Vorgeblättert

Leseprobe zu Bogdan Musial: Stalins Beutezug. Teil 2

12.04.2010.
"Die ungeheuerlichste Verschleppungsaktion von Kulturgütern in der Geschichte"(245)


Im Frühjahr 1945 grassierte in Moskau das Beutefieber, das auch sowjetische Kunsthistoriker und Künstler ergriff. Nach dem Oktoberputsch 1917 hatten die Bolschewiken in ihrer Zerstörungswut unzählige Kunstschätze und Kulturgüter im Lande vernichtet und in den 1920er und 1930er Jahren vielfach ins Ausland verkauft, um Mittel für die Aufrüstung des Landes zu erwerben.(246) Die deutschen Besatzer standen ihnen in nichts nach und plünderten die von den Bolschewiken seinerzeit verschonten Kunstschätze in Minsk, Kiew und anderen eroberten Städten.(247) Nun machten alle Beteiligten sich Hoffnungen, diese ungeheuerlichen Verluste mit erbeuteten Kunstobjekten ausgleichen zu können.
     Im Frühjahr 1944 entstand unter führenden Kunsthistorikern und Künstlern sowie hochrangigen Parteifunktionären die Idee, in Moskau ein Supermuseum aufzubauen, das mit den in Deutschland und anderen Ländern beschlagnahmten Kunstobjekten ausgestattet werden sollte.(248) Am 25. September 1944 richteten zwei sowjetische Kunsthistoriker, Igor Grabar und Viktor Lasarew, ein Schreiben an Stalin, in dem sie einleitend feststellten, dass die Sowjetunion das Recht habe, Kunstschätze in deutschen Museen zu beschlagnahmen, um die in diesem Bereich durch die deutschen Besatzer verursachten Verluste auszugleichen. Die beiden hatten eine Liste mit etwa 2000 der wertvollsten Kunstobjekte zusammengestellt, die beschlagnahmt und in die Sowjetunion verbracht werden sollten. Zu 95 Prozent handelte es sich um Objekte aus deutschen Museen, dazu kamen Exponate aus ungarischen, rumänischen, österreichischen und finnischen Museen. Damit, so Grabar und Lasarew, sei der Aufbau eines großen, weltweit einzigartigen Museums in Moskau möglich, das in den nächsten paar hundert Jahren ein historisches Denkmal für die großen Siege der Roten Armee wäre.(249)
     Im Herbst 1944 hatte Stalin jedoch Wichtigeres zu tun, als sich mit dem Supermuseum zu befassen. Anfang 1945 ließ er jedoch ein Kunstkomitee errichten, das sich mit Archiven und Museen in den eroberten Gebieten zu befassen hatte. Im Februar arbeitete dieses Komitee bereits und stellte Brigaden aus Kunstspezialisten (Kunsthistoriker, Theaterregisseure, Musiker) "zur Durchführung eines Sonderauftrages der Regierung" zusammen. Der Sonderauftrag lautete: "Beteiligung an der Auswahl von Trophäen für kulturelle Organisationen sowie deren Transport nach Moskau". Diese Gruppen entsandte man anschließend zu den einzelnen Fronten (Heeresgruppen).(250)
Von diesen Aktivitäten erfuhr Wladimir Bontsch-Brujewitsch, ein Altbolschewik und Weggefährte Lenins adeliger Herkunft, der die Säuberungen der 1930er überlebt hatte und langjähriger Direktor des Literaturmuseums in Leningrad war.(251) Am 24. Februar 1945 verfasste er eine an Stalin gerichtete Denkschrift, in der er anregte, sämtliche altslawischen Handschriften, Briefe und Handschriften russischer Dichter, Schriftsteller und Philosophen sowie historische Dokumente, Bücher aus den deutschen Archiven, Museen und Bibliotheken, welche die russische und slawische Geschichte betreffen, zu beschlagnahmen und in die Sowjetunion auszuführen. Dasselbe sollte in den übrigen feindlichen Staaten geschehen, in den anderen europäischen Ländern könne man diese Objekte hingegen preiswert kaufen. Bontsch-Brujewitsch bot zu diesem Zweck seine und seiner Mitarbeiter Dienste an, wisse er doch, "dass [die] Mitglieder [der Kommission für Archive und Museen] die besagten Dokumente nie gesehen haben, weil man zu derartigen Forschungen Jahrzehnte benötigt. Ich habe mich vierzig Jahre lang mit diesen Dingen befasst."(252)
     Es ist nicht überliefert, ob die Entscheidungsträger im Kreml sein Angebot annahmen. Die ersten Brigaden für Kunstbeute setzten sich jedenfalls Ende Februar 1945 in Marsch. Am 2. März traf die Kunstbeutegruppe der 1. Ukrainischen Front unter Führung von Boris Filippow (Theaterregisseur) in Oberschlesien ein. Die Gruppe, der noch ein Musiker, ein Beamter für Baudenkmäler und ein Kunsthistoriker angehörten, quartierte sich in einem Hotel in Gleiwitz ein und schwärmte in alle Richtungen aus. Man durchforstete Büchereien, Theater, Schlösser, Wohnungen und Villen, die Adeligen und Industriellen gehörten, nach wertvollen Kulturgütern.(253)
     Die Gruppe arbeitete in äußerster Eile, denn am 19. März übernahmen die polnischen Behörden die Verwaltung der oberschlesischen Städte. Die sowjetischen Kunstspezialisten suchten die zum Abtransport geeigneten Objekte aus und transportierten sie dann mit Lastwagen zum zentralen Depot. Dort ließen sie alles von deutschen Frauen und Kindern verpacken und in Kisten verladen. Bald dampften drei Güterzüge nach Moskau, "beladen mit Möbeln, Gemälden, Plastiken, Drucken und Reproduktionen, Buntglas-Paneelen, Porzellan, Konzertflügeln, alten Waffen, Teppichen und natürlich Büchern". Einer der Güterzüge, voll mit Porzellan, entgleiste unterwegs: "Man kann sich unschwer vorstellen, was mit der Ladung geschah."(254)
     Ähnlich gingen die Sowjets in den übrigen ostdeutschen Gebieten vor. Im März 1945 entdeckten Einheiten der Roten Armee in dem Dorf Hohenwalde in der Nähe von Meseritz (poln. Miedzyrzecz) ein unterirdisches Depot. Dorthin hatten die deutschen Besatzer das Posener Kaiser-Wilhelm-Museum, nach 1918 in Museum Wielkopolskie umbenannt, ausgelagert. Die zuständige Kunstbeutegruppe wurde benachrichtigt und sorgte dafür, dass dort Wachen aufgestellt wurden. Allerdings hatten sowjetische Soldaten zuvor schon unzählige Exponate geraubt oder vernichtet. Zum Abtransport der noch heil gebliebenen Objekte deutscher wie polnischer Herkunft wurden 22 Güterwaggons bereitgestellt. Der erste bedeutende Transport mit geraubter Kunst setzte sich Richtung Moskau in Bewegung. Reiche Beute machten die Sowjets auch in Danzig.(255)
     Verhängnisvoll war der Umstand, dass die Sowjets sich nicht auf den staatlich organisierten Raub von Kunst- und Kulturgütern beschränkten, sondern das zerstörten, was sie nicht abtransportieren konnten. Vieles war von zerstörungswütigen Rotarmisten unwiederbringlich vernichtet worden, bevor die Beutekommandos eintrafen. So waren im deutschen Teil Oberschlesiens unmittelbar nach dem Einmarsch der Roten Armee zahlreiche Schlösser, Landsitze und Villen in Flammen aufgegangen.
     Schloss Neudeck in der Nähe von Tarnowitz (Tarnowskie Gory) war Sitz der Adelsfamilie Henckel von Donnersmarck, und die auch "Klein Versailles" genannte Anlage gehörte zu den größten und prächtigsten in Deutschland. Am 23. Januar 1945 besetzten sowjetische Truppen Neudeck, und sogleich begannen Raub und Verwüstung. Gegenstände, die plündernde Rotarmisten nicht mitnehmen konnten oder wollten, weil sie ihren Wert nicht einschätzen konnten, wie beispielsweise eine Sammlung altgriechischer Vasen aus Kreta, zerschlugen, zerhackten und zerschossen sie. Anschließend setzten sie das Schloss in Brand. Die Bevölkerung wagte es nicht, das brennende Gebäude zu löschen. Es blieben nur Ruinen, welche die kommunistischen Behörden im Jahre 1962 sprengen ließen, weil sie ein "deutsches" Überbleibsel seien.(256)
     Ein ähnliches Schicksal ereilte Hunderte Schlösser und Landsitze in ganz Schlesien und den übrigen deutschen Ostgebieten. Der Zerstörungswut der sowjetischen Soldaten fielen auch ganze Städte zum Opfer; niedergebrannt wurden unter anderem Kreuzburg (Kluczbork), Oppeln, Brieg (Brzeg), Festenberg (Twardogora) und Trebnitz (Trzebnica). In Trebnitz hatte es keine Kämpfe und folglich keine Kriegsschäden gegeben, trotzdem gingen 70 Prozent der Bausubstanz der Stadt durch von den Sowjets gelegte Brände verloren. Die zweite Welle sowjetischer Brandschatzungen suchte diese Gebiete nach dem 9. Mai 1945 heim, als Rotarmisten den Sieg über Deutschland feierten. Dabei gingen unter anderem die Lieg­nitzer Altstadt und das Schloss in Flammen auf.(257)
     In den ostdeutschen Gebieten haben die Sowjets weit mehr Kulturgüter und Kunstobjekte vernichtet als beschlagnahmt und abtransportiert. Den Rest erledigten die polnischen Plünderer, die den sowjetischen folgten, und vor allem die kommunistischen Behörden, welche die "deutschen Spuren" in den deutschen Ostgebieten systematisch tilgten.(258) Ähnlich gingen die sowjetischen Behörden in den ehemaligen ostpolnischen Gebieten vor, wo die "polnischen Spuren" beseitigt wurden.
     Große Beute machten die Sowjets erst in Mitteldeutschland, in der SBZ. Viele deutsche Museen, Bibliotheken und andere Kultureinrichtungen in Berlin, Dresden, Leipzig und anderen Städten waren durch die alliierten Bomben zerstört und beschädigt worden, unzählige Museumsobjekte, Kulturgüter und Kunstschätze gingen dabei verloren. Um dem Einhalt zu gebieten, lagerten deutsche Behörden die wichtigsten und wertvollsten Bestände an sichere Orte aus, beispielsweise in die Stollen stillgelegter Bergwerke oder in abgelegene Schlösser. Viele blieben jedoch vor Ort, aufbewahrt an bombensicheren Plätzen, so wie in Berlin. Ab Mai 1945 trafen in Moskau erste Berichte über gefundene Depots mit Kunstschätzen ein. Die bereits in Deutschland operierenden Kunstbeutegruppen erhielten Verstärkung aus Moskau, um die vielen Funde zu sichern, die wertvollsten auszuwählen und ihren Transport in die Sowjetunion zu organisieren.(259)
     Eine dieser Gruppen wurde vom Komitee für Kultur- und Bildungseinrichtungen beim SNK der Sowjetrepublik Russland aufgestellt und setzte sich aus fünf Bibliotheks- und Museumsspezialisten zusammen. Sie begannen im Mai 1945 ihre Suche nach Büchern und Museumsexponaten. Bis Ende November hatte die Gruppe 160 Güterwaggons mit wertvollsten Buch- und Bibliotheksbeständen gefüllt. Darunter befanden sich die Bibliotheken der Reichskanzlei und des Osteuropaministeriums sowie eine Sammlung alter Druckschriften und die erste Gutenberg-Bibel. Und die Suche ging weiter, neu entdeckte Bestände in der gesamten sowjetischen Besatzungszone waren zu sichern, die wertvollsten Exponate auszusuchen und in die Sowjetunion abzutransportieren. Hinzu kamen nun wertvolle Privatsammlungen aus Landsitzen und Schlössern, die für herrenlos erklärt worden waren und beschlagnahmt wurden. Angesichts der Menge des zu sichernden Beuteguts wurden weitere zehn Spezialisten aus der UdSSR angefordert.(260)
     Den größten Fund machten die Sowjets in einem Steinbruch bei Groflcotta im Kreis Pirna. Dorthin war ein Teil der Dresdner Gemäldegalerie ausgelagert worden, die zu den weltbesten Sammlungen gehörte und unter anderem Raffaels Sixtinische Madonna enthielt. Bald darauf stieß man auf zwei weitere Hauptdepots mit Kunstschätzen aus der Dresdner Galerie, eines im Schloss Weesenstein und das andere nahe der tschechischen Grenze bei Pockau-Lengenfeld. Die Kunstbeutebrigaden sicherten die Funde und organisierten den Transport nach Schloss Pillnitz in Dresden, wo das Sammeldepot für die Beutekunst aus Sachsen eingerichtet wurde.(261)
     Am 30. Mai 1945 unterrichtete Marschall Konew Stalin telegraphisch über den Fund der Schätze aus der Dresdner Galerie. Stalin antwortete Konew am 12. Juli: "Gewähren Sie notwendige Hilfe für den Abtransport der von der Brigade Oberst Rototajews vorbereiteten Fracht nach Moskau. Bedenken Sie, die Fracht ist von nationaler Bedeutung; sorgen Sie für notwendige Sicherheit und melden Sie den Vollzug. Stalin."(262) Zwei Wochen später, am 26. Juni, erging der GKO-Beschluss Nr.9256 über die Ausfuhr
der Kunstschätze aus den Beutedepots in Dresden in die Sowjetunion.(263)
     Aus der Sammlung der Dresdner Galerie wählten die Angehörigen der Kunstbeutegruppe 600 Gemälde zum Abtransport aus. "Am 30. Juli verließ ein Zug mit Gemälden, Skulpturen, Zeichnungen, Drucken und anderen Kunstobjekten der Dresdner Sammlungen die Stadt. Die restlichen Kunstwerke verblieben in Pillnitz unter der Obhut der sowjetischen Militärverwaltung."(264)
     Das Komitee für Kunstangelegenheiten beim SNK beschloss, die in Dresden erbeuteten Kunstschätze und Kunstwerke dem Puschkin-Museum für Bildende Künste zu überlassen. Chraptschenko, der Vorsitzende des Komitees, schrieb am 22. August 1945 an Molotow: "Dies wird - zusammen mit den bereits vorhandenen Sammlungen des Puschkin-Museums - ermöglichen, in Moskau ein grofles Museum für Weltkunst zu errichten, das in seiner Bedeutung solchen Kunstmuseen wie dem Louvre in Paris, dem Britischen Museum in London, der Eremitage in Leningrad gleich sein wird."(265) Die Idee eines groflen Museums für Weltkunst in Moskau, ausgestattet mit Beutekunstwerken, wurde später aus politischen Gründen fallen gelassen. Andernfalls hätte man vor der ganzen Welt zugegeben, in groflem Stil Kunstwerke geraubt zu haben.
     Das Puschkin-Museum erhielt im Sommer 1945 aus der Sammlung der Dresdner Galerie neben der Sixtinischen Madonna Meisterwerke von Rembrandt (14), Rubens (11), Tizian (5), Veronese (4), van Dyck (12), Velazquez (3), Correggio (4), Murillo (2), Tintoretto (3), Giorgione (Schlummernde Venus), Ribera (5), Botticelli und anderen. Hinzu kamen weitere Kunstschätze wie antike griechische Skulpturen, altägyptische Vasen, einmalige westeuropäische und östliche Porzellansammlungen.(266)
     Ein ähnliches Schicksal ereilte andere Kunstschätze, wertvolle Kulturgüter, Sammlungen, Bibliotheken. Die sowjetischen Kunstbeutegruppen sicherten sie, verpackten sie und organisierten den Abtransport in die Sowjetunion. Viele Kunstgegenstände, Gemälde, wertvolle Bücher, Skulpturen, Möbel fielen allerdings auch der Zerstörungswut der sowjetischen Soldaten zu Opfer. Der staatlich orga­nisierte Kunstraub im sowjetisch besetzten Teil Deutschlands dauerte bis 1948. Auch hochrangige Offiziere und Funktionäre beteiligten sich und "beschlagnahmten" unzählige Kunstwerke für private Zwecke.(267)
     Die Ausbeute an Kulturgütern war enorm, die sowjetischen Behörden hatten jedoch keinen Überblick darüber. Nach Angaben der zuständigen Stelle erhielten bis 1948 in der Stadt und Oblast Moskau 279 Einrichtungen etwa 2,5 Millionen Beutebücher. Die tatsächliche Zahl war viel höher. So bekam allein der Staatsfonds der Verwaltung für Kultur- und Bildungseinrichtungen beim SNK der Russischen Sowjetrepublik mehr als zwei Millionen Beutebücher, die Lenin-Staatsbibliothek erhielt 760000 Bände, die Moskauer Universität 13 Waggons mit Literatur und das Gesundheitsministerium 24 Waggons. An die Lenin-Bibliothek gingen unter anderem die Bestände der Königlichen Bibliothek in Potsdam, die Sammlungen der Sächsischen Staatsbibliothek, seltene Ausgaben alter Druckschriften der ersten Buchdrucker aus Deutschland, Italien, Frankreich und der Schweiz, dazu eine Sammlung von Broschüren der Revolution von 1848/49, die Erstausgabe des Buches Herr Vogt von Karl Marx und andere seltene Ausgaben. Auch 'faschistische Literatur' wurde massenhaft beschlagnahmt, und etwa 300000 Bände gingen an den Staatsfonds.(268)
     In anderen Großstädten (Kiew, Leningrad, Minsk) und Republiken war es nicht anders. In der Stadt und Oblast Leningrad erhielten 36 Einrichtungen 859821 Beutebücher, hinzu kamen über zwei Millionen Bände, welche die Bibliotheken der Akademie der Wissenschaften und des Staatsfonds bekamen. In der Ukraine sollen 102 Einrichtungen 215581 und in Weißrussland fünf Institutionen mindestens 100000 Beutebücher erhalten haben.(269) Damit könnte die Gesamtzahl der Beutebücher sich im zweistelligen Millionenbereich bewegt haben.
     Die Moskauer Bibliotheken jedenfalls platzten aus allen Nähten, und eine sachgemäße Aufbewahrung der Bücher war in den meisten Fällen nicht möglich. Man lagerte sie gestapelt und ungeschützt in Kellern, Holzschuppen, Korridoren und anderen ungeeigneten Räumlichkeiten.(270) Ebenso erging es anderen erbeuteten Kulturgütern und Kunstschätzen, und viele wurden dadurch stark beschädigt und oft genug unwiederbringlich vernichtet. Andere wurden entwendet, weil sie nicht ausreichend oder überhaupt nicht geschützt waren.(271)
     Ein Teil der sowjetischen Kunstbeute bestand aus Musikalien. So erbeuteten die Sowjets unter anderem das Musikarchiv der Königlichen Bibliothek zu Berlin, Bestände der königlichen Sammlung alter Musikinstrumente, des Staatlichen Instituts für Musikforschung in Berlin, des Fürstlichen Instituts für musikwissenschaftliche Forschung zu Bückeburg, der Hamburger Staatsoper. Darunter befanden sich viele Handschriften von Beethoven, Mozart, Schubert, Haydn, Weber, Rossini und anderen bedeutenden Komponisten, außerdem Sammlungen von Musikinstrumenten, große Mengen seltener Musikbücher und Doktorarbeiten, phonographische Walzen mit Musik verschiedener Völker der Welt und vieles mehr.(272)
     Diese Musikbestände hätten mit größter Sorgfalt behandelt werden müssen. Stattdessen wurden die Sammlungen teils auseinander gerissen oder gingen verloren. In Handschriftenbeständen, die dem Museum für Musikkultur übergeben worden waren, fehlten viele Autographen von Beethoven und Mozart. Es stellte sich heraus, dass damit ein florierender Schwarzhandel betrieben wurde. 276 Objekte, die dem Komitee für Kunstangelegenheiten übergeben worden waren, wurden vom Schimmelpilz befallen und verrotteten, weil man sie in einem Keller aufbewahrte. Wertvolle Bestände, welche die öffentliche Bibliothek in Leningrad erhalten hatte, lagerte man in den Räumen einer Kirche, die infolge mangelhaften Brandschutzes mitsamt den eingelagerten Schätzen abbrannte. Ähnlich "verbrecherisch fahrlässig" wurden die meisten erbeuteten Musikbestände aufbewahrt.(273)
     Unter den durch die Sowjets in Deutschland geraubten Kunstschätzen und Kulturgütern befanden sich auch solche, die zuvor von den Deutschen geraubt worden waren. Die meisten stammten aus Polen, und darunter waren wertvolle Bücher, Handschriften, Gemälde und Archivalien. Die Leitung der Moskauer Lenin-Bibliothek ordnete die gesonderte Lagerung dieser polnischen Kulturgüter an, für den Fall, dass sie der polnischen Regierung zurückgegeben werden sollten.(274) Aber auch hier ging vieles entweder bereits beim Transport verloren oder wurde infolge unsachgemäßer Aufbewahrung in der Sowjetunion stark beschädigt bzw. vernichtet.(275)
     Bis zum 1. Januar 1948 bekam die Lenin-Bibliothek etwa 760000 Bände Beuteliteratur, 20565 Bücher erhielt Polen zurück, da sie ursprünglich aus polnischen Bibliotheken stammten und von den deutschen Besatzern als Kriegsbeute ausgeführt worden waren.276 Wie viele polnische Kulturgüter und Kunstschätze, die von den deutschen Besatzern geraubt und von den sowjetischen "Befreiern" erbeutet wurden, noch heute in russischen Depots und Kellern lagern und dort möglicherweise inzwischen verrottet sind, ist nicht bekannt.

Teil 3