptfigur Shenka würde man wirklich gerne kennen, meint mit leisem Spott die Rezensentin: sie ist zugleich aufmerksame "Freundin" und aufopferungsvolle und selbstvergessene "Über-Mutter", dazu noch "intelligent", und spendet Lebenshilfe, wo sie nur kann. Bis sie bei einem Autounfall schwer verletzt wird, erst nach drei Monaten überhaupt im Rollstuhl sitzen kann und nur darauf wartet, dass der Frühling kommt, um ihren "schlaffen" fast leblosen Körper in einer ruhigen Minute vom Balkon stürzen zu können. Die Standpauke einer Freundin holt sie allmählich ins Leben zurück. Soll der Leser jetzt "an die heilige Mutter des Pragmatismus glauben", fragt die leicht verärgerte Rezensentin. Ulitzkaja hat sich von einem Trend hinreißen lassen, lautet ihr Fazit, nämlich von der Woge des "Existentiellen light", in dem alles luftig und "unbeschwert" sei. Doch Tod und Schmerz reimten sich nun einmal nicht auf Leichtigkeit. Das sei wirklich schade, findet unsere Rezensentin, denn der Roman sei nur so gespickt von "wunderbaren Episoden". Hätte sie es bei diesen Episoden belassen, wäre ihr ein guter kleiner Roman gelungen, meint Fessmann, und nicht bloß ein "Märchen", das lediglich "kein schlechter" Roman ist.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29.09.2003

Fantasie, Lüge und "die Windungen der weiblichen Psyche" sind die Ingredienzien, die Kerstin Holm an diesem "kleinen Roman" von Ljudmila Ulitzkaja mag. Kleine und große Lebenslügen ziehen sich durch diese Geschichten, die der Rezensentin "ein Bild des täglichen Seelenslaloms" vor Augen führten, mit dem sie sich identifizieren könne. Anfangs geschehe das in der Art eines klassischen russischen Romans, später dann eher im "uferlosen Bewusstseinsstrudel des realen Lebens". Differenziert beobachte die Autorin außerdem die "in vielem unberechenbare" russische Lebenswirklichkeit, wobei Holm den Text zuweilen ein wenig "alltagsfromm" findet. Das hindert sie aber nicht daran, das Buch als "ideale geistige Nahrung" weiter zu empfehlen.
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 25.09.2003

Ursula März bringt der Autorin ein gute Portion an Wertschätzung entgegen, haben ihr doch die früheren Romane und Erzählungen dieser "warmherzigen Sarkastin" gut gefallen. Bei ihrem neuen Roman trägt die Wertschätzung leichte Beschädigungen davon. Das liegt nicht an der burlesken Handlung, versichert März, sondern an der Menge der Stereotypen, die der Roman verbraucht. Natürlich sind es russische Klischees beziehungsweise Klischees von der russischen Seele, die in der Figur der Shenja kulminieren. Sie ist die russische, tieffühlende, weibliche und altruistische Seele in Person, die eindeutig der kulturellen Tradition des Landes verhaftet ist, wogegen März nichts einzuwenden hat. Als störend empfindet sie das "genrehafte Allerweltswissen vom prä- und postkommunistischen Lebensalltag", das in ihr die Vermutung aufkommen lässt, geradezu auf die westliche Leserschaft hin geschrieben worden zu sein, um deren Vorstellungen vom russischen Alltag zu bedienen, als da wären, zählt März auf: trinkfeste Russen, verschlurfte Ehemänner, überarbeitete Ehefrauen, hypochondrische Freundinnen usw. Der sonst für Ulitzkaja typische Übermut erhält durch diesen Schematismus einen kräftigen Dämpfer, schließt März - und ihre Bewunderung einen kleinen.
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