16.11.2009. China / Literatur / politische Bücher / Sachbücher
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Sachbücher 1989 Zum Mauerfall sind in diesem Jahr eine Fülle von Büchern erschienen. Am interessanten fanden wir
György Dalos' Chronik
"Der Vorhang geht auf" (), die über den deutsch-deutschen Tellerrand hinausblickt und ganz Osteuropa in den Blick nimmt. In den Zeitungen wurde das Buch über das Ende der Diktaturen in Osteuropa auch einhellig gelobt. In sechs Kapiteln erzählt der ungarische Schriftsteller und Historiker, wie die kommunistischen Regime von Polen bis Rumänien der Reihe nach und mit wachsender Ungeduld entmachtet wurden. In der
SZ lobt Jens Biskys Dalos' ironischen Stil und seinen Sinn für
politischen Witz. In der
Zeit ruft Detlev Claussen euphorisch: Man muss György Dalos nicht lesen, aber
es hilft ungemein! In der
New York Review of Books erklärt Timothy Garton Ash in einem ebenfalls sehr
lesenswerten Essay das Buch zum "besten und mit Sicherheit amüsantesten Rückblick" auf das Glücksjahr 1989. Hier auch einein unserer Rubrik
Vorgeblättert.
Dem Ende der DDR widmet sich
Ilko-Sascha Kowalczuks "Endspiel" (), und folgt man den durchweg positiven Kritiken, so könnte es sich hierbei um ein neues Standardwerk handeln, das über den Jahrestag hinaus Bestand hat. Peter Voss hebt in der
FAZ hervor, wie präzise und anschaulich Kowalczuk die Bürgerrechtsbewegung, die verschiedenen Phasen des Protests, Honeckers Rücktritt und den Demokratisierungsprozess schildert. Zug um Zug entfalte der Autor die
letzte Begegnung zwischen Regime und Regimegegnern. Auch Franziska Augstein in der
SZ und Christoph Kleßmann in der
Zeit empfehlen dieses "erfahrungsgesättigte, bunte, meinungsfreudige, Widerspruch herausfordernde und höchst lebendig geschriebene" Buch.
Zur Geschichte der Mauer sind bereits im Frühjahr zwei Bücher erschienen, die sozusagen die geteilten Geschmäcker bedienen: Der Historiker
Edgar Wolfrum schildert in seinem Buch
"Die Mauer" () die Geschichte der deutschen Teilung eher nüchtern und mit Blick für die
graue Realität des Betonwalls, wie ihm die
Zeit und die
NZZ übereinstimmend attestieren. Der Brite
Frederick Taylor dagegen schöpft in seinem ebenfalls
"Die Mauer" betitelten Rückblick () aus dem Vollen und erzählt die Geschichte in ihrer ganzen politischen
Dramatik und vor allem mit Blick auf ihre menschliche Tragik. Positiv aufgenommen wurde auch der von
Klaus-Dietmar Henke herausgegebene Sammelband
"Revolution und Vereinigung" (), in dem neben verschiedenen Historikern auch zahlreiche ehemalige Bürgerrechtler zu Wort kommen. Die
SZ mochte auch
Wilfried Rotts Geschichte West-Berlins
"Die Insel" (), die noch einmal den "Vorposten der Antiquiertheit" in sein politisches Recht setzt. Und schließlich sei noch auf einen Fotoband von
Kurt Kaindl hingewiesen, den Ilma Rakusa in der
NZZ besprochen hat. Kaindl hat für
"Reisen ins Niemandsland" die über
dreitausend Kilometer ehemaliges Grenzgebiet in Europa dokumentiert - Landschaften und Orte, durch die sich bis vor zwanzig Jahren der
Eiserne Vorhang zog und deren Gegensätzlichkeit Rakusa ausgesprochen faszinierte.
Monika Marons Roman "Flugasche" zeigte 1981 am Beispiel Bitterfeld den ganzen industriellen und moralischen Bankrott der DDR. In ihrem Bericht
"Bitterfelder Bogen" () nun wird die einst "schmutzigste Stadt Europas" zum Sinnbild eines
gelungenen Aufbruchs. Und ausgerechnet Q-Cells, ein Solarbetrieb von ehemaligen Kreuzberger Alternativen wurde zur Triebkraft des Aufschwungs. Die
Zeit staunt, wie Maron hier das Ingenieurwesen mit der Weltgeschichte zu Literatur verbindet. Die
NZZ preist ihren ebenso
nüchternen wie poetischen Stil. Christoph Schröder feiert die Reportage in der FR als "Therapieversuch gegen den von den Medien potenzierten
ostdeutschen Selbsthass". Sehr positiv auch die Kritiken in der
FAZ und
im Tagesspiegel. Hier noch ein
Interview im
Spiegel mit Maron. Und Bitterfeld ist nicht die einzige Erfolgsgeschichte, wie der Band
"Zukunft erfinden" über kreative Projekte in Ostdeutschland beweist. Hier werden keine Patentrezepte verkündet, sondern "kleine Befreiungsschläge und Auswege" aus der Misere beschrieben, lobt die
SZ.
Der neue ÜberwachungsstaatEinen Nerv getroffen haben ohne Zweifel
Juli Zeh und
Ilija Trowjanow mit ihrer Streitschrift gegen den Überwachungsstaat
"Angriff auf die Freiheit" (). Die beiden prangern dabei die
Schnüffelei im Dienst des Staates und des Kommerzes an, aber auch unsere eigene
unbekümmerte Selbstenblößung. Einig sind sich die Rezensenten, dass Trojanow und Zeh sich die richtige Bestie herausgesucht haben, und dass beide eher
mit dem Säbel als mit dem Florett fechten. Auch an manchmal allzu groben Vereinfachungen störten sich die Kritiker in
FR und
FAZ. NZZ und taz ließen sich den "geradezu volkspädagogischen Elan" dagegen gern gefallen. Beinahe untergegangen wäre
Gerhart Baums Plädoyer
"Rettet die Grundrechte!" (), wenn es nicht Michael Naumann in der
Zeit besprochen hätte. Der ewige liberale Streiter geißelt darin den innenpolitischen
Machtzuwachs des Staates gegenüber seinen Bürgern und das erschreckende Desinteresse der Bürger an der Aushöhlung ihrer Rechte. Hingewiesen sei auch noch auf
Thomas Darnstädts Band
"Der globale Polizeistaat" Internationales Nur einmal, dafür sehr nachdrücklich wurde dieses Buch von
Matthias Küntzel über
"Die Deutschen und der Iran" empfohlen. In der
taz begrüßte Micha Brumlik diese Studie, die klarmache, dass das vielbeschworene gute Verhältnis der beiden Länder beileibe nicht auf einer Allianz der Demokraten fußt, sondern auf den blendenden Kontakten von Wirtschaftskammern,
Antisemiten und Bombenbauern. Beachtung gefunden hat auch das Buch
"Die große Rezession" des New Yorker
SZ-Korrespondenten
Nikolaus Piper, das den großen Umbruch beschreibt, vor dem die USA seit dem Bankencrash wirtschaftlich stehen.
GeschichteDaniel Goldhagen ist mit seinen scharfen Thesen immer für eine Debatte gut. Ob die Thesen - wie etwa die seinerzeit heftig diskutierte Behauptung eines quasi "genetischen" Antisemitismus der Deutschen - am Ende richtig sind, ist eine andere Frage. In seinem jüngsten Buch
"Schlimmer als Krieg" () erkennt Goldhagen hinter Genoziden auch ein rationales politisches Kalkül, und er fordert einen westlichen
Interventionismus, auch gegen den Willen der UNO, die seiner Meinung nach Genozide eher begünstigt als verhindert (so legte er es in einem
Interview im
Standard und in einem
Welt-
Interview dar). In der FR
fand Micha Brumlik Goldhagen vor allem in der Erklärung des Genozids als einem bewusst herbeigeführten politischen Akt stark, bei dem vor allem auch der Einzelne in der Verantwortung steht. Jan Süselbeck antwortet in der
taz etwas reflexhaft, man müsse differenzieren und dürfe die Einzigartigkeit des Holocaust nicht in Frage stellen.
Harald Welzer, selbst Holocaustforscher, legt Goldhagens Buch in der
Zeit noch schneller zur Seite. Goldhagen sei uninformiert. Welzer rät, das Buch totzuschweigen: "Bitte keine Debatte", lautet die Überschrift seines Artikels.
Gehörig beeindruckt hat
Heinrich August Winkler die Kritiker mit seinem neuestes Werk, einer 1300-seitigen
"Geschichte des Westens" (), die den Bogen von Echnaton bis zum Ersten Weltkrieg spannt. In der
NZZ staunt Cord Aschenbrenner, wie anschaulich und klar Winkler die Massen seines Wissens ordnet, in der
FAZ zieht Tim Blanning den Hut vor soviel
Tiefgründigkeit. Allerdings warnt nicht nur Dirk von Laak in der
Zeit vor Winklers recht eigener Gewichtung, die einige Epochen in Siebenmeilenstiefel durchschreitet und einige Länder überhaupt nicht, dafür Deutschland extrem ausführlich behandelt. Trotzdem: ein neues Standardwerk. Und "beneidenswert kenntnisreich", wie Johannes Willms in der
SZ versichert. Bereits Anfang des Jahres ist
Philipp Bloms Buch
"Der taumelnde Kontinent" () erschienen und ausgesprochen unterschiedlich besprochen worden: Die Reaktionen reichen von "souverän und mitreißend" bis "naiv". Im Kern geht es Blom darum, mit der neuen Vorstellung aufzuräumen, das
schreckliche 20. Jahrhundert habe erst 1914 begonnen. Militarismus, Imperialismus und Kolonialismus haben ihren Ursprung für Blom in der
Belle Epoque.
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