Vorgeblättert

Leseprobe zu Edith Wharton: Ein altes Haus am Hudson River. Teil 1

06.10.2011.
Als Vance Weston neunzehn war, hatte er in Euphoria, Illinois, wo seine Eltern damals lebten, das College abgeschlossen, hatte eine Woche in Chicago verbracht, eine neue Religion ersonnen und ein paar Monate lang eine Cllegezeitung namens "Ins Ziel!" herausgegeben, zu der er selbst mehrere Liebesgedichte und eine Reihe bilderstürmerischer Aufsätze beigesteuert hatte. Auch war er eine ganze Woche mit dem Anlass der Gedichte verlobt gewesen, einem um einige Jahre älteren Mädchen namens Floss Delaney, der doch recht übel beleumundeten Tochter eines erfolglosen Immobilienmaklers aus einem tristen Randbezirk der Stadt.
     Nachdem der junge Weston sich in diese Höhen emporgeschwungen und diese Abgründe ausgelotet hatte, stand er nun vor der Frage, wie sich seine verschiedenen Begabungen und Erfahrungen am vorteilhaftesten einsetzen ließen.
     Von allem, was ihm bisher widerfahren war, schien Vance Weston nichts so schwerwiegend wie seine Erfindung einer neuen Religion. Er war in eine Welt hineingeboren, in der alles reformiert worden war oder gerade reformiert wurde, und er hielt es für regelwidrig, dass sämtliche Religionen, von denen er je gehört hatte, schon existierten, seit er denken konnte, also seit mindestens sechzehn Jahren. Das war umso seltsamer, als Religion in dieser oder jener Form im Leben der meisten ihm bekannten Menschen eine beachtliche, wenn auch etwas unstete oder sporadische Rolle spielte und als er seit dem ersten Bewusstseinsdämmern mitbekam, wie jeder jeden beschwor, sich nur ja nicht in ausgefahrenen Gleisen zu bewegen, sondern mit der Zeit zu gehen, wie es sich für einen guten Amerikaner gehört.
     Der Aufstieg seiner Familie hatte sich überwiegend so abgespielt wie der aller Familien, die er kannte. Seit Mrs Westons Heirat, seitdem seine Großmutter in Pruneville, Nebraska, als Lehrerin die ganze Familie ernährt hatte, bis jetzt, da sie und Großvater es sich in einem Vorort von Euphoria in einem Acht-Zimmer-Häuschen aus der Kolonialzeit gut gehen ließen und Kunden bis aus Chicago anreisten, um Mr Weston wegen Immobilien um Rat zu fragen, war es für die Familie immer steil bergauf gegangen. Lorin Weston, der nach Pruneville gezogen war, um dort vielleicht eine Stelle beim Lokalblättchen zu ergattern, hatte das Immobilienpotenzial dieser erbärmlichen Gemeinde sofort erkannt, seinen letzten Penny in ein Fleckchen Sumpfland in der Nähe des künftigen Bahnhofs gesteckt, es dann, als die Eisenbahn kam, mit großem Gewinn wieder abgestoßen und erneut sein gesamtes Geld in ein Grundstück investiert, in dessen Nähe die neue Highschool gebaut werden sollte, wie seine Schwiegermutter herausgefunden hatte. Danach war die Entwicklung von Pruneville ins Stocken geraten, und Mr Weston war mit seiner Frau und der jungen Familie nach Halleluja, Missouri, gezogen, wo er das Experiment mit wachsendem Erfolg wiederholte. In dieser Zeit tauchte eines Tages ein Immobilienmakler aus Advance auf, um sich ein wenig umzusehen; er erzählte Weston von Advance und weckte seine Neugier. Also ging die ganze Familie nach Advance und wurde dafür, dass sie Halleluja verließ, mit einem größeren und besseren Haus entschädigt. In Advance wurde den Westons der Sohn und Erbe geboren und nach seinem Geburtsort benannt, der sich für Mr Weston als so nützlich erwiesen hatte, dass er, sobald Vance neun oder zehn war, nach Euphoria umsiedeln konnte, dort fast das gesamte Viertel um die Pig Lane aufkaufte, es in den Vorort Mapledale verwandelte und sich selbst ein Haus mit Rasen, Garage, Schlafbalkon und Wintergarten baute, das für Architekturzeitschriften fotografiert wurde und Mrs Weston den Neid des Kirchennähkreises von der Alsop Avenue einbrachte. Selbst Großmama Scrimser, die nie großes Geschick im Umgang mit Geld gezeigt hatte und die der Pfarrer von der Alsop-Avenue-Kirche als "idealistisch" bezeichnete, stellte die Bedeutung materiellen Wohlstands oder den Wert von Mr Westons geschäftlicher "Klugheit" nicht infrage und hatte irgendwo im geräumigen Hinterstübchen ihres Gehirns ein Plätzchen gefunden, wo Jenseitsglaube und Gewitztheit in gutem Einvernehmen beieinander wohnten.
     Angesichts dessen und der Tatsache, dass Wörter wie "altmodisch", "erledigt", "vorbei" und dergleichen in Hörweite des jungen Vance nur in ihrer negativen Bedeutung gebraucht wurden, fragte er sich, wieso die aufgeklärten Millionen, für die es ein Zeichen von Gewitztheit und Wohlstand war, wenn man Immobilien, Warenbestände, Autos und Ehefrauen bzw. -männer beinahe jährlich erneuerte, sich Jahr für Jahr mit derselben Religion zufriedengaben - oder vielmehr denselben Religionen, denn fast jeder ihm bekannte Mensch glaubte an etwas anderes.
     In der Tat konnte Vance Weston Stabilität nicht von Stagnation unterscheiden, in der Religion ebenso wenig wie im Berufsleben. Jeder, von dem es hieß, er hätte sich nicht im rechten Augenblick in Bewegung gesetzt, in welche Richtung auch immer, war erledigt. Selbst die weltfremdesten Geistlichen ließen dies gelten und betonten, von allen bekannten Wegen zum Erfolg sei die Religion der großartigste. (Wer in ihre Sonntagabendschule für junge Männer ging und den "Lichtstrahl auf Zion" abonnierte, erfuhr Näheres.) Trotzdem hatte es zu Vance Westons Lebzeiten niemand fertiggebracht, eine neue Religion zu entwickeln; alle versuchten sie immer noch, eine neue Generation mit den alten Ködern zu fangen.
     Sich Gedanken über Religion zu machen lag in der Familie - zumindest mütterlicherseits. Großmama Scrimser war dies stets wichtiger gewesen als alles andere. Mit fünfundsechzig sah sie noch immer großartig aus, fast wie eine deutsche Primadonna in der Rolle einer Walküre, hatte zerzauste schwarze Brauen, kurzes, gelblich-weißes Haar ( Jahre bevor sich die jungen Frauen einen Bubikopf schneiden ließen) und einen üppigen, ausladenden Körperbau, der Vance, nachdem er Einblick in die moderne Kunst erlangt hatte, vorkam wie das Bild eines Künstlers mit Genie, aber ohne zeichnerisches Talent.
     Es hieß, als Mädchen sei Großmama wunderschön gewesen, und Vance glaubte das gern. Sie selbst machte kein Geheimnis daraus - warum auch, da sie es doch nur als lästige Nebensächlichkeit ansah, als peinliche Eigenheit und (so soll sie in vertraulichen Momenten gestanden haben) als Hindernis auf Großpapa Scrimsers Weg zur Vollkommenheit. Der Vollkommenheit galt Großmamas Leidenschaft - und die von Großpapa galt den Damen. Solange seine Frau jung war, hätte sie mit Hilfe ihrer Schönheit seine Gelüste im Zaum halten können, wenn sie sich nur dazu entschlossen hätte, davon Gebrauch zu machen. Doch der Gedanke, die Gabe der Schönheit zu gebrauchen, zu verstärken, geltend zu machen und einzusetzen, war für sie nicht so sehr unmoralisch wie einfach unvorstellbar. Sie meinte, mit ihrer griechischen Nase, den üppigen bernsteinfarbenen Locken und dem dunkel schimmernden Teint geschlagen zu sein wie andere Frauen mit dem Kreuz eines Muttermals oder einem Buckel. Sie verstand nicht, "was die Leute darin sahen" oder was sie sich von den Genüssen versprachen, zu denen dieses goldene Tor führte. Sie begegnete diesen Genüssen mit Verachtung und Unglauben. Sie wollte einzig die Welt verbessern, und Schönheit und Leidenschaft hinderten sie nur daran. Sie wollte alles reformieren - was, war dabei eher nebensächlich: Kochen, Ehe, Religion (Religion ganz gewiss), Zahnmedizin, Salons, Korsetts - sogar Großpapa. Großpapa pflegte zu klagen, beim Kochen sei sie auf dem Weg zur Vollendung nicht gerade weit gekommen - nur weit genug, um ihm Verdauungsstörungen zu bescheren. Aber da sie auf seine ehelichen Zärtlichkeiten nicht übermäßig willig einging, war er dankbar, dass ihr Streben nach Vervollkommnung ihr zu wenig Zeit ließ, seinen privaten Machenschaften nachzuspüren. Und so galt die Ehe im Großen und Ganzen als glücklich, und die vier daraus hervorgegangenen Kinder wurden dazu angehalten, beide Eltern zu ehren, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Großmama wurde natürlich verehrt, weil sie eine "Mutter in Israel" war, und Großvater, weil er einstens ein erfolgreiches Immobiliengeschäft getätigt hatte und am 4. Juli die besten Reden in ganz Drake County hielt. Außerdem gaben sie ein prächtiges Paar ab, und als landesweit die Old Home Weeks eingeführt wurden, waren Mr und Mrs Scrimser äußerst gefragt, wenn es darum ging, die gute alte Zeit in lebenden Bildern darzustellen: Mrs Scrimser beim Spinnen am heimischen Herd und Großpapa (ohne das neue Gebiss, um seine Ähnlichkeit mit George Washington hervorzuheben) gestützt auf einen Krückstock mit Silberknauf, das Nussknackerkinn auf einen makellosen steifen Kragen gebettet. Lieber spielte Großmama allerdings die Pioniersfrau in der Holzhütte, Großpapa (jetzt wieder mit dem neuen Gebiss) zielte dabei in Cowboymontur mit der Flinte durch eine Ritze im Fensterladen, und hinter den Kulissen stießen die Kinder Indianergeheul aus. "Ich hätte niemals lange genug stillsitzen können, um all den Flachs für die Bettwäsche zu spinnen, wie die Frau auf diesem Bild von Lady Washington, aber ich hätte bestimmt eine richtig gute Pioniersfrau abgegeben", erklärte sie nicht ohne Stolz.
     "Du hast den Haushalt immer so geführt, als wärst du eine", pflegte Großpapa zu brummen, während er den lauwarmen Kaffee und schrumpeligen Speck beiseiteschob, und Mrs Scrimser antwortete dann immer: "Tut mir leid, dass dir dein Frühstück heute nicht ganz zusagt, Vater, aber es wird dich wohl auf dem Weg zur ewigen Seligkeit nicht allzu weit zurückwerfen. Ich musste das Dienstmädchen gestern Abend zur Zeltmission gehen lassen, und von diesen Zusammenkünften kommen sie immer schlapp wie nasse Waschlappen heim, deshalb musste sie mir den Speck braten, bevor sie wegging."
     "Jesus Maria!", stieß Großpapa hervor, und seine Tochter, Mrs Lorin Weston, schüttelte streng den Kopf in Richtung des kleinen Vance, als wollte sie sagen, er solle nicht zuhören, wenn Großpapa so daherrede, oder Großpapa habe in Wirklichkeit nicht das gesagt, was der kleine Vance zu hören geglaubt habe.
     Großmama Scrimser war natürlich mehr als alle andern an Vance? neuer Religion interessiert. Erstens war sie mit ihm einer Meinung, dass man eine neue brauche, obwohl sie immer noch fand, dass der "Fels der Zeit" den denkbar besten Untergrund für eine Religion darstelle, und hoffte, Vance werde niemanden davon abbringen wollen, die alten Choräle zu singen. Es dauerte ein Weilchen, bis sie begriff, dass es womöglich überhaupt keine Choräle oder geregelten Gottesdienste mehr geben würde, sondern nur noch eine mystische Vereinigung von Seelen, denen dieselbe Offenbarung zuteilgeworden war. "Pass nur auf mit deiner Mystik, Vance", schalt sie, "zigmal habe ich erlebt, dass das mit einem Kind endet." Doch als Vance seine Theorie entwickelte, hatte er das Gefühl, dass sie nicht verstand, wovon er sprach. Sie war nicht gebildet genug, um ihm über die schlichte Stufe frommer Stoßseufzer und Zerknirschung hinaus zu folgen.
     Vance? Eltern ließ das transzendentale Sehnen der alten Mrs Scrimser völlig ungerührt. Wenn Großpapa Scrimsers Verdauung versagte oder er eine Luftveränderung brauchte, packte er seine Reisetasche und zog aus der Vorstadt, wo er und Großmama jetzt wohnten, für eine Woche zu den Westons. Seine andere Tochter, die die nachlässige Schönheit ihrer Mutter, aber auch deren Verachtung allen Komforts und ihren Reformeifer geerbt hatte, schleppte im Namen von Abstinenz und edler Denkungsart von einem Podium zum nächsten einen Ehemann mit Verdauungsstörungen hinter sich her, welcher infolge fortwährender Ernährung mit Natronkeksen und Konserven langsam vor sich hin starb. Mrs Lorin Weston hingegen, eine kleine, pausbäckige Frau mit einem resoluten Mundwerk, war immer zu Hause geblieben, kümmerte sich um die Kinder, bekochte ihren Ehemann gut und kaufte, wenn er "Umsatz" gemacht hatte, stets ein Bild oder ein Klavierdeckchen, um ihre jeweilige Behausung zu verschönern. Sie zeigte ein gesundes Interesse für Kleidung, ließ sich, seit sie nach Euphoria gezogen waren, einmal in der Woche maniküren und hatte, als sie an der Mapledale Avenue zu bauen begannen, genug gespart, um sich einen Wintergarten mit Palmen und rosa Grammophon leisten zu können, womit sie den Neid der Nachbarn erregte.
     Was Lorin Weston anbetraf, einen sachlichen, eher kleinen Mann, nicht größer als seine Frau, so glich dieser den zerknitterten japanischen Papierblumen, die plötzlich aufblühen, wenn man sie in Wasser legt. Beim Kaufen und Verkaufen von Immobilien war Mr Weston in seinem Element, und er begriff nicht, wie ein normales menschliches Wesen ohne das existieren oder überhaupt von etwas anderem reden konnte. Auf kritische Nachfrage hin hätte er wahrscheinlich eingeräumt, dass eine geordnete Gesellschaft auch Polizisten, Professoren, Anwälte, Richter, Zahnärzte und sogar Geistliche benötige. (Letztere, damit die Frauen etwas zu tun hatten. Er persönlich hatte Ingersoll gelesen und neigte eher zu Voltaires Ansichten.) Aber obwohl er dies theoretisch eingestanden hätte, begriff er nicht, wie ein gesunder Mensch in der Praxis etwas anderes tun konnte als mit Grundstücken handeln. Gleich allen Genies ging ihm die Ausübung seiner Begabung derart selbstverständlich von der Hand, dass er sich ebenso wenig vorstellen konnte, sein Geld auf andere Weise zu verdienen wie unter Wasser zu leben. Er interessierte sich auch für den Hausbau, gewiss, denn Menschen, die Häuser bauen wollen, müssen zuerst Land kaufen, und überdies konnte man, wenn man den Mut hatte, ein vielversprechendes Häuschen auf einem nicht sehr vielversprechenden Fleckchen Land hochzuziehen, Haus und Grund zusammen für eine beträchtlich größere Summe verkaufen, als sie einen gekostet hatten, und sogar einen Grundstücksboom auslösen, wo es bisher nichts dergleichen gegeben hatte. Beflügelt von solchen Überlegungen, entwickelte er einen feinen Sinn für vorstädtische Architektur und wurde oft von Bauunternehmern oder Innenausstattern um Rat gefragt, wenn Diele oder Schlafbalkon eine besondere Note bekommen sollten, während Mrs Westons Rat in Küche und Wäschekammer von unschätzbarem Wert war. Beide übten ihren Beruf aus wie eine Religion; Mrs Weston legte in den ihren den Seelenrettungseifer ihrer Mutter, und Mr Weston lockte seine Kunden in die Vorstädte wie seine Schwiegermutter die ihren zu Jesus.
     Die Vorstadt Mapledale, durch und durch eine Schöpfung von Mr Weston, war Euphorias ganzer Stolz und wurde Ehrengästen immer gleich nach dem Alsop Building, der Zahntechnikerschule und dem Cedarcrest-Friedhof gezeigt; und da Erfolg das einzige Schönheitskriterium war, das der junge Vance kannte, fand er es selbstverständlich, dass alles, was sein Vater schön fand, auch schön sein musste. Trotzdem gab es Augenblicke, in denen er das Bedürfnis verspürte, der Perfektion des Hauses in Mapledale zu entfliehen und hinaus nach Crampton zu laufen, wo sich Großpapa und Großmama Scrimser in einem Haus niedergelassen hatten, das ihr Schwiegersohn ihnen mietfrei überließ, in der Hoffnung, sie würden ihm helfen, Crampton zu "erschließen". Bisher hatte sich diese Hoffnung nicht erfüllt, und Crampton war noch immer ein Kaff im Sumpf, nur unzureichend angebunden an das expandierende Euphoria; aber Lorin Weston konnte es sich leisten zu warten und freute sich, dass er seinen Schwiegereltern einen Gefallen tun konnte.
     Mrs Weston fuhr nicht oft nach Crampton; vor allem mied sie es, wenn ihre Schwester Saidie Toler dort war. Die Straße nach Crampton war so schlecht, dass es den Chevrolet schier in seine Bestandteile zerlegte, und außerdem konnte sie nicht mit ansehen, wie ein schönes Haus mit acht Zimmern, das so behaglich hätte sein können, verrottete, nur weil Großmama ihre Hausangestellten nach religiöser Überzeugung und Reizlosigkeit auswählte (sie traute Großpapa nicht) und mit Saidie ständig auf fromme Versammlungen lief und zu Vorträgen über Hygiene (hätte sie sich nur um ihre eigenen Abflussrohre gekümmert!), über Ernährung (und das bei Großmamas Fraß!) oder über den jeweils letzten religiösen, moralischen oder medizinischen Schrei. Meist befand sich auch ein langhaariger Fanatiker im Haus, der sich ebenso beredt über das "Allerneueste" auf dem Gebiet der Religion oder Moral verbreitete, wie Mrs Weston über Kühlschränke und Elektroherde predigte. Diese Propheten gingen Mrs Weston auf die Nerven, genau wie Saidie mit ihrer verschlampten blonden Schönheit, die schon etwas angeschmutzt wirkte, als hätte sie sie über Nacht im Freien stehen lassen, so wie sorglose Leute ihr Auto. Mrs Weston verehrte ihre Mutter und erkannte, wenn auch etwas unwillig, die Überlegenheit ihrer starken Persönlichkeit an. Aber sie hasste das Durcheinander, in dem Großmama lebte, und so lud sie Saidie und die Scrimsers lieber sonntags zum Essen in die Mapledale Avenue ein, wo sie das Gefühl hatte, dass ihr ordentlicher Haushalt und Mr Westons sachkundige Äußerungen die Gäste beeindruckten.
     Vance Weston mochte die Wohnung und das Essen seiner Großmutter nicht besonders; verglichen mit seinem eigenen Zuhause war es dort rückständig und unbequem. Doch er hatte eine unerklärliche Vorliebe für die ausgefahrenen Straßen von Crampton, die umgekippten Zäune und die ahornüberschattete Wiese am Fluss. Ihm gefiel, wie die Bäume über den Hof der Scrimsers hingen, ihm gefielen die wuchernden Fliederbüsche und die ungepflegte weiße Rose über der Veranda. Großmama Scrimsers weitschweifige Reden und Großpapas schlüpfrige Kommentare fand er stets anregend, manchmal amüsant und manchmal ein wenig einschüchternd. Die Propheten beeindruckten ihn nicht, und Tante Saidie war ihm regelrecht unangenehm, aber das alte Paar liebte er, und es wunderte ihn nicht, dass Euphoria sie immer noch bat, an Nationalfeiertagen aufzutreten. Die Stadt hatte nichts vergleichbar Großartiges zu bieten.

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