Vorgeblättert

Attila Bartis: Die Ruhe. Teil 3

01.08.2005.
In Karcag setzte ich mich in den Wartesaal. Eigentlich mag ich die Plastikblumen an den Rippen der Heizkörper und wie die Fliegenfänger an den Neonröhren hängen, die Normaluhr von der Größe einer Waschschüssel und den Geruch von Leberwurstbroten, Selbstgebranntem und Schweiß, den die Putzfrauen nicht einmal mit dem Luftreiniger Grüner Apfel aus den riesigen Hallen verbannen können. Eine junge Frau vom Dorf saß am anderen Ende des Saales, ich beobachtete sie eine Weile. Zwischen ihren gegrätschten Beinen quiekten frisch geschlüpfte Küken in einer neongelben Vinyltüte, auf dem Schoß hielt sie einen Säugling, den sie zu beruhigen versuchte, ohne Erfolg, das Kind hörte nicht auf zu schreien. Schließlich bekam es, was es wollte: Die Mutter holte eine Brust unter der Bluse hervor, und es saugte sich fest wie ein Blutegel. Sein gieriges Schmatzen hatte nichts von kindlicher Unschuld, und sobald es die Muttermilch zu schlucken begann, wurden die in der Tüte zusammengepferchten Küken still.
     Ein Lastwagen mit Verdeck hielt vor dem Eingang. Der Fahrer stellte nicht einmal den Motor ab, er wartete nur, bis alle fünfzehn Männer von der Ladefläche abgesprungen waren, dann gab er Gas und fuhr davon. Kein Winken, kein Gruß, nichts - als wäre der Lastwagen ferngesteuert. Die Männer kamen in den Wartesaal und setzten sich nebeneinander. Alle trugen das gleiche T-Shirt und die gleichen Hosen, wie Rekruten beim Arbeitsdienst. Das hier konnten allerdings kaum ungarische Soldaten sein, man sah sofort, daß sie nicht mal "Guten Tag" verstehen würden. Ich für meinen Teil finde es nicht weiter anstößig, wenn die besonderen Merkmale unserer Rassenzugehörigkeit sich auf unserem Gesicht breitmachen wie auf dem Dorf die tratschenden alten Frauen vor dem Haustor. Daß man sofort weiß, was es zu Mittag gegeben hat: Spaghetti oder Gulaschsuppe. Neben der babylonischen Sprachverwirrung gehören diese typischen Merkmale zu den wenigen Ideen Gottes, die ich ausgesprochen schätze. Auch auf den Gesichtern dieser Männer machten sich ihre Eigenheiten, das Nichtungarische also, unübersehbar breit. Sie sagten kein Wort, starrten mit ihren wässerigen Augen nur bitter durch die Vorhänge voller Fliegendreck auf die Gleise. Jeder hatte die gleiche Plastiktüte von Skalametro in der Hand, darin die gleichen belegten Brote, den gleichen Reisepaß, und als der Säugling wieder zu schreien anfing, zuckten alle fünfzehn gleichzeitig zusammen, dabei sah man ihnen an, daß selbst der Schmächtigste unter ihnen sich jederzeit mühelos zwei Sack Zement auf den Rücken wuchten konnte.
     Dann kam eine Art Stationsaufseher herein und sagte, er würde gern die Fahrkarten der Herren sehen, den Wartesaal dürfe nämlich nur in Anspruch nehmen, wer im Besitz einer gültigen Fahrkarte sei, aber die Männer verstanden nicht, was er wollte.
     - Bileta. Ohne Bileta du hier raus. Draußen scheint Sonne, sagte der Aufseher, dabei zeigte er nach draußen.
     - Oradea, sagte einer den rumänischen Namen, dann griffen alle fünfzehn gleichzeitig in ihre Plastiktüte von Skalametro und holten ihre Fahrkarte hervor.
     - Nagyvarad heißt das, ihr verfickten Hurensöhne, sagte der Aufseher lächelnd, dabei nickte er, mit Fahrkarte, da sei ja alles in Ordnung.
     - Und wozu war das jetzt gut? fragte ich, dabei hätte ich am liebsten seinen Kopf gepackt und damit den Putz von den Wänden geschlagen, bis nur noch das nackte Mauerwerk übrigblieb, aber leider lernen wir im Laufe der Jahre, unsere Feigheit für Friedfertigkeit zu halten.
     - Die verstehen das sowieso nicht, sagte er, immer noch grinsend.
     - Aber ich verstehe es, sagte ich.
     - Ihre Fahrkarte hat keiner verlangt, sagte er und ging hinaus, während ich mich mit dem Gedanken zu beruhigen versuchte, daß ich darüber schon noch schreiben würde, denn wenn wir uns nicht zuzuschlagen trauen, denken wir gern ans Schreiben wie an die Peitsche oder den Ochsenziemer.


     Einige Minuten später kam der Fernzug aus Budapest, und die Männer stiegen ein. Nicht alle in einen Waggon, sondern verstreut, zwei in den ersten, fünf in den letzten, alle durcheinander, denn fünfzehn Schwarzarbeiter auf einem Haufen wären bereits eine Unverschämtheit, das würde sogar den verständnisvollsten Grenzbeamten in Rage versetzen, und dann käme man nicht mehr am Abend mit dem Korona-Expreß von Großwardein in die Pußta zurück, mit einem neuen Touristenstempel, gültig für einen Monat. Dann würde einem für zwei Jahre verboten, die Kornkammer Europas zu betreten, und es blieben nur der Hitzschlag im Baragan und statt der fünfzig Forint und der zwei warmen Mahlzeiten täglich die kalte Polenta vom Vortag, als besonderes Merkmal der Rassenzugehörigkeit.

Ich hatte noch gut zwanzig Minuten, bis mein Anschlußzug kam, also holte ich das Manuskript hervor, um den Geburtsschleim abzuwischen, aber es gab nicht viel zu tun; hier und da ein Komma, dieWortstellung und dergleichen. Im Grunde war es eine ziemlich simple Geschichte über einen Dorfpfarrer namens Albert Mohos, der jahrelang ehrenhaft seinen Dienst versehen hatte, bis er eines Tages bei der Karfreitagsmesse die ganze Gemeinde ausrottete, mit Rattengift, unter die Hostien gemischt.

Ich war es gewohnt, während der Gastgeber - meist der Ungarischlehrer, der Bibliothekar oder der Leiter der Kulturarbeit - mich mit wenigenWorten vorstellte, das Publikum in Augenschein zu nehmen und mir jemanden auszusuchen, für den ich lesen, dem ich hin und wieder in die Augen schauen wollte und der keine Fragen stellen würde. Also jemanden, der nicht klatschen würde, weil er spürte, daß das nicht seine Sache war. Sobald wir auf dem Podium Platz genommen hatten, wählte ich mir auch jetzt wieder eine Frau umdie vierzig aus, irgendwo außen in der dritten Reihe, aber schon nach den ersten Sätzen merkte ich, wie es sie störte, daß ich zu ihr sprach, und etwa nach der Hälfte meiner Erzählung stand sie tatsächlich auf und verließ den Saal. Sie achtete nicht mal darauf, daß ihr Sitz nach oben knallte. Von da an saß ich auf dem Podium wie bei einer Gerichtsverhandlung, doch ich las die Erzählung zu Ende, dann bemühte ich mich, ordentlich auf die Fragen zu antworten, warum ich schreibe, was ich für Pläne habe, ob ich mit meinen bisherigen Erfolgen zufrieden sei oder ob ich mit mehr gerechnet hätte. Nur erinnerte ich mich nicht mehr genau an meine Antworten, und so mußte ich die ganze Wasserkaraffe leer trinken, um Zeit zu gewinnen. Zum Glück steht immer eine Kanne mit Wasser auf dem Tisch. Dann fragte mich ein älterer Mann, warum ich mich ausgerechnet für einen Pfarrer als Hauptfigur entschieden hätte, ob ich denn etwas gegen die Kirche hätte, und wenn ja, warum, seiner Ansicht nach hätte nämlich die Kirche in unserer heutigen, entfremdetenWelt eine ziemlich wichtige Funktion. Und wieder mußte ich ein Glas Wasser trinken, denn auf diese Frage war ich absolut nicht vorbereitet. Ich wäre nicht im Traum darauf gekommen, daß mein Pfarrer Albert Mohos irgend etwas mit der Kirche zu tun haben könnte.
     Ich habe nichts gegen die Kirche, sagte ich. Ich wisse selbst nicht genau, warum ich ausgerechnet einen Priester zur Hauptfigur meiner Erzählung gemacht hätte. Vielleicht, weil sie mit einem Parteisekretär gar keinen Sinn ergeben würde, sagte ich. Von einem Parteisekretär können wir nicht unbedingt von vornherein ausschließen, daß er bei einer Parteisitzung die Parteimitglieder vergiftet, sagte ich, dann kam mir glücklicherweise der Bibliothekar zu Hilfe:
     Diese Geschichte ist in Wirklichkeit ein Symbol, lieber Anti, nur ist sie sehr lebensgetreu geschrieben, sagte er, dann bedankte er sich schnell, daß ich die Einladung angenommen hätte, und wünschte mir weiterhin frohes Schaffen und viel Erfolg.
     Nach der Lesung kam der Pfarrer des Ortes zu mir, ein Mann um die fünfzig, Typ Militärseelsorger, der, wenn es sein muß, von Schützengraben zu Schützengraben spaziert, als würde nur der Himmel gerade mal donnern, und der dank der grenzenlosen Güte des Herrn erst getroffen wird, wenn er seine Arbeit beendet hat.
     - Ich habe einen ziemlich guten Meßwein, falls Sie sich trauen, ihn zu probieren, sagte er und hakte mich unter, so daß ich gleich einen Grund hatte, auf den ich mich berufen konnte, um die Einladung des Schuldirektors abzusagen, dem wahrscheinlich bei der Sitzung des Kulturausschusses meine Verköstigung als kultureller Auftrag zugeteilt worden war und dem man jetzt deutlich die Erleichterung anmerkte, daß er nicht mit einem Wildfremden über die Probleme im Unterrichtswesen und über seine trotz allem vorbildliche Schule reden mußte, über die alljährliche Schulolympiade in Lyrikrezitation, über die Studienfahrten oder über die Erfolge der Kreisvolkstanzgruppe, die in diesem Jahr ihr Jubiläum feierte. Und weil er sich auch nicht nach den Schwierigkeiten im Verlagswesen erkundigen mußte, schließlich hatte er ja selbst genug am Hals, es war keine zwei Tage her, daß die Kuh ihr Kalb verloren hatte, und dann wird ihm im Rahmen des Kulturprogramms auch noch jedes halbe Jahr ein Schriftsteller aufgebrummt, der im günstigsten Fall das Badezimmer vollkotzt und seine sechzehnjährige Tochter belästigt, im schlimmsten Fall aber schweigt wie ein Grab, die Hühnerschenkel mit Messer und Gabel ißt, so daß die ganze Familie mit Messer und Gabel essen muß, und dann ist die Reihe an ihm, dann darf er allein Süßholz raspeln, Herrgottsakra, dieses ganze Kulturprogramm, wenn man ihnen wenigstens nicht schon von weitem ansehen würde, den Schweigern und den Kotzern, daß sie in Wirklichkeit nur ein Häufchen Elend sind, zu Erwachsenen aufgeblasene Säuglinge, die bis zum heutigen Tag am liebsten ihrer Mutter am Busen hängen würden, genau wie der hier mit den Hostien und dem Rattengift. Aber beim Schweineschlachten würde der Herr Dichter die Schüssel mit dem Blut in hohem Bogen von sich schleudern, wie ein wurmiger Apfel würde die Schüssel durch die Luft fliegen. Aber da täuschen Sie sich, Herr Direktor, ich werde sie festhalten, jetzt erst recht.
     - Danke, Herr Direktor, aber die Kirche hat mich soeben auf ein Glas Meßwein eingeladen.
     - Das tut mir wirklich leid, dabei hätten wir uns so gut unterhalten.
     - Auch ich bedauere es unendlich, aber Sie werden sicher verstehen, daß es für mich jetzt ungemein wichtig ist, die Meinung von Vater La´za´r zu hören. Das versteht sich von selbst, und es freut mich, daß auch ich Ihre Bekanntschaft machen durfte. Erlauben Sie mir, Ihnen im Namen der ganzen Gemeinde meinen Dank für diesen unvergeßlichen Abend auszusprechen, sagte er, dann packte mich der Pfarrer am Arm und schleppte mich ab wie einen Gefangenen, und ich ließ es geschehen, dabei schaudert es mich, von Männern berührt zu werden. Ein Händedruck ist das einzige, was ich ertrage, aber auch nur mit möglichst weit ausgestrecktem Arm. Jetzt aber merkte ich, daß in diesem ganzen verfluchten Dorf der Pfarrer mit der Taschenlampe der einzige war, den die Geschichte von Hochwürden Albert Mohos und seiner Schandtat nicht mit tiefster Empörung erfüllt hatte. Der einzige, mit dem man es ohne Schauspielerei irgendwie bis morgen würde aushalten können. Und dann nichts wie weg hier, dachte ich. Mit dem allerersten Zug zurück zu Eszter, dachte ich, und das beruhigte mich etwas, und ich ließ mich vom Pfarrer am Arm durch das dunkle Dorf führen, quer durch verlasseneGärten, an Hühner- und Kuhställen vorbei, weil das kürzer war. Mal zerrte er mich, dann wieder schubste er mich, je nachdem, ob das Licht der Taschenlampe sich in einem Graben verlor oder in einer Pfütze aufblitzte.
     - Wir suchen Ihnen gleich einen Pullover aus einem der Hilfspakete, sagte er, weil mein Jackett vom Nieselregen durchweicht war, und ich sagte, danke, das sei nicht nötig, der Meßwein würde es auch tun.
     Wir mußten eine große, unnötige Kurve abgeschnitten haben, denn auf der anderen Seite des Baches kamen wir wieder auf die Hauptstraße, und schließlich blieben wir vor einem Herrenhaus stehen. Das gelbliche Licht der Taschenlampe wanderte über die von Salpeter zerfressene Fassade, und wie Haifischzähne blitzten nach und nach die zerbrochenen Fensterscheiben im Obergeschoß auf. Schließlich verweilte der Lichtkegel auf dem zerfallenden Steinwappen über dem Tor, einem Pelikan, der seinen Jungen sein Blut zu trinken gibt.
     - Zufrieden? fragte er, während er den Schlüssel suchte.
     - Ja, sagte ich.
     Das war alles, was mir dazu einfiel, dabei war dieses moosbewachsene Nest unser Familienwappen gewesen, bis Wappen aus der Mode kamen. Auf besseren Wappenschilden spien die Phönixe damals noch Feuer, die Braunbären fletschten die Zähne, die geflügelten Lo¨wen brüllten, die gesamte heraldische Fauna lebte noch frisch und fröhlich dahin, als das Blut, mit dem unser Vogel seine Jungen fütterte, längst zu Wasser geworden war. So daß meine Mutter im Alter von siebzehn Jahren bereits ungeniert als Julia die Bretter betreten konnte, welche die Welt bedeuten, und ich mich ungeniert an der Günther Wagnerschen Variante des Nestes auf der Kappe meines Pelikan-Füllers delektieren durfte.

Vor etwa zehn Jahren ging ich wochenlang zum Trödler, denn ich hatte beschlossen, meiner Mutter zu Weihnachten das Wappen unserer Ahnen wieder zu besorgen. Herr Rosenberg und ich begrüßten einander inzwischen schon mit Schalom, aber noch immer hatte er nichts Besseres anzubieten als einen Füller, während ich mir eine alte Urkunde, notfalls einen aus einem alten Buch herausgetrennten Stich in den Kopf gesetzt hatte. Einen Füller hätte ich meiner Mutter irgendwie nur ungern in die Hand gegeben. Und ich selbst hatte ja meinen Montblanc. Umnichts in derWelt würde ich die Schneeflocke aus Bakelit gegen ein Nest voller krächzender Pelikane eintauschen, dachte ich. Und als ich den Grundriß des Lagers von Dachau schon in- und auswendig kannte, als ich bereits die Namen sämtlicher Kapos aufzählen konnte und die Suppenkessel mit geschlossenen Augen, im Schlaf, gefunden hätte, durchzuckte es mich plötzlich, daß ich heute wieder nur hergekommen war, weil ich mich immer noch nicht entscheiden konnte, ob Montblanc oder Pelikan, und ich sagte zum alten Rosenberg, er solle den Füller ruhig einem Sammler verkaufen, ich brauchte ihn gar nicht, worauf er entgegnete, na, reden Sie doch keinen Blödsinn, was soll denn diese Gefühlsduselei, wenn das so wäre, könnten Sie ihr ganzes Leben lang genausogut Futterrübensuppe essen. Glauben Sie mir, diesen Füller brauchen Sie dringender als hundert Adelsbriefe. Also, Sie nehmen ihn jetzt scho¨n mit nach Hause, waschen ihn und füllen ihn mit einer ordentlichen Portion volksdemokratischer Tinte, Tinte habe ich nämlich keine. Und ich weichte ihn eine Nacht lang in lauwarmem Wasser ein, damit der Kolben wieder funktionierte, und als er schon Wochen wieder funktionierte, konnte ich immer noch nichts mit ihm anfangen. Dann fuhr jemand nach Brüssel, und von da an schrieb ichmeiner Mutter die Briefe meiner Schwester immer mit diesem Füller.

- Sind Sie schon einmal hier gewesen? fragte der Pfarrer.
     - Nein. Aber ich werde mir Mühe geben, mich wie zu Hause zu fühlen, sagte ich.
     - Zuletzt hat das hier der Arbeiterwehr gehört, sagte er.
     - Die haben es aber ganz schön runtergewirtschaftet, sagte ich.
     - Hinten im Apfelgarten haben sie ihre Schießübungen abgehalten. Zuerst nur auf die Zielscheibe, aber dann trat der Abdecker in den Verein ein, und da gab es auch streunende Hunde. Klar, so was ist ein Kinderstreich im Vergleich zu einem Priester, der seine Gemeinde mit Hostien ausrottet.
     - Was soll ich sagen, ich hatte gehofft, Sie würden nicht den beleidigten Kleriker geben, Vater, sagte ich.
     - Machen Sie sich nicht lustig, den beleidigten Kleriker habe ich mir längst abgewöhnt.Was glauben Sie denn, warum man mich aus einer Kro¨nungskirche hierher, ans Ende derWelt verbannt hat? Nach Ihren Kriterien bin ich sicher kein schlechter Priester.
     Ich hielt ihm die Taschenlampe, während er mit dem Schlüssel im Schloß herumstocherte, dann betraten wir den zu einer Küche umfunktionierten Turnsaal, und er machte Licht.
     - Die Sprossenwände haben sie leider mitgenommen, aber die Sprungbretter und die Böcke sind noch auf dem Dachboden.
     - Von draußen erwartet man irgendwie etwas anderes.
     - Selleriecreme- oder Leberknödelsuppe?
     - Sellerie.
     - Ich könnte noch Rühreier machen.
     - Lassen Sie nur, sagte ich. - Ist Ihnen die Köchin weggelaufen?
     - Sagen wir lieber, meine Frau. Es war zwar keine vor Gott geschlossene Ehe, aber Ehefrau paßt doch besser.
     - Was ist passiert?
     - Nichts Besonderes. Ich habe Erdkunde unterrichtet, sie Physik, dann kam ein neuer Sportlehrer an die Schule. Aber damit trage ich nichts Neues zum Thema erschütternder Liebesgeschichten bei, denke ich. Kinder haben wir zum Glück keine.
     - Von der Scheidung in den Schoß der Kirche, das ist ja wohl selten der direkte Weg.
     - Ich hatte Glück. Ich könnte auch sagen: eine ArtGotteserfahrung. In der Schulbibliothek griff ich aus Versehen daneben, und statt des Goldenen Esels von Apuleius nahm ich die Bekenntnisse des Augustinus vom Regal.
     - Gar nicht so wenig für eine Gotteserfahrung.
     - Für Anfänger fast schon zu viel. Ich dürfte etwas zu eifrig gewesen sein, denn schon sehr bald wurde mir vom Schuldienst abgeraten. Dann mäßigte ich mich, und mit dreißig immatrikulierte ich mich für Theologie.
     - Und was haben Sie vom Regal genommen, als Sie ans Ende der Welt verbannt wurden?
     - Wieder die Bekenntnisse des Augustinus.

Mit freundlicher Genehmigung des Suhrkamp-Verlages

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