Vom Nachttisch geräumt

Mehr Licht auf Busen und Po

Von Arno Widmann
11.05.2015. The Art of Pin-up: Ein Blick zurück auf ein gerade erst ausgestorbenes und schon vergessenes Handwerk
Vor ein paar Jahren erschien ein Bildband über chinesische Plakatmaler der Kulturrevolution. Plötzlich hatten die Verfertiger dieser Massenware einen Namen. Kenner wussten natürlich schon lange, welches Mao-Porträt von wem war und wer den revolutionären Schülern das knalligste Rot auf die Wangen gemalt hatte. An diesen Band erinnere ich mich, wenn ich "The Art of Pin-up" durchblättere. Die wenigsten Maler der Bilder, die wir sahen, kennen wir. Einer von ihnen freilich brachte es zu Weltruhm: Alberto Vargas (1896 - 1982). Er war fast sechzig Jahre lang der Welt berühmtester Pin-up-Maler. In Lima als Sohn eines peruanischen Fotografen auf die Welt gekommen, ging er 1911 nach Paris, um dort Kunst und Fotografie zu studieren. 1915 floh er vor dem europäischen Krieg nach New York . Was ihm dort passierte, schilderte er so: "Aus jedem Gebäude am Times Square kamen wahre Fluten von Mädchen. Hunderte von Mädchen mit einem Ausdruck von Selbstsicherheit und Entschlossenheit, der besagte: "Hier bin ich, wie findest Du mich?" Da wusste ich, dass ich nicht mehr nach Hause zurückkehren würde." Zunächst malte er Models eines Kaufhauses, dann zwölf Jahre lang die Ziegfeld-Girls. Als das Varieté-Unternehmen nach dem Crash 1929 sparen musste, verschwand Vargas nach Hollywood. Zehn Jahre später musste er auch dort gehen. Die Studios gaben ihm keine Aufträge mehr - er sei Kommunist, hieß es. So kam er zum Esquire. Der dortige Chefredakteur machte aus Vargas eine Marke. Zu Vargas" Glück fand er, die Girls im Esquire müssten "Varga"-Girls heißen, so konnten sie, als Vargas im Streit mit dem Esquire schied, als Vargas-Girls zum Beispiel im Playboy - wenn das in diesem Zusammenhang so genannt werden darf - Auferstehung feiern.

Er malte nach Modell. Eines seiner Lieblingsmodelle war, als sie für ihn 1941 - 1942 poste, fünfzehn, respektive 16 Jahre alt. Man hat beim Durchblättern seiner Werke den Eindruck, mehr des Modells als der Malerei wegen. Aber das ist natürlich völlig verkehrt. Die junge Frau pries Vargas in ganz anderen Tönen: "Er war einer der reinsten Männer, die mir jemals begegneten. Ich meine damit nicht nur, dass er seiner Frau treu ergeben war. Ich meine auch seine Gedanken, seine Freundlichkeit. Er war so ein freundlicher, leiser, bescheidener Mann, so unschuldig. Ich denke, das fand man wieder in seinen Bildern." Das haben damals nicht alle so empfunden. So kam es zu Prozessen wegen Obszönität. Sein riesiger Erfolg freilich hat damit zu tun, dass seine nackten, meist, was den Busen angeht, überdimensional gerundeten, den Betrachter direkt anblickenden Damen, so frisch gewaschen wirkten, dass auch der Sex mit ihnen nur sauber sein konnte.



Das ist kein Vargas-Buch. Es werden auch die vorgestellt, deren Namen heute ganz und gar vergessen sind. Einer von ihnen ist Gil Elvgren (1914 - 1980). In "Pin-up" wird er als "Amerikas größter Glamour-Girl-Artist" bezeichnet wird. Seine Familie hatte eine Firma für Malerartikel. In Chicago lernte Elvgren an der American Academy of Art sein Handwerk. Schon 1936 hatte er sein eigenes Studio. Kurz darauf bekam er Aufträge vom größten Kalenderverlag der USA. Das war eine ganz und gar unschuldige Angelegenheit. Jedenfalls in einer Welt, die noch "entzückend" sagte, wenn sie kleine Mädchen sah. Evgren malte die 1934 geborenen Dionne-Fünflinge. Frankokanadierinnen, an deren Schicksal der ganze nordamerikanische Kontinent Anteil nahm. Sie wurden in hübsche Kleidchen gesteckt und in immer wieder neuen Posen einem nach immer mehr von ihnen verlangendem Publikum vor Augen gestellt. Die Bilder machten Elvgren so prominent, dass er, als er seinen ersten Pin-up-Auftrag bekam - das Bild habe ich in dem Band leider nicht gefunden -, dafür 2000 Dollar bekam. Mehr als jeder andere in diesem Gewerbe. Elvgren selbst erklärte, die ideale Frau für ihn habe "den Körper einer Zwanzig- und das Gesicht einer Fünfzehnjährigen". Eine solche Äußerung würde ihn heute zum Outcast machen.

Sein größter Erfolg wurde "Gay Nymph" aus dem Jahre 1947. Im Jahre 2011 zahlte ein Sammler für das Original 286 800 Dollar. Das war der höchste Preis, der jemals für ein Pin-up-Bild gezahlt wurde. Eine nackte, sehr junge Frau sitzt auf einem gerade noch sichtbaren - wahrscheinlich künstlichen - Rasen, davor ein paar den Blick auf sie aber nicht verdeckende Blumen, die den Betrachtern ihre riesigen geöffneten Blütenkelche entgegenstrecken. Die "Gay Nymph" schwingt einen sich vom Hintergrund kaum abhebenden blauen Schal mit ausgestreckten Armen - das hebt die Brüste - über die leuchtenden blonden Haare. Ihre Wangen haben kaum weniger Farbe als ihre knallroten Lippen. Sie ist sehr schmal. Im selben Jahr 1947, da die "Gay Nymph" ihren Siegeszug durch das amerikanische Männerbewusstsein startete, setzt die Erzählung von Dolores Haze ein, der Heldin von Nabokovs in den USA zunächst verbotenem Meisterwerk "Lolita". Deren Erzähler Humbert Humbert heiratete die Mutter, um an die Tochter heranzukommen. In diesem Buch sehen wir, wie die Mutter eines von Elvgrens Modells dessen Assistenten dabei hilft, das Kleid ihrer Tochter zu heben, damit Elvgren den Blick frei hat auf ihren Oberschenkel. Und wir mit ihm. Für Menschen, die dazu neigen verstimmt zu sein, wenn sie die Absicht spüren, ist das Buch natürlich unerträglich. Es wird noch unerträglicher, wenn man die Bildunterschriften liest. Da sieht man eine Frau auf einer spitzbedachten Hundehütte sitzen, in der Hand einen Hammer, vor sich einen einzigen herausstehenden Nagel und der Text lautet: "Well Built". Es stammt aus dem Jahre 1961. Zwei Jahre darauf veröffentlichte Betty Friedan "The Feminine Mystique". Je länger man in dem Buch blättert, desto mehr versteht man den Aufschrei des Feminismus der 60er Jahre.

Warum noch Malerei nach dem Ende der Malerei? Die Antwort findet man zum Beispiel auf den 222 und 223. Links das Foto und rechts das Bild. Man sieht, so schreiben die Autoren, sehr gut, wie genau Elvgren dem Foto folgt und wo er abweicht. Der Hintergrund zum Beispiel wird ganz weggenommen. Das Licht wird noch deutlicher auf Busen und Po konzentriert. Die Frau wird größer, die Taille schmaler, der Busen angehoben. Inzwischen lassen Frauen diese "Korrekturen" nicht mehr von Malern, sondern von Schönheitschirurgen erledigen.

The Art of Pin-Up, von Dian Hanson, Louis K. Meisel und Sarah Jane Blum, Taschen, Köln 2014, 546 Seiten, überbordend viele farbige und s/w Abbildungen, 48,9 x 33 x 7,6 cm, 150 Euro.
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