Vorgeblättert

Jedediah Purdy: Das Elend der Ironie, Teil 1

Vorwort

Was nicht ausgesprochen ist, neigt zur Nichtexistenz. (Czeslaw Milosz)

Mein Buch versteht sich als Antwort auf eine ironische Zeit. Ironie ist bei uns zu einem Zeichen von Weltläufigkeit und Reife geworden. Der ironische Mensch pflegt einen Sprach- und Verhaltensstil, der jeden Schein von Naivität meidet - den Schein naiver Hingabe, naiven Glaubens, naiver Hoffnung. Unterschwellig suggeriert er die Unangemessenheit dessen, was er sagt, seiner Gesten, seiner Handlungen. Durch die Modulation seiner Stimme, den Ausdruck seines Gesichts und die Bewegung seines Körpers signalisiert er, wie sehr ihm bewußt ist, daß man ihn für einen Trottel oder schlicht einen Langweiler halten kann und daß er diese Einschätzung vielleicht sogar teilt. Seine ironische Vorsicht schlägt um in Mißtrauen gegen die Sprache selbst. Er desavouiert seine eigenen Worte. 

Gegen diese Haltung plädiert mein Buch. Es erkennt einen Wert darin, Hoffnungen auszusprechen, auch wenn sie sich nicht sofort umsetzen lassen. Meine Absicht beim Schreiben dieses Buches war, unsere Hemmungen ernst zu nehmen und zu fragen, wessen es bedarf, um sie zu überwinden.

Um dies leisten zu können, muß man erst einmal die ironische Manier unserer Zeit durchschauen. Denn in dieser Ironie steckt Angst. Es ist die Angst vor Verrat, vor Enttäuschung, vor Demütigung, der wir uns auszusetzen fürchten, wenn wir zu sehr glauben, hoffen oder lieben. Ironie ist die Weigerung, sich auf trügerische Dinge einzulassen. Allerdings hat Ironie auch etwas Hellsichtiges, und manchmal muß man sich wirklich fragen, ob der Ironiker nicht auch recht hat. Der Ironiker läßt uns wissen, daß die Welt alt, flach und steril geworden ist und daß wir ihrer zu Recht überdrüssig sind. Es gibt nichts, was uns noch hinreißen, bewegen, begeistern oder entsetzen könnte. Nichts kann uns mehr überraschen. Alles, was uns begegnet, ist Remake, Reprise, Aufguß. Wir kennen alles, bevor wir es sehen, weil wir alles schon gesehen haben.

Was hat uns die Welt so entleert? Zum einen sind wir alle von einer unerhörten Selbst-Bewußtheit. Die Werbung treibt Spott mit der Idee der Werbung, die Sitcom macht sich einen permanenten Spaß daraus, daß sie Sitcom ist, und Imageberater kennen alle Techniken, eine Persönlichkeit als Produkt zu konzipieren und zu vermarkten. Wir haben kein intimes Erlebnis, kein privates Wort der Zuneigung, des Mitleids oder des Tadels, das uns nicht schon längst auf einer Riesenleinwand vor Hunderten von Zuschauern vorgeführt worden wäre. Wir können nicht von Sühne oder Entschuldigung sprechen, ohne uns daran zu erinnern, auf wie zynische, ja moralisch obszöne Weise diese Worte von Politikern mißbraucht worden sind. 

Sogar in der Zweisamkeit mit der Natur, beim Radeln auf einer Landstraße oder beim Wandern im Gebirge, erkennen wir Ironiker wider Willen, daß unsere Freude an diesen Orten längst von Modekatalogen, Freizeitkalendern und Anzeigen vorformuliert wurde, die einen Zipfel von dieser abenteuerlichen oder heilen Welt versprechen. Und so empfinden wir etwas Unwirkliches in unseren Worten, ja sogar in unseren Gedanken. Sie sind oberflächlich, sie gehören zu anderen Menschen und anderen Zwecken; es sind nicht die unseren, und vielleicht ist es so, daß überhaupt nichts »das Unsere« ist. Was unsere ironische Haltung ausdrückt, ist genau diese Bewußtheit sowie das Bedürfnis, unsere Hoffnungen nicht auf etwas zu stützen, das andere inszeniert haben.

Ironie ist aber auch die Reaktion auf etwas anderes. Seit etwa fünfundzwanzig Jahren vermag es die Politik nicht mehr, unsere Einbildungskraft zu beflügeln. Sie ist nicht länger Schauplatz für das Drama von Moral und Historie. Sie wirkt nurmehr langweilig, kleinkariert und provinziell.

Diese Veränderung wäre nicht so bedeutsam, hätte die Politik auch früher schon so wenig Gewicht gehabt. Doch mehr als zweihundert Jahre lang war sie die Quelle für Inspiration und Orientierung im Leben vieler Menschen. Seit der radikalen Epoche der Französischen Revolution besteht die Verheißung, daß Politik die Situation des Menschen auf elementare Weise zum Besseren wenden könnte. Politik könnte demnach all die unnötigen, grausamen und erbitternden Auswüchse der Geschichte tilgen und sie durch gerechte und menschliche Gesetze ersetzen, bei denen Menschen zum ersten Mal so frei leben würden, wie sie geboren waren. Sowohl für die Revolutionäre, deren Bestrebungen die Welt erschütterten, als auch für die großen Reformer Britanniens und Amerikas war Politik der Angelpunkt, durch den man den Hebel der Geschichte bewegen konnte. Sie brauchten nur einen festen Standpunkt, um es Archimedes gleichzutun und die Welt aus den Angeln zu heben.

Diese außerordentliche Verheißung zog Hoffnungsvolle und Hoffnungsbedürftige gleichermaßen an, Menschen, empfindsam für Leid und Grausamkeit und dem festen Entschluß, beides zu bekämpfen. Politik war das Mittel der Wahl, um moralische Einsicht, eine Sehnsucht nach einem idealen Zustand in reale Geschichte zu überführen. Für viele Menschen im 19. wie noch im 20. Jahr­hundert übernahm die Politik sogar die Rolle der Religion. Sie verhieß dem einzelnen Orientierung. Ihr Ziel, die Welt neu zu machen, war teils Heilserwartung - sowohl für ganze Gesellschaften als auch für diejenigen, die an einer Veränderung arbeiteten. Die Politik war der Weg für den Dienenden, den Helden und den Hei­ligen.

Weil ihre Bestrebungen so weitgesteckt und tiefreichend waren, warf die Politik Fragen auf, denen sich kein ernsthafter Mensch entziehen konnte: In was für einem Land wollen wir leben? Wer wollen wir sein? Wie wollen wir arbeiten? Und wie wollen wir lieben? Das al­les waren Fragen, die die Politik zu lösen versprach (oder zu lösen drohte). Der deutsche Schriftsteller Thomas Mann formulierte eine Einschätzung, die von vielen Menschen - bald widerwillig, bald begeistert - geteilt wurde, wenn er schrieb: »Die Frage nach dem Schicksal des Menschen ist heutzutage eine politische.« Diese Wahrheit zu verkennen hieß, am entscheidenden Drama der Zeit vorbeizugehen.

All dies ist heute so definitiv vorbei, daß es schwer ist, sich auch nur daran zu erinnern. Ernsthaft von persönlichen Dingen zu sprechen ist schwer genug, aber ernsthaft von öffentlichen Fragen zu sprechen wirkt nachgerade pervers: nicht nur naiv, sondern geradezu falsch oder unüberlegt. Politik wird heutzutage gleichgesetzt mit verlogener Rede und schlechten Motiven. Jeder glaubt sie zu durchschauen, man sieht nur noch des Kaisers neue Kleider. Das öffentliche Leben ein leeres Ritual, ungläubig praktiziert wie die Zeremonien eines überalterten, gescheiterten Glaubens, begangen nach den alten Litaneien, weil keine anderen zur Stelle sind und weil eine Gebetsmühlensprache ohnehin gleichgültig ist gegen ihre Inhalte.

So gehören unsere private Vorsicht und das öffentliche Versagen der Politik zu den Ursachen unserer ironischen Haltung. Ihre Ursachen zu verstehen, die Ironie zu beschreiben und zu diagnostizieren gehört zu den Dingen, die ich mir in diesem Buch vorgenommen habe, und ist Gegenstand der ersten zwei Kapitel. Der Rest des Buches gilt dem Versuch, eine Hoffnung zu formulieren, die mir zu wichtig erscheint, als daß sie unausgesprochen bleiben dürfte. Ich glaube nicht daran, daß uns die Ironie, und sei sie noch so massiv, davon überzeugt hat, daß es das Wirkliche, das Wahre, das Unsere nicht gibt. Wir glauben doch (wenn wir es nur zulassen), daß es Dinge gibt, auf die wir vertrauen können, Menschen, für die wir sorgen können, Worte, die wir im Ernst sagen können. Ironie macht uns vorsichtig und verlegen in unserer Überzeugung. Wir wollen nicht, daß die Dinge, auf die wir vertrauen, bekrittelt, entzaubert und niedergemacht werden, und wir sind nicht sicher, daß sie im grellen Licht einer skeptisch-reflexiven Zeit gut aufgehoben sind. Wir ertragen den Gedanken nicht, daß sie am Ende trivialisiert werden und zu einem Werbeslogan, einem Filmdialog oder einer Selbsthilfephrase verkommen. Und so bewahren wir unsere Hoffnungen in der Dunkelheit unartikulierter Gefühle und halbver­botener Gedanken auf.

Ich glaube, daß diese Gedanken formuliert werden müssen, um überhaupt zu bestehen. Wir sollten es uns nicht leisten, sie verborgen zu halten, nicht sagen, wir hätten sie hinter uns gelassen oder gar nicht erst an sie geglaubt. Wir sollten sie nicht fahrlässig preisgeben. Die einzige Möglichkeit, ihre Wahrheit zu überprüfen, und die beste Möglichkeit, an ihnen festzuhalten, besteht darin, sie in die Welt zu setzen, sie zu durchdenken und nach ihnen zu handeln.

Teil 2