04.09.2006. Was passiert, wenn man als letzter Mensch auf der Erde ist, als Jugendlicher in der Waffen-SS, als Kanadier in Shenzhen oder als ukrainischer Student in Moskau? In unseren zehn besten Büchern des Monats erfährt man das alles - und mehr.
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- im vergangenen
Bücherbrief- in den
Literaturbeilagen des Sommers
- in den
Büchern der Saison- in
Vorgeblättert- in der
Krimikolumne "
Mord und Ratschlag"
- in unserer
Auswahl der
besten Bücher 2005Buch des MonatsThomas GlavinicDie Arbeit der NachtRoman
Ein junger Autor, dem jegliche
Manierismen fremd sind und der formal radikal über den tiefsitzenden
Horror Vacui erzählt, das hat die taz sichtlich beeindruckt. Der Held wacht auf und ist allein auf der Welt. Wie
Thomas Glavinic ihn Stück um Stück zerüttet, immer paranoider werden lässt, um dann in einer überraschenden wie verzweifelten Geste die Liebe ins Spiel zu bringen, das ergreift die
NZZ. Liebe und Leere, so macht man
große Literatur!
LiteraturGünter GrassBeim Häuten der ZwiebelÜber dieses Buch, seinen Autor und dessen Bekenntnis, als Jugendlicher Mitglied in der
Waffen-SS gewesen zu sein, haben die Feuilletons sich den Mund fusselig diskutiert
in den vergangenen Wochen. Alle Kritiker betonen daher ausführlich, das Werk für sich sprechen zu lassen. Von meisterlich (
FAZ,
Zeit) bis ästhetisch penetrant (
SZ) reichen die Verdikte. Sicher ist nur, dass es einiges zu finden gibt in diesem Buch. Und dass es ein
gewaltiger Verkaufsschlager ist.
Thomas Hettche Woraus wir gemacht sindRoman
Thomas Hettche hat die Bundesrepublik verlassen und sich mit dieser Geschichte erstmals in die USA getraut, nach New York und
Texas, ein Jahr nach dem 11. September. Und er hat gut daran getan, befindet die
FAZ. Sie goutiert die perfekte Balance aus
Thrillermomenten und Fremdheitserfahrungen und mag anscheinend auch die Filme David Lynchs, denen dieser thrillerhafte Roman in seinem Verlauf glücklicherweise immer näher komme. Hier eine
Juri Andruchowytsch MoscoviadaRoman
Extremtouren durch
Suff,
Sex und Literatur und das untergegangene Sowjetreich - Juri Andruchowytschs im Original schon 1993 erschienenes Denkmal seiner
Hassliebe zu Moskau ist für die
NZZ ebenso vergnüglich wie lehrreich, wie sie (mit Schweizer Distinguiertheit) bemerkt. Die Abgründe eines russischen Studentenlebens sind ihr nun bis ins letzte Detail bekannt, bis hin zum typischen Geruch nach
Müllschlucker, Alkoholfahne und Sperma. Der taz macht das alles ebenfalls großen Spaß wenn sie ihre ernsthafte Hochkritikerrolle mal für einen Moment vergisst.
Hier eine
Christina ViraghIm AprilRoman
Im besten Buch, das
Christina Viragh laut
NZZ bisher geschrieben hat, geht es um eine Wiese, die den Menschen um sie herum nicht gut zu tun scheint. Diese
leere Mitte des Buches, in der sich 600 Jahre Geschichte bündeln, fasziniert die
NZZ. Vier Zeitebenen, eine Fülle an unheimlichen Begebenheiten, eine sinnliche Sprache und Detailschärfe, das alles mit
poetischer Gestaltungskraft zu einem Ganzen verwoben - die Eidgenossen sind begeistert. Hier eine
Norberto FuentesDie Autobiografie des Fidel Castro Norberto Fuentes' fiktive Erinnerungen von Fidel Castro dürften wohl kaum zu dessen Genesung beitragen, selbst wenn die Feuilletons es in den Himmel loben. Fuentes war bis zu seiner Verhaftung ein wohlgelittener Journalist des Regimes. Vielleicht stammt seine an
Hemingway geschulte Erzählweise aus dieser Zeit, sicher aber die intimen Kenntnisse über den maximo lider. Die
NZZ beeindruckt beides. Die
FAZ weiß nun, wie Castro wirklich ist. Und die Zeit kann sich schwer vorstellen, dass in den nächsten Jahren ein besseres Buch über den dienstältesten
politischen Überlebenskünstler erscheint.
SachbuchDavid Stevenson1914-1918. Der Erste Weltkrieg Keinerlei theoretische Reflexion weit und breit. Gut so, applaudiert die
FAZ. Der britische Historiker bleibe in seiner Darstellung des Großen Krieges bei den
Fakten und erzähle Geschichte wie es sich gehört, nämlich als große Geschichte. Wie Stevenson die national beschränkten Perspektiven sprengt und den Krieg als Ganzes schildert, hat die
Zeit begeistert. So ausführlich, konkret und ungeschminkt:
einfach grandios.
Daniel ArasseMeine Begegnungen mit Leonardo, Raffael & CoFranzösische
Kunstdelikatessen vom Feinsten verbergen sich hinter der etwas unglücklich an ein Kochbuch angelehnten Aufmachung, verrät die
Zeit. Daniel Arasses gelungene Mischung aus persönlichen Eindrücken und wissenschaftlich
fundierter Analyse macht dieses Werk für sie zu der kunstgeschichtlichen Empfehlung der vergangenen Jahre. Exquisit auch, wie elegant Arasse vom
Detail zum Allgemeinen kommt.
HörbuchHeimito von DodererDie Merowinger oder Die totale Familie10 CDs
Dem Burgschauspieler
Bernd Jeschek ist es zu verdanken, dass
Heimito von Doderers vielschichtige Mittelalter-Satire zu einem zwölfstündigem Hörereignis wird. Jeschek fistelt,
piepst und brüllt nicht nur ganz famos in breitestem Österreichisch, sondern lässt sich auch bereitwillig auf die exquisiten Absurditäten Doderers ein. Soweit die
SZ. Die
NZZ lobt Jeschek besonders dafür, zielsicher nur die wirklich
guten Witze zu betonen.
BildbandGuy DelisleShenzhen Ein Comic über China, ohne Menschenrechte, Geschichte und Politik zu erwähnen, ist selten.
Guy Delisle war 1997 für drei Monate in der Provinz Shenzhen nahe Hongkong. Ihm geht es in seinem Bericht um ein China, wie es sich dem
westlichen Auge präsentiert, und um die eigene Erfahrung der völligen Isolierung in der Fremde. Dieses eher bedrückende Sujet wird laut
NZZ ebenso unbeschwert wie selbstironisch dargestellt. Für sie ist Shenzhen nun weniger eine chinesische Provinz als ein schwebendes
irreales Niemandsland, ein brodelndes Labor der Globalisierung.