Vom Nachttisch geräumt

Das Messer blitzt, die Schweine schrein

Von Arno Widmann
08.12.2017. Es geht um die Wurst - in ihrer ganzen Pracht und Vielfalt. Das wusste schon Wilhelm Busch. Und Beuys.
Wie soll man ein Buch nicht verschlingen, in dem solche Sätze stehen: "Luckenwalde, sonst eher als Geburtsstadt von Rudi Dutschke bekannt, ist auch die Geburtsstätte der Wurstpappe." Sie ist die Erfindung eines Buchbinders, der es widerlich fand, dass bei in Zeitungspapier eingewickelten Bratwürsten die aufgelöste Druckerschwärze "mit der Wurst eine unselig bleihaltige Verbindung" eingeht. Auf Wurstpappen hatte ich immer schon wie ein kleines Kunstwerk gesehen. Ein weißes Bild in einem weißen Rahmen. Der Brite Christopher Haley Simpson dagegen machte Ernst damit, sich also auch Arbeit. Nicht gar zu viel. Aber er, der schon einmal eine Darstellung des Heiligen Laurentius zwischen Bratwürsten auf einen Rost gelegt hatte, bat Künstler darum, aus Wurstpappen "Kunst to go" zu machen. Joseph Beuys schrieb auf die Pappe: "Ich ernähre mich durch Kraftvergeudung". Das war 1978. In diesem Jahr debattierte Beuys lang und sicher ermüdend mit Dutschke und vielen anderen über die Gründung einer Partei "Die Grünen". Die Jamaika-Verhandlungen sind nichts dagegen. Vielleicht war es ein Trostwort von Beuys aus diesen Verhandlungen an sich selbst. Aber sollten sie wirklich bei Senf und Bratwurst debattiert haben? Wohl eher nicht. Aber wer weiß? Lukas Beckmann und Milan Horacek vielleicht? Das müssen andere Wurstforscher noch herausfinden.


Gordische Würste von Ignaz Vogl

Autor Wolfger Pöhlmann hat seine Arbeit hervorragend getan. Das Buch ist unterhaltsam, witzig, ironisch auch, aber durchweg positiv. Man kann den hohen deutschen Wurstverbrauch auch anders sehen. Einige meiner vegetarischen Freundinnen, werden meine Begeisterung über das Buch belächeln. Oder mich gar daran erinnern, dass der AfD-Mann Björn Höcke an der Deutschen Wurststraße sein Refugium hat, wo er seine Batterien wieder auflädt, um weiterhetzen zu können.

"Es geht um die Wurst" ist ein sehr schöner Band, der Geschichte und PR auf eine erheiternde - so sehen die Augen des Großmütigen es - oder auch eher Unmut erregende Weise verbindet. Neben den Geschichten aus der Kulturgeschichte der deutschen Würste gibt es nämlich wohl an die einhundert Porträts von Metzgereien aus allen Ecken Deutschlands. Wenn nur jeder von ihnen zwanzig Exemplare des Buches auf seiner Ladentheke auslegt und seinen Kunden zum Verkauf anbietet, dann sind Verlag und Autor womöglich schon ein Gutteil der großzügig ausgestatteten ersten Auflage los.


Skizze von Frank Herzog, die zeigt, wie Beuys die Wurst zugeschnitten hat.

Unter den Metzgern ist auch einer, der keiner ist. In der Münchner Amalienstraße nämlich bietet Matthias Münz Eis mit Weißwurstgeschmack an. Aber ansonsten blühen die regional geschulten Geschmacksknospen von Leserinnen und Lesern auf. Es gibt viele Metzger, die ihre eigenen Würste machen und dabei immer wieder Neues ausprobieren. Nur so könne man überleben, meinen sie. Das attestiert den deutschen Wurstessern doch eine Experimentierfreudigkeit, die das ihnen gegenüber herrschende Vorurteil, sie seien nichts als "bodenständig",  widerlegen. Die Frage danach, wie viele Wurstsorten es in Deutschland gibt, kann nur jemand stellen, der Pöhlmanns Buch nicht gelesen hat. Nicht, weil Pöhlmann sie beantwortet, sondern weil bei der Lektüre von "Es geht um die Wurst" deutlich wird, jeden Tag kommen neue hinzu. Aber natürlich verschwinden auch welche. Es geht zu wie auch sonst in der Natur. Arten sterben aus, neue Arten entstehen. Wilhelm Busch war übrigens ein vehementer Befürworter des Wurstartensterbens: "Das Messer blitzt, die Schweine schrein, Man muss sie halt benutzen, Denn jeder denkt: 'Wozu das Schwein, Wenn wir es nicht verputzen?' Und jeder schmunzelt, jeder nagt Nach Art der Kannibalen, Bis man dereinst 'Pfui Teufel' sagt zum Schinken aus Westfalen!"

Wolfger Pöhlmann: Es geht um die Wurst - Eine deutsche Kulturgeschichte, Knaus Verlag, München 2017, 464 Seiten, mehr als 300 farbige und sw Abbildungen, 26 Euro