15.12.2010. Wenn man die "Fakten und Argumente" auf der Website des Zeitungsverlegerverbands liest, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Verleger in der Verteidigung ihres so herbeigesehnten Leistungsschutzrechts bewusst einen falschen Eindruck erwecken.
Wenn man die "Fakten und Argumente" auf der
Website des
Zeitungsverlegerverbands liest, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Verleger in der Verteidigung ihres so herbeigesehnten Leistungsschutzrechts
bewusst einen falschen Eindruck erwecken.
Sie tun so, als würden ihre Inhalte
kostenlos im Netz stehen. In den "Fakten und Argumenten" liest es sich so:
"Täglich entstehen in deutschen Zeitungs- und Zeitschriftenverlagen Tausende aufwendig produzierte Artikel, die im Internetzeitalter aber in Sekundenschnelle von Dritten ausschnittsweise oder komplett übernommen, verwertet und vermarktet werden können. Dieser kommerziellen Nutzung stehen die Verlage schutzlos gegenüber, denn sie besitzen im Gegensatz zu anderen Werkmittlern wie der Film- und Musikindustrie heute kein Eigentumsrecht an den Früchten ihrer Arbeit."
Und weiter:
"In Zeiten des Internets kann jedoch insbesondere auch die Online-Presse in Sekunden von Dritten ausschnittsweise oder komplett übernommen und in unterschiedlicher Weise verwertet und vermarktet werden."Das Dumme dabei ist: Viele Zeitungen stellen allenfalls einen
Bruchteil ihrer Inhalte ins Internet, der Großteil ist hinter unüberwindlichen Zahlschranken versteckt. Für das Recht, ältere Artikel zu lesen, verlangen die elektronischen Archive der Zeitungen dabei sogar oft
exorbitante Preise - zum Teil fast doppelt so viel wie sonst eine ganze Zeitung kostet!
Beispiel: ein
FAZ-Artikel von heute (189 Wörter), der bei
Genios für 3,87 Euro verkauft wird (eine komplette Papierausgabe der
FAZ kostet 2 Euro):
Die aktuellen Ausgaben der Zeitungen stehen häufig nur zu einem sehr geringen Teil online.
Bei einer der besten deutschen Qualitätszeitungen, der
Süddeutschen, dürfte Tag für Tag allenfalls ein Anteil von
5 Prozent der Artikel aus der Printzeitung ins Netz gestellt werden.
Was man als Online-Ableger der
SZ im Netz sieht ist ein
dürftiger Abglanz des Printinstituts. Meist handelt es sich um aktuelle Tickerverschnitte, ein paar Bilderstrecken und allenfalls hier und da ein Kommentar oder Leitartikel aus der gedruckten Ausgabe.
Bei der
FAZ ist es genauso: Höchstens 5 Prozent der Printausgabe werden unserer Erfahrung nach online gestellt. Auch ältere Artikel werden nicht freigegeben. In der Netzausgabe des Mediums dominieren ebenfalls Tickerverschnitte und - anders als bei der
SZ - immerhin ein paar lesenswerte Blogs. Ja, in all diesen Medien gibt es Internetredaktionen, die ihr bestes tun. Aber was sie machen, ist ja nicht Zeitung, oder?
Will man den
Focus im Netz
lesen, kommt man auf folgendes Bild:
Der Focus gehört zum Burda-Konzern, und
Hubert Burda ist einer der am lautesten klagenden Lobbyisten der Industrie.
Es gibt sogar Zeitungen, die
komplett und kostenlos im Netz stehen und die man dennoch nicht einfach so online lesen kann. Die
Welt etwa schickt dem
Perlentaucher täglich eine Printausgabe: Nur so - indem er die
Überschriften der Artikel eingibt - findet der
Perlentaucher überhaupt die Links zu den Inhalten. Es gibt zwar eine
Sitemap auf der Website - aber sie ist inoffiziell und unseres Wissens von keiner Seite aus direkt verlinkt. Diese Sitemap ist nur dazu da, dass
Google die Artikel findet und der Zeitung Klicks liefert. Die Leser können ebenfalls nur durch zufällige Suchanfragen bei Google auf die Artikel stoßen. So schlägt die
Welt zwei Fliegen mit einer Klappe: Einerseits liefert Google gute Klickzahlen, anderseits müssen die Leser die Zeitung kaufen, wenn sie wissen wollen, was drin steht.
Auch die Print-
Zeit ist ist gegenüber dem Netz komplett verrammelt. Der
Perlentaucher muss sie auf Papier lesen um zu wissen, was drin steht. Allenfalls Wochen später werden Artikel freigeschaltet.
Es stimmt also keineswegs, dass die Zeitungen dem Zugriff gieriger Internetnutzer oder -medien schutzlos ausgeliefert sind. Sie wissen ihre Inhalte
bestens zu schützen und haben sich in diesem Punkt in den letzten Jahren kaum entwickelt. Während in anderen Ländern - etwa den USA oder Großbritannien -
Bezahlmodelle gerade wieder als das ganz große Ding diskutiert werden, haben die deutschen Zeitungen die Bezahlmodelle überhaupt nie aufgegeben.
Der Preis dafür ist, dass sie sich im Internet auch nicht recht entwickelt haben. Welches deutsche Medium hätte so grandiose Formen wie die
Liveblogs entwickelt, die der
Guardian,
Atlantic Monthly oder die
Huffington Post etwa zu den Ereignissen im Iran oder jüngst zu Wikileaks präsentiert haben? Die meisten Online-Ableger deutscher Printmedien liefern einen fantasielosen
Abklatsch von Printformaten. Selbst der
Spiegel ist etwa bei Blogformaten extrem zurückhaltend.
Wofür genau wollen die Zeitungen also Leistungsschutzrechte?
Meist sind die Inhalte bereits jetzt so gut geschützt, dass ein Leistungsschutzrecht ohnehin überflüssig wäre. Und wenn Zeitungen, die bisher großzügiger mit ihren Inhalten verfahren, die Nase voll haben, können Sie sich ja ebenfalls in ihren geschlossenen Gärten verschanzen.
Oder wollen sie Leistungsschutzrecht für die Tickerverschitte und Blogs auf ihren Homepages? Warum sollten dann aber
Ableger von Printprodukten besser behandelt werden als Blogger oder Internetmagazine? Und das Argument, dass solche Medien ebenfalls profitieren könnten, zieht nicht: Diese Medien
wollen ja gar kein Leistungsschutzrecht.
Es ist bei näherem Hinsehen skandalös, wie die Zeitungsverleger die Poltiik und die Öffentlichkeit desinformieren - und das als angeblich vierte Gewalt, die Transparenz herstellt! Dabei fahren sie eine doppelte Strategie: Gegenüber der Politik jammern und zetern sie, auf ihren eigenen Medienseiten
schweigen sie zum Thema. Die Debatte lassen sie gar nicht stattfinden. Zum Glück gibt's das Internet.
Mehr Informationen zum Thema beim
Igel!
Thierry Chervel twitter.com/chervel