05.04.2005. Romane, Lyrik, Kinderbücher / Zweiter Weltkrieg / Politische Bücher / Sachbücher
Romane, Lyrik, Kinderbücher /
Zweiter Weltkrieg /
Politische Bücher /
Sachbücher Es lässt uns nicht los.
Sechzig Jahre Kriegsende führen zu einer neuen Welle des Gedenkens. Wir haben hier Bücher unterschiedlichen Charakters zusammengestellt, wichtige neue Studien wie "Hitlers Volksstaat" von
Götz Aly, aber auch Romane, Biografien und Erinnerungen.
Die Deutschen stimmten dem Nationalsozialismus auch deshalb zu, weil in von
Raubzügen und Massenmord in
"Hitlers Volksstaat" vor allem die einfachen Leute profitierten.
Götz Alys Auffassung des Dritten Reichs als Gefälligkeitsdiktatur ist sicherlich das meistdiskutierte Buch der Saison. Aly hat hier ein ganz neues Forschungsfeld eröffnet, schwärmt Hans Mommsen in der
SZ, die
FAZ bewundert das "faszinierende Interpretationsmuster", die
FR das "staunenswert perfide" System. Die
Zeit klassifiziert die Untersuchung als "Spätfrucht der materialistischen Geschichtsschreibung", möchte aber bei aller Umstürzlerei die ideologischen Grundlagen des NS-Regimes nicht vernachlässigt wissen. Nur der in Cambridge lehrende Wirtschaftshistoriker
J. Adam Tooze schießt in der
taz quer und stellt lapidar fest, Aly habe sich verrechnet, die provozierenden Behauptungen würden damit "vollkommen haltlos" - eine Kritik, die zu einem Disput der beiden in der
taz führte. Hier eine
Um die Ähnlichkeiten zwischen
Italien,
Deutschland und den
USA in den dreißiger Jahren, wie sie
Wolfgang Schivelbusch in
"Entfernte Verwandtschaft" feststellt, wird in den Redaktionen heftig gerungen. Zwischen wohlwollendem Interesse und entsetzter Ablehnung ist alles dabei. Auf der einen Seite des Spektrums findet die
Zeit den Vergleich reizvoll und entdeckt "bemerkenswerte Gemeinsamkeiten" in allen drei Ländern, die
NZZ dagegen schließt Ähnlichkeiten kategorisch aus, da helfen auch Schivelbuschs "argumentative Amokläufe"
nicht weiter, meint sie. Einig sind sich alle, dass Schivelbusch die ohne Zweifel vorhandenen Unterschiede der jeweiligen Regime bei aller Vergleichslust ein wenig unter den Tisch kehrt.
Norbert Freis These von der
Veränderung im Erinnern des Zweiten Weltkriegs ist in allen Feuilletons neugierig aufgenommen worden. Als anregend und
hellsichtig loben die Kritiker die Feststellung, dass mit dem Verschwinden der letzten Zeitzeugen der Drang nach
Vergegenwärtigung des Nationalsozialismus paradoxerweise noch zunimmt. Dass der Generationenwechsel allein dafür verantwortlich sei, glauben zumindest
taz und
FR allerdings nicht so ganz. Alle hoffen allerdings frohgemut auf eine Fortsetzung der Diskussion. Frei habe mit
"1945 und wir" den
"Fehdehandschuh" geworfen, nun müsse ihn nur noch jemand aufgreifen.
Briefe / Tagebücher Nach 25 Jahren hat
Walter Kempowski sein "kollektives Tagebuch" nun mit dem zehnten Band
"Abgesang 1945" abgeschlossen, und alle Kritiker knien nieder in
Ehrfurcht. Mit dem letzten Teil des Echolots ist zugleich auch dessen
künstlerischer Höhepunkt erreicht, notiert etwa Gustav Seibt in der
SZ. Bisher hat nur die
Zeit den Nachdruck der Briefe
Margret Boveris registriert, die die Journalistin von Februar bis September
1945 aus Berlin verschickte. Die genauen Beobachtungen und Berichte lassen
"Tage des Überlebens" () aus der Fülle der Erinnerungsliteratur herausragen, meint Haug von Kuenheim, der es jedem, der sich ein Bild von dieser Zeit machen will, "ans Herz" legt. Mehr Aufmerksamkeit erfährt
Heike Görtemakers Biografie
"Ein deutsches Leben" der
"großen Journalistin" Boveri, die Rezensenten aller Zeitungen zufriedenstellt.
"Ein
entsetzliches, ein
grandioses, ein
Jahrhundertbuch" nennt Elmar Krekeler in der
Welt die Tagebücher des rumänisch-jüdischen Schrifstellers
Mihail Sebastian aus den Jahren 1935 bis 1944.
"Voller Entsetzen, aber nicht verzweifelt" () erlebt Sebastian den nationalistischen Größenwahn seiner intellektuellen Zeitgenossen
Emil Cioran,
Mircea Eliade und
Camil Petrescu, während er selbst Ausgrenzung, Demütigungen und Berufsverbot erfährt. In englischer und französischer Übersetzung haben die Tagebücher bereits ein großes Echo gefunden, hierzulande immerhin einzelne bewegte Stimmen. Erschüttert ist der Schriftsteller
Richard Wagner von diesem Dokument. Ebenfalls in der
Welt bezeichnet Peter Motzan die Aufzeichnungen als
"atemverschnürend" und lobt besonders die sorgfältige Übersetzung und Editierung durch Roland Erb und Edward Kanterian.
Heinrich Manns Tagebücher aus der Kriegzeit, die in dieser Form zum ersten Mal veröffentlicht werden, stoßen auf äußerst widersprüchliche Reaktionen. Joachim Fest hält Mann unter anderem wegen seiner Haltung zu
Stalin für einen hoffnungslosen Fall, wobei er das Tagebuch dennoch als aufschlussreich empfiehlt. Willi Jasper nimmt Mann dagegen gegen die "traditionellen Vorurteilsreflexe" des übrigen Feuilletons in Schutz, denn gerade Manns Äußerungen
gegen Stalin nach dem Hitler-Stalin-Pakt seien bisher unbekannt und bestächen durch Hellsichtigkeit.
Romane Zwei deutsche Marinesoldaten werden am 10. Mai 1945 wegen Fahnenflucht
hingerichtet, zwei Tage nach der bedingungslosen Kapitulation.
Jochen Missfeldt versucht in seinem Roman
"Steilküste" die
Kriegsgeneration vorurteilslos zu begreifen und führt damit eines jener Experimente durch, "die nach 1968 selten geworden sind", notiert die
Zeit angetan. Und auch die
taz lässt sich von diesem "hinreißenden Erzähler"
restlos überzeugen. "Interessant seltsam" kommt es ihr vor, wie Missfeldt dieses Paradebeispiel
nacheilenden Gehorsams in allen Facetten ausleuchtet. Sehr gelobt wurde auch
Helga Schütz' neuer Roman
"Knietief im Paradies" der von einem Mädchen erzählt, das die
Dresdner Bombennacht überlebt und in der sowjetisch besetzten Zone aufwächst. "Glaubhaft und nachvollziehbar" findet die
Zeit die damalige Atmosphäre wiedergegeben. Die
taz nennt den Roman einen "leisen, poetischen Auftakt zum Gedenkmarathon des Jahres 2005".
"Kaputt" lautet der legendäre Titel eines ebenso berühmten wie vergessenen Romans von
Curzio Malaparte, der alle politischen Irrtümer des letzten Jahrhunderts hingebungsvoll mitgemacht hat und sie sich hier von der Seele schreibt. Zsolnay legt das Buch neu auf. Für Yaak Karsunke in der
FR die rätselhafte Neuauflage des schlechten Buchs eines
Faschisten, der sich reinwaschen wollte. Für Kurt Flasch in der
FAZ ein verlegerischer Glücksfall. Seine
außergewöhnliche Aktualität verdanke das Buch den aktuellen Ereignissen in der Ukraine, der Diskussion über die Verbrechen der Wehrmacht sowie der Rückkehr Osteuropas ins Bewusstsein des Kontinents durch die EU-Osterweiterung.
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