11.01.2002. Der Dramatiker und Theaterregisseur Michele Perriera hat eine Debatte über die kulturellen Priorität der Regierung Berlusconi losgetreten.
Der Einsatz kam genau zum richtigen Zeitpunkt. Wie in einer gut geplanten Inszenierung gab
Michele Perriera auf den Seiten der Turiner Tageszeitung
La Stampa den Anstoß zu einer Debatte über die Auswirkungen der Berlusconi-Regierung auf das
kulturellen Leben Italiens; und das nur wenige Tage bevor
Renato Ruggiero, der nunmehr ehemalige italienische
Außenminister, die politischen Bühne des Landes verließ. Womit Berlusconi erneut im europäischen Rampenlicht stand.
Schlicht und geschickt hatte der Dramatiker und Theaterregisseur
Perriera seinen
Artikel mit den Worten begonnen: "Ich bin gespannt, welchen Effekt Mitte-Rechts auf die italienische Kultur haben wird." Das hörte sich zunächst so an, als gestehe Perriera der jetzigen Regierung tatsächlich einen konkreten kulturpolitischen Ansatz zu, der es ihr ermöglicht, an eine liberale, laizistische und
feinsinnige Tradition anknüpfen, die Perriera durch Namen wie Ezra Pound, Celine, Luigi Pirandello
oder den jungen
Elio Vittorini (mehr
hier) des
'Garofano Rosso' (Rote Nelke) verkörpert sieht; und die von der Linken wiederum oft genug mit dem Urteil
'irrational' verschmäht wurden.
Anhand eines langen Kataloges rhetorischer Fragen macht Perriera jedoch zwischen den Zeilen deutlich, dass die Berlusconi-Regierung leider die
falsche Richtung eingeschlagen hat. Und damit seiner Meinung nach zu den Vertretern des 'schlechten Geschmacks' zählt, die aus dem
'intellektuellen Unterholz' kommen: "Welche Impulse wird die Rechte der stillen und unscheinbaren
wissenschaftlichen Forschung geben? Welche Initiative wird sie ergreifen, damit
anspruchsvolle Verlage nicht vom kommerziellen Opportunismus überwältigt werden? Was wird sie unternehmen, damit nicht alle Mittel in die großen Theater und Opernhäuser fließen? Wird sie in angemessener Weise
andere Formen szenischer Produktionen unterstützen, die weder kommerziell sind noch dem Starkult huldigen? Wie will sie das
Kino internationaler Couleur fördern, das in der Lage ist, die großen Fragen unserer Zeit zu stellen?" Perrieras mit Fragezeichen getarnte Auflistung der kulturpolitischen Aufgaben der Regierung endet mit einer konkreten Aufforderung: "Wer auch immer an der Macht ist, er höre auf, uns mit der
Diktatur der Zahlen zu langweilen."
Von den rhetorischen Tricks des Theaterprofis fühlte sich als erster der italienische
Minister für Kulturgüter,
Giuliano Urbani, herausgefordert. Er beschwichtigte, was Verkaufszahlen, Zuschauerquoten und Statistiken anbelangt: "Denn wenn es um Kultur geht, ist das Gesetz der großen Zahlen nur schwer mit der Entwicklung einer authentischen Qualität vereinbar." Urbani verordnet gegen den "Despotismus des - anarchischen - Marktes" ein adäquates Rezept: eine "strenge
liberale Therapie". Liberal - in verschiedenen Variationen - lautet Urbanis Credo und Lieblingswort in seiner Replik auf Perriera: "Ich appelliere an die
liberale Inspiration", "mehr Freiheit, mehr Möglichkeiten" oder: "Ich glaube vor allem an die Früchte des Pluralismus und der individuellen Freiheit." Er
verrät sogar, was er darunter konkret versteht: zum Beispiel
Steuervergünstigungen bei Investitionen im Kulturbereich.
Das waren dem Philosophen und linken Europa-Parlamentarier
Gianni Vattimo (mehr
hier) zu viele liberale Slogans. Er
konterte, ebenfalls in
La Stampa: Viel eher als irgendein verspäteter
Anarcho-Dannunzianer (damit meint Vattimo den Staatssekretär für Kultur,
Vittorio Sgarbi, der "vor allem wegen seiner TV-Bildschirm-Bekanntheit in die Regierung gerufen wurde", wozu auch eine
Werbung für Zucker beigetragen hat), sei Urbani derjenige, der die
kulturelle Rechte repräsentiere, deren Einfluss stetig wachse. Vattimo widerstrebt besonders die
"angelsächsische Neutralität", mit der die kulturelle Rechte vorgibt, "die Vernunft gepachtet zu haben (im Gegensatz zur populistischen Gefühlsduselei der Linken), nur weil sie sich auf der Seite der (bestehenden) Ordnung befindet." Für den Philosophen Vattimo tritt die Frage nach rechts oder links in den Hintergrund - "Wozu sollte uns der Unterschied zwischen
Celine und Brecht noch wichtig sein" - angesichts sich immer weiter verbrüdernder unterschiedlicher rechter Kräfte, die zur medialen Überflutung führen: "Es ist die kulturelle Rechte, die sich problemlos verbindet mit
der Rechten des Fernsehens und der
Werbung, die uns immer weiter zuschüttet." In Anbetracht des immer noch nicht gelösten Berlusconischen Interessenkonflikts ist das nicht weiter verwunderlich.
Auch der Historiker und Faschismusforscher
Angelo D'Orsi sieht - wie Vattimo - statt liberalem Geist
nur Quote. Gerade die Aushängeschilder der Rechten, die wiederum oft die Kommentar-Seiten des
Corriere della Sera füllen, riefen nicht nur zur Raison der bestehenden Ordnung auf. Sondern, schlimmer noch, sie stünden auch für den Einsatz
'gleichgeschalteter' Intellektueller in den Schlüsselpositionen. Und beides passt so wunderbar gut zum zähen, dickflüssigen Massenprogramm der RAI-Mediaset-Sendern - so der Historiker. Aber D?Orsi analysiert nicht nur, er weist die Kulturpolitik auch in ihre Schranken. Es sei nicht die Aufgabe der politischen Kräfte, eine Kultur zu erarbeiten. Stattdessen müsse sie die Rahmenbedingungen und Hilfsmittel für freie, ungehinderte und unzensierte Äußerungen schaffen. D?Orsi verabschiedet sich mit einem Seitenhieb auf die kulturelle Kompetenz der Regierung und warnt sie gleichzeitig vor
Größenwahn, indem er an die Kulturpolitik des
frühen Faschismus erinnert: "Damals war ein Philosoph,
Giovanni Gentile, sowohl Minister als auch graue Eminenz der Kultur. Heute heißt der Philosoph an der Macht
Rocco Buttiglione." Und außer der lautstark geforderten Erneuerung des
Abtreibungsparagraphen war von ihm, dem
Minister für EU-Fragen, bislang nicht viel zu hören. Von Gedanken über einen italienischen Beitrag zu einer europäischen Kultur ganz zu schweigen.
Zu einer intellektuellen Mode werden in Italien gerade Vergleiche zwischen dem
Faschismus und der
Regierung Berlusconis. Nach dem Rücktritt Ruggieros, der europaweit für Aufregung sorgte, beschreibt eine der führenden Federn der römischen Tageszeitung
La Repubblica,
Curzio Maltese, die Stimmung im Land: "Das Regime hat die
Stammtische auf seiner Seite und schert sich wenig um die gehobenen Wohnzimmer. Soziologen wie
Ilvo Diamanti informieren anhand entsprechender Umfragen darüber, dass zwar das Vertrauen abnimmt, nicht aber der Konsens. Aber ist nicht gerade die 'Zustimmung ohne Vertrauen', bzw. das resignierte Hängen lassen des Kopfs in Ermangelung von Alternativen, die
perfekte Ausgangssituation für jedes Regime?"
Vernichtend und fast verbittert ist das Urteil, das der sizilianische Schriftsteller
Vincenzo Consolo (mehr
hier), ebenfalls in dem römischen Blatt, über Berlusconi abgibt: "Er besitzt keine Ethik, keine moralischen Prinzipien. Er verkörpert die
neue faschistische Macht, die regressiv ist, ungebildet und ohne historische Kenntnisse. In diesem Land sind humane und zivile Werte verloren gegangen. Das Land ist das Opfer dessen, was Carlo Levi den ?ewigen italienischen Faschismus? nannte."
Consolo hatte auf Bitten der Repubblica über die knappen wie
scharfen Worte des Fiat-Chefs
Giovanni Agnelli nachgedacht. Dem Avvocato war nämlich nach dem letzten Schachzug Berlusconis der
Kragen geplatzt. Als der sonst politisch zurückhaltende Großindustrielle erfuhr, dass der italienische Premier Ruggiero kurzer Hand via Telefon aus einem
sardischen Badeort abserviert hatte, drohte er regelrecht: der Regierung sei gar nicht klar, was der Verlust Ruggieros bedeute. Das werde sie erst später verstehen. Agnelli hatte sich in der Zeit der Kabinettbildung, genauso wie Staatspräsident Ciampi, dafür eingesetzt, dass der versierte Diplomat Ruggiero das Amt des Außenministers erhält. Er könnte jetzt also sogar
persönlich beleidigt sein. Vielleicht hat er sich deswegen auch in
La Repubblica zu der hübschen, aber sehr
stacheligen Charakterisierung Italiens hinreißen lassen: "Wissen sie, was die Wahrheit ist? In unserem Land gibt es leider noch nicht einmal Bananen. Hier gibt es nur
Kaktusfeigen."
Und die stacheligen Kakteen mit den wohlschmeckenden Früchten in ebenso stacheliger Schale wachsen vor allem in
Sizilien. Was aber für den Sizilianer Consolo nicht bedeutet, dass Agnelli auf eine
'mafiosita' oder eine Versüdlichung Italiens anspielen wollte. Consolo interpretiert den Avvocato im Sinne der kulturellen und
politischen Stacheligkeit, Traurigkeit und Depression.
Bei so viel Tristesse schreibt
Adriano Sofri zur
Ehrenrettung der Kaktusfeige eine kurze, poetische und sehr sizilianische Kulturgeschichte des aus Südamerika importierten Fico d?India. Um einen politischen Vergleich kommt er aber auch nicht herum: "Italien wird zur
Wüste werden. Ich weiß nicht, welche Pflanze die
müde Republik besser darstellen könnte. Die Politik hat schon mehrere beschlagnahmt, Rosen und Nelken, Olivenbäume und Eichen,
Margeriten und Sonnenblumen. Die
Zypresse ist großartig, aber zu toskanisch und zu sehr durch Krankheiten dezimiert. Auch
zu schaurig, meinen manche - zu Unrecht."
Einen Ausweg aus dem dunklen Unterholz sehen die italienischen Intellektuellen leider auch nicht.
Luigi Pintor stellt sich in
il manifesto die Frage, ob Ruggiero die
Bananenschale sein könnte, die Berlusconi zu Fall bringt und Italien zurück zur Demokratie. Der Altkommunist gibt allerdings anschließend resigniert und sarkastisch zu: "Weder Kaktusfeigen noch Bananen. Wir sind
jenseits der Früchte. Silvio Berlusconi, der bestenfalls einer
Kokosnuss oder einer
Pampelmuse gleicht, ist schon so gut wie auf dem Quirinal (dem Sitz des Staatspräsidenten), gewählt durch das souveräne Volk und durch die kritische Enthaltung der Brüssler Regierung."
Kaum weniger frustrierend ist
Curzio Malteses Prognose: "Der Tag an dem die Leute den Fernseher ausschalten werden und sich die Straßen mit dem
Volksprotest füllen, wird für den Populisten Berlusconi der Anfang vom Ende sein. Doch der Tag scheint
nicht besonders nah." Die italienische Piazza ist leer - mit einer Ausnahme, meint
Vauro, der
Cartoonist des manifesto: Agnelli. Doch der ist nicht das Volk.