Vorworte

Im Museum der verratenen Ideale

Über Bücher, die kommen. Von Angela Schader
14.04.2023. Mit einer ungewöhnlichen Troika bespielt C. A. Davids ihren Roman "Hoffnung & Revolution". Der fiktiven weiblichen Hauptfigur, Südafrikanerin wie die Autorin selbst, treten der afroamerikanische Schriftsteller Langston Hughes und ein ebenfalls nach realem Vorbild modellierter chinesischer Journalist zur Seite. Sie alle geraten in den Strudel der politischen Umbrüche ihrer Zeit - und drohen selbst daran zu Bruch zu gehen.
C. A. Davis. Foto: aption
"Was wird aus dem vertagten Traum?", fragt der afroamerikanische Schriftsteller Langston Hughes in seinem wohl berühmtesten Gedicht. "Schrumpelt er ein / wie Weinbeeren im Sonnenglast? / Ob er wie eine Wunde / schwärt und nässt? / Stinkt er wie fauliges Fleisch? / Oder verharscht er und setzt Zucker an - / wie ein Lutschbonbon? / Vielleicht hängt er bloß durch / wie schwere Fracht?"*

"Harlem" - so der Titel des Elfzeilers - ist Teil einer längeren Gedichtfolge, die Hughes 1951 unter dem Titel "Montage of a Dream Deferred" veröffentlichte. Hinter dem Autor lagen zwei Dekaden, während deren er einen heiklen Kantengang zwischen seiner literarischen Berufung, dem Kampf für die Rechte der Afroamerikaner und, damit verbunden, einer Annäherung an linke und kommunistische Gruppierungen absolviert hatte. Dass der Begriff des "vertagten Traums", den das Gedicht umkreist, in den Titel des Zyklus gehoben wurde, zeigt auf, wie sehr die Frage Hughes umtrieb, wie fern der Traum nach Jahren des politischen und sozialen Engagements noch immer war. "Ob er mal losgeht und kracht?", erwägt dann die letzte Zeile. Zaghaft klingt das, trotz der Hervorhebung durch Kursivdruck.

Die Frage hallt nach, auch gut siebzig Jahre später. Aufgefangen hat sie die 1971 geborene südafrikanische Schriftstellerin Carolann Davids, die knapp mit C. A. Davids zeichnet, in ihrem zweiten Roman. Vergangenes Jahr ist er unter dem Titel "How to Be a Revolutionary" erschienen, und Langston Hughes spielt darin eine der tragenden Rollen.

Beim Blick auf die Antworten, die der Dichter in "Harlem" vorschlägt, würde Davids die süßen Varianten mit Sicherheit verschmähen. Sie legt den Finger in die Wunde, die schwärt und nässt. Lässt den Fäulnisgeruch verratener und verkaufter Ideale aufsteigen. Ihre Figuren ringen mit der schweren Fracht von Irrtum und unwiderruflicher Schuld. All dies, obwohl Davids selbst miterlebt hat, dass der Traum - im Falle Südafrikas sogar ohne Gewaltexplosion - Wirklichkeit werden kann. Aber gerade darum weiß sie auch, dass es in der Natur von Träumen liegt, der Wirklichkeit auf die Dauer nicht standzuhalten.

Schon in ihrem Debütroman "The Blacks of Cape Town" (2013, noch nicht auf Deutsch erhältlich) hat sich die Autorin mit diesen Themen auseinandergesetzt. Die Ich-Erzählerin Zara Black, wie Davids in Kapstadt geboren, hat ihren Vater Bart als einen liebenswürdigen, anständigen, wenn auch resigniert und ausgelaugt wirkenden Mann gekannt. Jahre nach seinem Tod wird sie durch ein Schreiben der südafrikanischen Regierung aufgescheucht, das ihn einen der "Verräter, Verschwörer und Denunzianten seiner Zeit" nennt. Noch hängen die Worte in der Luft, genauere Auskunft über den Grund der Anschuldigungen will die Behörde nicht geben; wann und wie die Bombe niedergehen, die Schmach publik werden soll, weiß Zara nicht. Sie setzt sich in die USA ab, doch der mysteriöse Vorwurf verfolgt sie auch dort. So beginnt sie der eigenen Familiengeschichte nachzuforschen.

Die Ursünde kennt sie bereits. Ihr Großvater Isaiah, in den 1880ern geboren, hatte seine Herkunft verleugnet und die eigene Mutter im Stich gelassen, um den sozialen Aufstieg zu schaffen - denn dieser verdankte sich allein der Tatsache, dass er, obwohl Sohn einer dunkelhäutigen Frau, zu den raren Persons of Color zählte, die als weiß durchgehen konnten. Der Handel mit Juwelen brachte ihm Wohlstand, und sein schillerndes Erbe fasst, wie ein schwarzer Diamant, der Nachname Black: Er hat ihn selbst gewählt, sei's als heimliches Geständnis oder als letzter ironischer Schnipser ins Gesicht einer zunehmend von Rassismus durchseuchten Gesellschaft.

Seine Kinder kamen wieder mit dunklerem Teint zur Welt, und als Bart, der einzige Sohn, von Isaiahs Verrat an dessen Mutter erfuhr, zahlte er mit gleicher Münze zurück. Er wandte sich vom Vater ab, studierte Jura, eröffnete eine Anwaltspraxis, in der Nichtweiße bei Bedarf auch unentgeltlich Rat fanden. - Bis dahin überblickt Zara die Lebensgeschichte ihres Vaters; dann folgt, bis hin zu seiner späten Heirat und ihrer Geburt, eine unter beharrlichem Schweigen versiegelte Leerstelle. Sie birgt, wie die Tochter ahnt und nun allmählich in Erfahrung bringt, die Erinnerung, die seinen Geist brach. Bart schloss sich zusammen mit einem schwarzen Studienfreund und einer rebellischen weißen Kommilitonin dem Widerstand gegen die Apartheid an, verriet dann die beiden Gefährten. Und wo Isaiah nur in seinem engsten Umfeld Wunden geschlagen hatte, entwickelte sich aus Barts Verfehlung eine grausame Kaskade: Verhaftung der Freunde, Folter, durch Qual abgepresste Namen, die zu weiteren Verhaftungen, neuer Tortur und neuem Verrat führten. "Du siehst, der Verrat häuft sich, einer über dem andern", hört Zara von dem Mann, der sie über die Schuld ihres Vaters aufklärt. "Unser Museum der Verluste, unsere Killing Fields - dort liegen keine Gefallenen, auch wenn sie voll von Toten sind. Nein, Verrat bevölkert unser Museum, bis unter die Decke."

Neben diesem Kernthema weisen weitere Elemente von "The Blacks of Cape Town" auf den Folgeroman voraus. Der desillusionierte Blick auf den Befreiungskampf dehnt sich in beiden Werken auch auf das "neue" Südafrika aus - so dient im Erstlingswerk die Kampagne, in deren Rahmen die einstigen "Verräter, Verschwörer und Denunzianten" angeprangert werden sollen, nicht der Wahrheitsfindung, sondern vielmehr der Kaltstellung eines unbequem gewordenen Richters am High Court. In Zaras Freundschaft mit einer aus China stammenden Studentin deutet sich Davids' Interesse für das Land an, das Hauptschauplatz ihres nächsten Buches sein wird. Und da ist die bissige Passage, in der Zara über einem amerikanischen Anmeldeformular grübelt, dessen Frage nach "Rasse, Ethnizität, Herkunftsland" sie beim besten Willen nicht durch Ankreuzen einer der vorgegebenen Boxen beantworten kann. Denn Zara ist - wie ihre Schöpferin und wie Beth, die Protagonistin von "How to Be a Revolutionary" - eine Person of Color, ihr Stammbaum übergreift Afrika, Asien und Europa.

Aber wo der Debütroman trotz des brisanten Themas literarisch noch unauffällig war, legt der zweite, der demnächst in einer Übersetzung von Susann Urban beim Verlag Das Wunderhorn erscheint, die Latte in mehr als einer Hinsicht höher. Das Motiv des Verrats an Menschen und an revolutionären Idealen wird in "Hoffnung & Revolution" - so der Titel der deutschen Ausgabe - in unterschiedlichen Varianten durchgespielt; dabei flankiert Davids die fiktive Hauptfigur Beth mit zwei Charakteren, die sie nach realen Personen modelliert hat. Langston Hughes tritt unter dem eigenen Namen auf, allerdings werden biografische Schwerpunkte solcherart verlagert, dass sie in den Erzählrahmen passen. Für Huang Zhao, den älteren Nachbarn, mit dem Beth sich während eines Aufenthalts in Schanghai anfreundet, hat der chinesische Journalist Yang Jisheng Pate gestanden. Im Westen wurde er durch seine auf zehnjähriger Recherche beruhende Publikation "Grabstein - Mùbei" (deutsch beim S. Fischer Verlag) bekannt: Das Buch dokumentiert Ursachen und Ausmaß der in China selbst eisern totgeschwiegenen Hungerkatastrophe, die nach Yangs Berechnung zwischen 1958 und 1962 rund 36 Millionen Menschenleben forderte.

Davids achtet auch auf eine stilistische Differenzierung der Figuren, die Susann Urban im Deutschen ebenfalls zu vermitteln sucht. Am schwierigsten dürfte dies bei der Übertragung der Langston Hughes zugeordneten Passagen gewesen sein; der Schriftsteller kommt in einer Reihe fiktiver Briefe zu Wort, die er an einen nicht namentlich genannten, aber indirekt kenntlich gemachten Kollegen - den südafrikanischen Romanautor und Erzähler Richard Rive - richtet. Um den richtigen Zungenschlag zu finden, inspirierte sich C. A. Davids an der originalen Korrespondenz, die Hughes mit Literaturschaffenden im Südafrika der 1950er und 60er Jahre führte, und die wendige Prosa, die sie dem Schriftsteller in die Feder legt, ist im Deutschen nicht immer einzuholen. Zhao - im Roman tritt er fast ausschließlich unter seinem Vornamen auf - ist sprachlich weniger stark konturiert, aber mit kleinen Nuancen versucht Davids das zurückhaltendere Temperament des Chinesen zu umreißen. Gerade im Zusammenspiel mit dem Entsetzlichen, das er zu berichten hat, ist das ein subtil wirksames Stilmittel: Wie klug es gewählt ist, zeigt sich in eben dem Moment, da die Autorin diesen Duktus durchbricht. Die betreffende kurze Passage schildert das Massaker auf dem Tienanmen-Platz, und sie tut es so grell und linkisch, dass sie einem Splatterpunk-Film mehr Ehre machen würde als einem ambitionierten Roman.

Immerhin hat der Missgriff einen Grund. Für Zhaos Vorbild Yang Jisheng wurde jener Schock faktisch zum Wendepunkt in einem Leben, das zuvor ganz von der früh eingeimpften Systemtreue geprägt gewesen war. 1940 in einem Bauerndorf geboren, wuchs Yang bei Onkel und Tante auf, die, obwohl arm, das Kind liebevoll und selbstlos aufzogen. Sie ermöglichten ihm den Besuch der Schule, ein Studium in Beijing folgte. Wie tägliche Nahrung verfütterte man dem Heranwachsenden im Unterricht die Staatsdoktrin, Yang wurde Mitglied der kommunistischen Jugendliga, zu deren Parteigruppensekretär er später avancierte. 1964 trat er der KP bei, nach Studienabschluss wurde er der Nachrichtenagentur Neues China zugeteilt und fungierte, wie alle dort Beschäftigten, über Jahrzehnte als Sprachrohr für die Regierungspropaganda. Zugleich verschaffte ihm der Beruf Zugang zu unterschiedlichsten gesellschaftlichen Schichten und zu Informationen, die man füglichst vor der breiten Bevölkerung verbarg. Diese Quellen wie auch die Zeugenschaft bei den Gräueln der Kulturrevolution ließen Yang zunehmend skeptisch werden, und mit dem Tienanmen-Massaker kam die Katharsis: "Das Blut der jungen Studenten", schreibt er im Vorwort zu "Grabstein", "hat mir all die Lügen der vergangenen Jahrzehnte aus dem Gehirn gewaschen." Die Wucht dieses einen, knappen Satzes hätte auch im Roman die nötige Wirkung entfaltet.

Sonst aber ist Yangs literarischer Wiedergänger Zhao ein mit feinem Stift gezeichneter Charakter, der gerade dadurch einen starken Eindruck hinterlässt. Wo Yang Jisheng den geliebten Onkel den Hungertod sterben sah, ist bei Davids die Tante Zhaos das erste Opfer in der Familie; seine Mutter will bei ihrem Cousin, einem leitenden Funktionär in der Provinzhauptstadt, Alarm wegen der Notsituation schlagen, verschwindet dann aber von der Bildfläche. Über ihr Schicksal wird Zhao erst Auskunft erhalten, nachdem er sich, wie sein Vorbild, die Ursachen der Hungersnot durch extensive Archivrecherchen und Gespräche mit Betroffenen erschlossen hat. Die Nachforschungen zeigen auf, wie der von Mao Zedong verordnete "Große Sprung nach vorn", der China binnen kürzester Frist zur konkurrenzfähigen Industrienation machen und zugleich die Transformation der Gesellschaft durch die Schaffung von Volkskommunen vorantreiben sollte, faktisch umgesetzt wurde: ohne Rücksicht auf mörderische Verluste beim Bauernstand, wohl aber unter Wahrung der Privilegien und Interessen der Parteielite. Zhaos bitter-zynisches Résumé dieser Einsichten stellen wir in der Leseprobe vor.

Zhao ist Verratener und Verräter zugleich. Verraten durch eine Revolution, an die er lange glaubte, die aber über Leichen ging; nicht nur in der Hungerkatastrophe, sondern auch während der Kulturrevolution und schließlich beim Massaker auf dem Tienanmen-Platz. Verräter - inwiefern? Weil er dieses System durch seine Tätigkeit über Jahrzehnte wider besseres Wissen stützte? Oder weil er dann schonungslos dessen Zynismus bloßlegte? Das steht auf Messers Schneide, denn ohne sein Renommee als bedingungslos loyaler Gefolgsmann der Partei hätte Zhaos realer Vorgänger niemals die aufwendige und flächendeckende Recherche betreiben können, aus der "Grabstein" entstand.

Ambivalent war auch Langston Hughes' Verhältnis zum Kommunismus. Er trat der KP nie bei, war aber in zahlreichen mit ihr assoziierten Organisationen teils aktives, teils zumindest nominelles Mitglied; er schätzte den Komfort, den reiche Mäzene ihm boten, und wünschte doch in einem Gedicht den USA ein zweites S ins Akronym: "Put one more s in the USA / To make it Soviet." In seiner zweibändigen Biographie zeigt Arnold Rampersad die permanenten Interessenkonflikte auf, denen Hughes' Affinität zum Kommunismus ausgesetzt war - einerseits infolge der künstlerischen und materiellen Erfordernisse seiner literarischen Karriere, andererseits aufgrund der Tatsache, dass ein anderes soziales Anliegen ihm weit mehr am Herzen lag: die Gleichberechtigung der Afroamerikaner. Ihre Interessen vertrat an erster Stelle die National Association for the Advancement of Colored People, für deren oft eher wertkonservative und tief gläubige Anhänger die Kommunisten des Teufels waren. Wenn Hughes ein solches afroamerikanisches Publikum ansprechen wollte, verbot sich eine Ansage wie "Goodbye, Christ" - ein Gedicht aus seiner politisch radikalsten Phase, in dem er eine ziemlich rüde Rede an den Gottessohn richtet. Umgekehrt galt während eines rund einjährigen Aufenthalts in der Sowjetunion 1932/33 das Augenmerk des Schriftstellers besonders den Aspekten, die sich auf die Situation der Afroamerikaner übertragen ließen: So beeindruckte ihn eine Reise durch die zentralasiatischen Republiken, wo die nationalen Kulturen explizit aufgewertet und gefördert wurden.

Auf der Heimreise machte Hughes Zwischenhalt in Japan und Schanghai. Die dortigen Erlebnisse, biografisch eher ein Aperçu zum Russland-Aufenthalt, rückt C. A. Davids ins Zentrum des Romangeschehens - und damit auch dicht an das zweite Ereignis, auf das ihr literarisiertes Porträt des Schriftstellers fokussiert. 1953 wurde Hughes, der schon seit den Dreißigerjahren im Visier des FBI wie auch des House Committee on Un-American Activities stand, vor das vom berüchtigten Senator Joseph McCarthy geleitete Senate Permanent Subcommittee on Investigations zitiert und über seine kommunistischen Verbindungen und Überzeugungen befragt. Der Schwerpunkt lag dabei auf seinen Aktivitäten in den USA und der Zeit in der Sowjetunion; die fiktiven Briefe im Roman vermitteln derweil eher den Eindruck, der Aufenthalt in Schanghai, wo Hughes unter anderem die Witwe von Chiang Kai-shek besucht hatte, sei ein ausschlaggebendes Verdachtsmoment gewesen. Im Kontext des Romans wirkt die Verschiebung jedoch stimmig - umso mehr, als die Autorin bei der Gestaltung der fiktiven Briefe, die Hughes an seinen südafrikanischen Kollegen richtet, auch aus den realen Berichten des Schriftstellers über die Tage in Schanghai schöpft.

Langston Hughes ist es auch, der eine Brücke zwischen der Südafrikanerin Beth und ihrem chinesischen Nachbarn schlägt: Beim ersten Besuch in ihrer Wohnung greift Zhao spontan nach dem Buch, in dem jene Briefe versammelt sind. Da ist Beth erst wenige Wochen in Schanghai. Sie hat kurzfristig einen Konsulatsposten dort angenommen, um aus ihrer zerbrechenden Ehe zu flüchten, denn bei den Auseinandersetzungen über unterschiedliche Wertvorstellungen, die das Paar auseinandertreiben, steht sie auf ungleich dünnerem Boden als ihr Mann. Dieser ist ein Anwalt, hinter dessen Brillanz und Witz sich ein unbeugsames Rechtsempfinden verbirgt, das "weder vermeintliche Schwächen noch moralische Schwankungen" duldet. Beth dagegen setzt auf Unauffälligkeit, auf "stillen Fleiß" und Toleranz - auch gegenüber der Korruption, die sich im Post-Apartheid-Staat auszubreiten beginnt, bis sie sich "wie eine Fettschicht über unsere Ministerien und offenbar über alles in diesem Land" legt. Diese moralische Flexibilität ist nicht ihrer Arbeit im diplomatischen Dienst geschuldet, sondern Selbstschutz. Denn Beth trägt eine Gewissenslast, mit der sie nie wirklich ins Reine gekommen ist.

Begonnen hat es, ähnlich wie in "The Blacks of Cape Town" bei Bart und seinen Kampfgefährten, mit Freundschaft, mit Bewunderung und revolutionärer Leidenschaft. Fünfzehn war Beth damals, drückte sich an den Rändern der Protestbewegung herum, die Südafrika 1989 im Vorfeld von Frederik Willem de Klerks Präsidentschaft erfasste. Da begegnete sie der ein Jahr älteren Kay, und die war alles, was Beth nicht war: aufmüpfig, cool, einen Dreck darum bekümmert, was andere von ihr dachten. In Beths Zuhause waren die Tischmanieren untadelig, das menschliche Klima frostig; Kay lebte bei ihrer Großmutter, die werktags Maoistin war und sonntags begeisterte Kirchgängerin, ihr Vater, ein militanter politischer Aktivist, sass derweil auf Robben Island ein. Die Mädchen kamen sich nahe, für Beth war es die erste Herzensfreundschaft, und umso schärfer spürte sie auch, was sie trennte: Kay allein war es, die Takt und Temperatur der Beziehung vorgab, denn "es gab eine Struggle-Hierarchie und Beth stand auf einem der untersten Ränge". Aber hat die mit der Intensität des politischen Kampfes wachsende Entfremdung der Freundinnen, hat die Eifersucht auf einen Studenten, dem Kay sich annäherte, Beth tatsächlich zur Verräterin gemacht? Das Gerücht geht um, nachdem Kay bei einer gewagten Sabotageaktion ums Leben kommt.

Acht Jahre später wird Beth sich einem Verfahren der Wahrheits- und Versöhnungskommission stellen, mit deren Hilfe das Gewalterbe des Landes geklärt und bewältigt werden soll. Beth nimmt sich Zeit für ihr Geständnis, taktiert, die Ohren stets gespitzt für die Reaktionen des Publikums. Denn ja, sie hat ein Leben auf dem Gewissen, jedoch nicht Kays. Dies klarzustellen heißt aber auch: die Schuld am Tod der Freundin in aller Öffentlichkeit auf die Schultern eines anderen zu legen. Du siehst, der Verrat häuft sich, einer über dem andern…

In "Hoffnung & Revolution" findet dieses Verhängnis noch ein weiteres fernes Echo. Eine Frau aus Zhaos Dorf hat die Hungersnot überlebt - wie und weshalb, das gehört in die tiefsten Regionen des Verdrängens und Verschweigens. Doch als Zhaos Besuch die Erinnerung wieder aufreisst, sieht die Frau eine Chance, das quälende Geheimnis loszuwerden. "Ich biete dir einen Handel an", sagt sie zu ihm, bevor sie ihre Untat preisgibt. "Ich möchte mich davon befreien, aber wenn ich das tue, kommst du ins Gefängnis."

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* Deutsch von Eva Hesse. Die Übersetzung wurde Band IV der von Eva Hesse und Heinz Ickstadt herausgegebenen Anthologie "Englische und amerikanische Dichtung" entnommen, die 2000 beim Verlag C. H. Beck erschienen ist.

C. A. Davids: Hoffnung & Revolution.
Roman
Aus dem Englischen von Susann Urban. Verlag Das Wunderhorn, Heidelberg 2023. 320 Seiten, gebunden, 26 Euro.

Erscheint am 24. April 2023.

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