Vorgeblättert

Leseprobe zu Götz Aly und Michael Sontheimer: Fromms: Teil 2

19.02.2007.
Als Julius Fromm 1914 mit der Herstellung seiner "Präservativs" begann, wie der Plural zunächst noch gebildet wurde, fragten die Männer des wilhelminischen Deutschlands verschämt beim Friseur oder beim Drogisten danach. Die Herkunft der Kondome war meist ungewiss, die Qualität zweifelhaft. Doch der Bedarf wuchs schnell. Weil die Zahl von unheilbar Syphiliskranken ständig stieg, schlugen die Ärzte Alarm und forderten die Popularisierung des Kondoms mit seuchenhygienischen Argumenten. Als der Reichstag 1913 ein Gesetz diskutierte, mit dem der "Verkehr mit Mitteln zur Verhinderung von Geburten" beschränkt werden sollte, reagierte die Deutsche Gesellschaft für Geburtshilfe und Gynäkologie entsetzt. "Nach unserer Meinung", so schrieben fünf prominente Berliner Frauenärzte, "kann weder ein Untersagen noch auch nur eine Beschränkung des Verkehrs mit Kondomen in Frage gezogen werden, da sie außer dem antikonzeptionellen Zwecke in hervorragendem Maße einem gesundheitlichen Zwecke dienen." Zweifellos nähmen die Geschlechtskrankheiten erheblich zu, würde der Bezug dieses Schutzmittels erschwert. Einig waren sich die Gutachter allerdings darin, dass das "Zurschaustellen" von Verhütungsmitteln zu verbieten sei.

     Im Jahr 1912 untersuchte das Königlich Preußische Ministerium des Inneren die Ursachen des Geburtenrückgangs und stellte fest: "Stadt und Land" würden "geradezu überschwemmt mit Anpreisungen, Preisverzeichnissen und dergleichen, in denen solche als 'Gummiwaren', 'Schutzmittel', 'hygienische Bedarfsartikel' usw. bezeichnete Mittel" angeboten würden. Das geschehe "immer wieder unter Hinweis auf die 'wirtschaftlichen und gesundheitlichen Nachteile einer zu großen Kinderzahl' sowie auf die Notwendigkeit einer Beschränkung des Nachwuchses, 'um die wenigen Kinder besser erziehen zu können'". Verlobten und jungen Ehepaaren würden demnach "planmäßig" Broschüren zugesandt, die darauf hinausliefen, "wenigstens die ersten Jahre der Ehe" mit modernen Hilfsmitteln "möglichst angenehm zu gestalten". Nicht nur das: Auch unverheiratete Personen wurden nach dieser Untersuchung mit solcher zumeist "medizinisch-wissenschaftlich" aufgemachten Reklame beschickt. Zudem propagierten die Hersteller "die Gefahrlosigkeit des außerehelichen Geschlechtsverkehrs". Wer sich so an Verhütungsmittel gewöhne, resümierten die Ministerialbeamten, entwickle "die Neigung", sie "in der Ehe anzuwenden".(5)

     Jenseits solcher Besorgtheiten des Innenministeriums wurde das Kondom nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa und den USA populär, und zwar infolge des Ersten Weltkriegs. Die venerischen Seuchen bereiteten den Armeeführungen schon in Friedenszeiten Probleme; unter den Umständen des modernen Massenkrieges lockerte sich die hergebrachte Moral, die Infektionsraten schnellten nach oben. Im deutschen Feldheer nahm die Zahl der von Syphilis oder Gonorrhö befallenen Soldaten um 25 Prozent zu, im Besatzungsheer um 100 Prozent.

     Die Führungen aller am Krieg beteiligten Armeen priesen die Enthaltsamkeit als soldatische Tugend. Doch fügten sie sich zugleich der Realität. Um die Prostitution zu kontrollieren, errichteten sie Soldatenbordelle. In der Etappe wurden bestehende Etablissements gerne übernommen und ausgebaut. Nahe der Hauptkampflinie improvisierten die Sanitätsinspektionen einfache Feldpuffs. In vielen dieser trostlosen Einrichtungen herrschte Kondomzwang. Ein deutscher Militärarzt, der den Befehl bekam, in der Nähe von Warschau ein "Bordell für die Angehörigen durchmarschierender Formationen" zu eröffnen, berichtete in seinen Memoiren: "Der Eintritt kostete für Offiziere drei Mark, für Soldaten eine Mark. Dafür bekam jeder ein Präservativ und einen Bon, den er dem Mädchen abzugeben hatte."

     Normalerweise waren die Bordelle für einfache Soldaten und Offiziere strikt getrennt. Vor den gehobenen Freudenhäusern fanden sich Schilder wie: "Eintritt für Hunde und Mannschaften verboten!" Gewöhnliche Soldaten mussten dem sprichwörtlichen Sanitätsgefreiten Neumann ihr Geschlechtsteil präsentieren und sich registrieren lassen, bevor sie sich in eine der Warteschlangen vor den Mannschaftsbordellen einreihen konnten. Den Offizieren blieb das erspart. Dafür war der Anteil der Geschlechtskranken bei ihnen deutlich höher. Bald schon mangelte es an Kondomen. Nicht zufällig begann der Aufstieg der Fromm?schen Manufaktur zum modernen Industrieunternehmen im Jahr 1916.

     Nach dem Krieg erklärten viele Patienten dem Berliner Sexualwissenschaftler Max Marcuse, sie seien in der Armee schlauer geworden. Besonders Männer vom Land wurden als Soldaten zum ersten Mal mit Kondomen versorgt. Sie sollten sich vor Geschlechtskrankheiten schützen und lernten nebenbei, wie die Kinderzahl besser zu regulieren wäre. Schon 1916 prognostizierten die im Innenministerium für die Volksgesundheit zuständigen Herren: "Gerade nach dem Kriege [werde] die Neigung zur Anwendung empfängnisverhütender Mittel bei den heimkehrenden Kriegern und anderen Personen noch stärker hervortreten, um mit Rücksicht auf die dann herrschende Unsicherheit der wirtschaftlichen Lage einem Anwachsen der Kinderzahl vorzubeugen." In dem 1923 von Marcuse herausgegebenen "Handwörterbuch der Sexualwissenschaft" ist das Kondom "mit seiner ungeheuren Verbreitung" als "relativ sicherstes antikonzeptionelles Mittel" aufgeführt. Es müsse "für Mann und Frau als fast vollkommen unschädlich gelten".(6)


Das Gesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten wurde seit 1916 im Reichstag verhandelt. Nach langem Hin und Her sollte es am 1. Oktober 1923 in Kraft treten und die Werbung für Kondome freigeben. Doch gelang es den konservativen Kräften in letzter Minute, die Verkündung im Reichsgesetzblatt bis zum 18. Februar 1927 aufzuschieben und den entscheidenden Paragraphen 11 restriktiv zu fassen. Demnach war jede öffentliche Werbung für Kondome verboten. Wer dagegen verstieß, konnte mit bis zu sechs Monaten Gefängnis bestraft werden. Straflos blieb allein die Reklame in Fachzeitschriften, die sich an Personen wandte, "die mit solchen Mitteln oder Gegenständen erlaubterweise Handel treiben". Andererseits konnten nun Mittel, "welche zur Verhütung von Geschlechtskrankheiten dienen, ausgestellt und angepriesen werden". Das Kondom fiel unter beide Kategorien - es verhütet und schützt.

     So blieb die in einer Publikumszeitschrift erschienene Kleinanzeige "Eheleute, Hygienische Artikel, Preisliste gratis!" auch in der Weimarer Republik juristisch umstritten. Mit strengem Auge wachte die "Deutsche Zentralpolizeistelle zur Bekämpfung unzüchtiger Bilder, Schriften und Inserate" dar­über, ob die Werbung für Kondome "in ärgerlicher", das heißt allzu öffentlicher Form erfolgte. Die spezielle, für das gesamte Reich zuständige Behörde saß in der Berliner Magazinstraße 3-5, und zwar in dem Gebäude, in dem der Staatssicherheitsdienst der DDR später auf seine Weise Hygiene betrieb, allerdings politische: Hier entstand das "Braunbuch" über die "Kriegs- und Naziverbrecher in der Bundesrepublik".

     Angesichts der Rechtslage konnte für Kondome nur mit Hinweis auf den Schutz vor Geschlechtskrankheiten geworben werden. Die empfängnisverhütende Funktion blieb unerwähnt, da sie nach dem Gesetz als "öffentliche Aufforderung zur Unzucht" verfolgt und mit Haftstrafe geahndet werden konnte. Daher lautete die Reklame vage: "Fromms Act - Gegen Infektion. In allen einschlägigen Geschäften erhältlich".(7) Erst 1932 wagte Fromm, seine Produkte mit "wichtigen Vorzügen" zu bewerben, wenn auch nur in einem Fachblatt für Drogisten:

"1. Unsere in Deutschland am meisten gekauften Spezialmarken Fromms Act nennen sich nicht nur transparent, sondern sind tatsächlich transparent, worauf anspruchsvolle Kunden besonders achten.
2. Unsere Spezialmarken Fromms Act sind gleichmäßig getaucht und garantiert doppelt geprüft, worauf ihre Zuverlässigkeit beruht.
3. Unsere Spezialmarken Fromms Act riechen nicht unangenehm, wirken also nicht illusionsstörend.
4. Unsere Spezialmarken Fromms Act isolieren nicht, d. h., sie werden infolge ihrer seidenweichen Feinheit nicht als Fremdkörper empfunden."

Im Übrigen sei der als Gleitmittel verwandte Puder "praktisch erprobt" und enthalte keinerlei "scharfen oder ätzenden Stoff". Kurz zuvor hatte die Firma in einer anderen Großanzeige noch darauf hinweisen müssen: "Fromms Act-Reklame erlaubt!" Zur Sicherheit bat sie die Drogisten: "Sollten Sie wider Erwarten gelegentlich behelligt werden, dann bitten wir Sie, uns so schnell wie möglich zu verständigen, damit wir Ihnen mit Rat und Tat zur Seite stehen können."(8)

     Die Weimarer Verhältnisse weichten die tradierte Sittenstrenge weiter auf. Die Verstädterung, die der industriellen Gesellschaft eigene soziale Mobilität, der Bildungswille und die Emanzipation der Frauen förderten das Bedürfnis, die Zahl der Nachkommen nicht länger der Natur zu überlassen. Andererseits hielten sich Prüderie und Unaufgeklärtheit. Nicht ohne Grund lagen den Fromms-Act-Packungen noch jahrzehntelang Faltzettel bei, die von den Kunden in den Drogerien oder Apotheken schweigend über den Tresen geschoben werden konnten. Darauf stand gedruckt: "Bitte händigen Sie mir diskret aus 3 Stück 'Fromms'-Gummi."


Unermüdlich arbeitete Fromm an der Verbesserung seiner technisch so bezeichneten Gummihohlkörper und entwickelte neue Varianten, die nichts mit Hygiene, aber einiges mit Lebensfreude zu tun hatten. Im Jahre 1927 ließ er sich zum Beispiel ein Verfahren zur Produktion gemusterter Präservative patentieren: "Dabei kann man der gemusterten Fläche jede gewünschte Form geben, z.B. die Form von Streifen und Figuren, in einer oder in mehreren verschiedenen Farben."(9)

     Im Übrigen teilte der findige Gummifabrikant auf seinen Beipackzetteln mit: "Neben unseren Normalgrößen liefern wir auf Wunsch auch hiervon abweichende Weiten. Unterbreiten Sie etwaige Wünsche Ihrer Bezugsquelle, die uns dann eine entsprechende Bestellung aufgeben wird." Dem folgte ein umrahmter Hinweis: "Der Anstand gebietet Ihnen, unsere Schutzmittel und Packungen nach dem Gebrauch nicht achtlos fortzuwerfen, damit sie nicht auf Straßen, Plätzen oder Wegen gefunden werden können. Bewahren Sie unsere Drucksachen vor den Augen Jugendlicher. Für diese sind sie nicht bestimmt."

     Ende der Zwanzigerjahre waren Fromms Produkte so populär, dass sich in Berlin die Bier-Kabarettisten und Piano-Humoristen der Gummis annahmen. "Fromms zieht der Edelmann beim Mädel an", sangen sie, oder "Wenn?s euch packt, nehmt Fromms Act", wahlweise auch "Ich bin ganz Fromms - zum Platzen gespannt". Fromm hatte es geschafft: Er musste keine Kondome anpreisen, seine Kundschaft las den Namen und war im Bilde.

Leseprobe Teil 3

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