Vom Nachttisch geräumt

Was der Herr möchte

Von Arno Widmann
11.05.2015. Viel, sehr viel, das man gerne hört, aber so gut wie nichts Genaues. Jorge Bergoglio und Abraham Skorka diskutieren über Himmel und Erde
2010 erschien das Buch in Argentinien. Damals war es die Aufzeichnung von Gesprächen zwischen dem Erzbischof von Buenos Aires Jorge Bergoglio, geboren 1936, und dem 1950 geborenen Doktor der Chemie Abraham Skorka, der außerdem noch Rabbiner und Rektor des Lateinamerikanischen Rabbinerseminars in Buenos Aires und Professor für biblische und rabbinische Literatur an verschiedenen Universitäten ist. Darunter auch an der Universidad Catolica Argentina. Die beiden Herren, heißt es, sind seit mehr als zwanzig Jahren mit einander befreundet. Das bestimmt den Grundton der hier abgedruckten Gespräche. Streit kommt nicht vor. Die zentralen Differenzen werden ausgeklammert. "Wie kannst Du nur glauben, dass Jesus der Messias war?" "Wie kannst Du das nur nicht glauben?" Solche Fragen, wenn sie zwischen den beiden jemals erörtert wurden, liegen wohl inzwischen weit hinter ihnen. Es geht ihnen um das Gemeinsame: also zum Beispiel am Festhalten an der Transzendenz. So formulieren sie das. Man kann dieses Verfahren dankbar zur Kenntnis nehmen und nickend vor sich hin brummeln: "Es geht doch! Man muss einander nicht die Schädel einschlagen." Aber in Wahrheit, das wissen wir inzwischen, geht es darum, einen Zustand zu erreichen, in dem man streiten kann, ohne einander zu zerstören. Noch etwas durchzieht die 29 Kapitel von "Über Gott" bis "Über die Zukunft der Religion": Skorka liefert Bergoglio die Stichworte. Er streicht dessen Bedeutung heraus. Dieses Achtungsgefälle stört die Lektüre. Zumal die Gespräche ja auch die Möglichkeiten eines Dialogs zwischen Christen und Juden zeigen sollen. Mit der Zeit wurde mir das sehr unangenehm. Bis ich noch einmal genauer nachschlug und auf den Altersunterschied der Gesprächspartner kam. Es blickte nicht mehr der Rbbiner auf zum Kardinal, sondern der Jüngere zum Älteren. Ein Akt der Höflichkeit. Die Achtung dem Älteren gegenüber hat Skorka offenbar in der DNA. Ich muss ein wenig darüber hinweglesen, oder besser gesagt, sie einpreisen in meine Lektüre, um nicht immer wieder dieselbe genervte Reaktion zu produzieren.

Da Jorge Bergoglio heute Papst Franziskus ist, liest man mit besonderem Interesse, was er über die Machtansprüche schreibt, die Kirche und Priester entwickeln können, "die anderer Art sind als die Macht, die einem mit der Weihe gegeben wurde." "Man maßt sich", erklärt er weiter, "eine weltliche Macht an, und das ist nicht das, was der Herr möchte." Was der möchte, weiß der Herr Bischof meist sehr genau. Wie er zu diesem Wissen kommt, sagt er uns nicht.

Bergoglio meint auch: "Eine gute Sache, die der Kirche widerfuhr, war der Verlust des Kirchenstaates." Er hat damit sicher recht. Allerdings nur, wenn man unter Kirche das versteht, was er darunter zu verstehen scheint, wenn man also einer Idee von Kirche anhängt, die - weitgehend - auf den Einsatz weltlicher Macht glaubt verzichten zu müssen, um ihre geistliche ausüben zu können. Jorge Bergoglio geht nicht darauf ein, dass es zum Ende des Kirchenstaates nicht dank der mit Hilfe Gottes bewerkstelligten Einsicht der Stellvertreter Christi kam. Er sagt uns nicht, dass die Kirche zu ihrem Heil gezwungen werden musste. Er nutzt die Gelegenheit auch nicht, um daran zu erinnern, dass der Kirchenstaat, also ein weltliches Landesherrentum der geistlichen Macht Kirche, durch eine gefälschte Urkunde, die sogenannte Konstantinische Schenkung, legitimiert wurde.

Die Geschichte des Kirchenstaates gleicht der einer jeden anderen europäischen Macht. Mit Expansion und Kontraktion, mit Krieg und Bürgerkrieg, mit Korruption und Kunst. Am 19. Juli 1870, als Frankreich, provoziert durch die von Bismarck zugespitzte Emser Depesche, Preußen den Krieg erklärte, zog Paris seine Schutztruppen aus dem Kirchenstaat ab, um sie gegen Preußen und die mit ihm verbündeten Staaten einzusetzen. Das nutzten die Truppen des erst 1861 auf einem sehr kleinen Territorium gegründeten Königreichs Italien. Sie besetzten den Kirchenstaat, nahmen dem Papst seine politische Gewalt und machten Rom zur Hauptstadt Italiens. Papst Pius IX., der gerade erst auf dem 1. Vatikanischen Konzil die Unfehlbarkeit des Papstes (18. Juli 1870) zum Dogma erklärt hatte, dankte das Italien nicht, sondern prozessierte und agitierte gegen die Entmachtung. Die sogenannte "römische Frage" beherrschte noch mehr als ein halbes Jahrhundert die katholischen Gemüter bis 1929 Papst Pius XI. mit Mussolini die Lateranverträge schloss. Ich erzähle das hier so ausführlich, weil Bergoglio diese Geschichte ganz weglässt und weil auch sein Gesprächspartner der Rabbiner Abraham Skorka sich jeden Hinweis darauf verkneift, dass es für die Juden zweitausend Jahre lang - mit kleinen Ausnahmen - nie ein weltliches Schwert gegeben hatte. Dass also das jüdische Rabbinat sich niemals Bergoglios Gedanken hatte machen können. Einer der nicht ganz unwesentlichen Gründe dafür war die Haltung der Katholischen Kirche zum Judentum.

Das Gespräch der beiden hochgebildeten Herren bewegt sich leider nur knapp über dem Niveau jener Traktätchen, die in den Kirchen ausgelegt sind und für einen Euro oder auch mal zwei - wenn viele farbige Fotos darin sind - mitgenommen werden können. Wer wissen möchte, was der heutige Papst vor fünf Jahren dachte, oder als das von ihm Gedachte mitteilen ließ, der mag das Buch lesen und sich die Augen reiben, wenn er entdeckt, dass Bergoglio nicht wählen geht, weil er "der Vater aller" sei und sich besser nicht auf eine Seite schlage. Natürlich ist es Bergoglios gutes Recht, nicht wählen zu gehen. Aber die Begründung ist doch der reine Hochmut. Die Vorstellung, er stehe seit inzwischen 65 Jahren - das letzte Mal war er, so sagt er, während der Präsidentschaft Arturo Frondizis wählen - über den Parteien, hat doch etwas Lächerliches. Man mag dankbar sein dafür, dass er nichts hält von irgendwelchen theokratischen Anwandlungen, dass er die Aufgabe der Kirche im Wesentlichen darauf beschränkt wissen möchte, dass sie die Werte verteidigt. Aber man wüsste dann doch gerne genauer welche Werte und warum diese und nicht andere und auch, was Priester so auszeichnet, dass sie besonders geeignet sind, sich für die Werte einzusetzen. Es gibt in diesem Buch schon darum keine Antworten auf diese Fragen, weil sie nicht gestellt werden.

Papst Franziskus: Über Himmel und Erde - Jorge Bergoglio im Gespräch mit dem Rabbiner Abraham Skorka, Riemann Verlag, München 2014, hrsg. von Diego F. Rosemberg, aus dem Spanischen von Silke Klemann und Matthias Strobel, 255 Seiten, 19,99 Euro.
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