Virtualienmarkt

Launisch und durchaus kokett

Von Rüdiger Wischenbart
09.07.2012. Was macht der Konzern Weltbild, den die Bischöfe aus Keuschheitsgründen verkaufen wollten und dann doch in eine Stiftung einbrachten, mit den leider pornografischen, aber dummerweise sehr erfolgreichen "50 Shades of Grey"? Und andere Streifzüge durch die Debatten ums Ebook.
In den verschiedenen parallelen deutschen Debatten rund um Buch, Urheberrecht und Kultur ist im Augenblick alles ziemlich lustig verdreht.

Am schwersten haben es dabei, zugegeben, die deutschen Bischöfe aus Augsburg und Umgebung. Da hatte man vor Weihnachten mächtig auf den Tisch gehauen und beschlossen, die im deutschen Buchhandel wohl erfolgreichste Unternehmung, Weltbild, zu verkaufen - aus moralischen Gründen wohlgemerkt, weil es nicht anging, dass katholische Läden mit Nischentiteln wie "Die Anwaltshure" aus dem bis dahin ebenfalls nicht sehr bekannten Verlag Blue Panther Books Geschäfte machen. Dann ging es erst einmal ein halbes Jahr hoch her, in einer Gemengelage aus Zoff mit der Belegschaft, unklaren Botschaften an mögliche Käufer, die sich offenbar in diesem Wirbel auch nicht zu Hauf meldeten - was aber angesichts der Marktposition von Weltbild schon eher erstaunte. Von außen betrachtet schien es, als ob der Marktwert des Unternehmens absichtlich nach unten gefahren würde. Und man wagt gar nicht sich auszumalen, was in diesen Monaten in den Köpfen und Herzen der recht ambitionierten Manager bei Weltbild vor sich gegangen sein mag. Es war, als sollte hier, stellvertretend für eine ganze Branche, freches selbstbewusstes Engagement mit Ambitionen exemplarisch abgestraft werden.

Doch dann schlug die Wirklichkeit zurück. Kaum hatten die Eigentümer den Verkauf wieder abgeblasen und die Überführung in eine Stiftung verkündet - nicht zuletzt um so die moralisch hehren Unternehmensziele zu gewährleisten -, nun das Desaster: Rechtzeitig zu Urlaubssaison und Strandleselust erscheinen ein, mit Verlaub, Softpornoroman mit dem Titel "Shades of Grey - Geheimes Verlangen", plus zwei Folgebände, vorgemerkt für Spätsommer und Herbst, und sehr vieles spricht dafür, dass diese Trilogie die Gesamtbilanz des Buchjahres 2012 ganz nachhaltig prägen wird.

Bloß, was macht Weltbild nun damit? Die schlüpfrige Schmonzette boykottieren? Wohl kaum. Den Schmöker in den Läden und Online irgendwo weit hinten verstecken? Schwierig für einen Händler, der so gekonnt auf sein Publikum zugeht. Kaltschnäuzig promoten und abcashen? Wie steht es dann um die eben umkämpfte Glaubwürdigkeit des kirchlichen Eigentümers?

Die Pointe des Dilemmas besteht darin, dass die beiden relevanten Prozesse - der interne Monolog des Eigentümers katholische Kirche, und die mitten im Leben der Leser und Konsumenten agierende Marktmacht des Händlers - in diesen entscheidenden Fragen voneinander wohl weitgehend entkoppelt waren.

Das ist ein konfliktreiches Exempel, das bezeichnend für die ganze Buchbranche steht.

Stichwort Urheberrecht. Vor wenigen Tagen hat das Europäische Parlament das auf den höchsten Ebenen der globalen Diplomatie ausgehandelte Markenschutzabkommen Acta gekippt. Die dabei maßgeblichen Koalitionen waren erstaunlich: Auf der einen Seite standen die Spitzenorganisationen des Welthandels, plus alle möglichen Content-Verwerter, inklusive die Verleger, sowie, wenigstens in Deutschland, auch die Autoren, und rüsteten verbal, mit durchaus martialischer Rhetorik, auf gegen einen Raub an ihren Werken. Es fühlte sich seltsam an, dass kleine Drehbuchautoren und Songschreiber sich als gleichberechtigte Ruderer sahen neben Hollywoodstudios und Musikmajors. Auf der anderen Seite standen deren Leser, Zuseher, Zuhörer und Käufer, Demokratie-Aktivisten sowie eben die Mehrzahl der nicht durch ihre Maschinen- oder Barrikadenstürmerei notorischen EU-Parlamentarier.

Aber auch hier gibt es eine darüber hinaus noch unerwartete Pointe, dass nämlich der Börsenverein des Deutschen Buchhandels, ein immer noch entschiedener Verfechter von Acta, sich unlängst traute, einen anfangs gewiss noch ruppigen Dialog mit der andren Seite einzugehen, bei seinem Jahrestreffen unlängst in Berlin, unter dem für ihn neuen Bannerspruch: "Das Urheberrecht muss erneuert werden."

Das muss es, ganz gewiss, meint auch die EU-Kommissarin Neelie Kroes, die noch eben den Verlegern am Zeug flickte wegen deren Laschheit beim Anpacken von eBooks, dann aber die Spitzen der Branche zu sich rief und eine "Declaration on eBooks" unterschrieben ließ. Random House, Hachette, Holtzbrinck, Penguin, alle waren da und forderten, wie von der Kommissarin gewünscht, grenzenlose Zugänge zu eBooks in Europa und ein Ende des Umsatzsteuer-"Fiaskos" (Neelie Kroes), nach dem auf ein gedrucktes Buch in Deutschland etwa 7 Prozent, auf ein eBook jedoch 19 Prozent aufgeschlagen werden müssen.

Nur ein paar Tage später stellte die Europäische Kommission fest, dass entsprechende Gesetze in Frankreich und Luxemburg, welche genau dies umsetzen, gegen europäisches Recht verstoßen und nach allen Regeln der EU-Juristerei deswegen beanstandet würden. Also was bitte jetzt?

Eine Wurzel allen Übels aber ist die Piraterie, das haben wir in den vergangenen Monaten nachhaltig kampagnenmäßig gelernt. Ebooks können nichts werden, und das Internet insgesamt ist zunehmend ein illegaler Beutekontinent, weil finstere Geheimbünde (unter anderem unter deutscher Führung, auch wenn deren Hubschrauberlandeplätze nach Neuseeland ausgelagert waren - Stichwort Kim Dotcom, ein James-Bond-tauglicher Bösemann, inklusive Fotos mit knapp bekleideten Blondinen im Whirlpool!) jedes legal digitalisierte Buch gewissenlosen Schnäppchenlesern gratis vorwerfen, und an der Werbung auf deren Web-Portalen ihren Luxus verdienen.

Piraterie von urheberrechtlich geschützten Inhalten ist ohne Zweifel ein sehr wesentliches Problem, mit dem Potenzial, manche Geschäfts- und damit Schaffensbereiche zu zerstören. Das deutsche, oder auch noch breiter definiert: das westeuropäische eBook-Geschäft zählt allerdings eher nicht zum Kernbereich der Bedrohung. (Wer diese Relativierung nicht glaubt sollte mit Verlagskollegen in Russland oder in den arabischen Staaten über das Thema reden. Dazu ein andermal mehr hier.)

Viel wichtiger ist mir, dass es mittlerweile für Verlage und Autoren in unseren Breiten erstaunlich erfolgreiche Strategien gegen die Anbieter illegaler Downloads gibt, in denen ganz deutlich der Unterschied gemacht wird: Der Kampf gilt den kommerziellen illegalen Plattformen der großen Anbieter, nicht zuletzt um den zerstörerischen Grabenkampf gegen das eigene Publikum zu vermeiden.

Der britischer Verlegerverband, PA, geht im Namen seiner Mitglieder (und gegen eine bescheidene Gebühr der Rechteinhaber) gegen illegale Portale vor, indem täglich tausende Titel automatisch auf Präsenz auf diesen Seiten gecheckt und dann dorthin Abmahnbriefe verschickt werden - und nicht an die User. Die Erfolgsbilanz kann sich sehen lassen, wenn selbst in Russland rund die Hälfte der Abmahnungen erfolgreich ist. Die kooperativen wie auch die renitent bösen Websites werden stets aktuell benannt, wie auch die Gesamtbilanz der Aktionen öffentlich dargestellt wird.

Daraus erwächst auch ein "Spirit", der die Rechteinhaber stärkt, indem Erfolge als solche stolz präsentiert werden, und der unternehmerische wie auch innovative Ansatz die Strategie definiert - und nicht das Wehklagen.

In Deutschland ist das britische Exempel wohl bekannt, aber man hält sich lieber an die User, mit dem bekannt desaströsen Ergebnis, was Stimmung und Reputation seitens der Verlage angeht.
Wobei wir immer noch am Anfang stehen, nämlich in meditativer Betrachtung des immer tiefer werdenden Risses, der zwischen manchen offiziellen, oder repräsentativen Sprechern des Gewerbes rund um (jeweils mit ganz großen Initialen geschrieben) Bücher und Kultur und Lesen, und andererseits vielen Buchmachern, Kulturläufern und den Lesern klafft.

Wirklich spannend an den (im Original: Fifty) "Shades of Gray" sind zwei Aspekte - und nicht, ob irgendwer hier das Buch in der Zeitung oder im Radio rezensiert und verreißt:

Das Buch stammt aus den - in branchenüblicher Betrachtung - absoluten Niederungen des schreibenden Gewerbes, mit Wurzeln in der Fanfiction zum Vampir-Quäler "Twilight", ist zuerst als eBook und Print-on-Demand Ausgabe erschienen, und wird nun als Trittbrett-Aktion ausgerechnet vom Verlagsriesen Bertelsmann/Random House nach Deutschland gebracht.

Allerdings ist nun für Deutschland nicht das Konzern-Marketing entscheidend, sondern die vernetzten Kanäle zwischen den Konsumenten, verstärkt durch Facebook und Twitter, über die sich die 50 grauen Schattierungen verbreitet haben entlang von Röhrensystemen, die zuvor schon für alle möglichen US TV Kult-Serien, Mode-Tipps, und wer weiß was noch für Kram gewachsen waren. Das ist Multi-Channel-Integration, von der die großen Konzern bislang noch mehr träumen als fähig sind, derlei zu organisieren.

Man sollte auch die Leserinnen dieser Schmachtfetzen nicht für blöd halten. Es sind dieselben, die (durchaus auch bei anspruchsvollen) Büchern, die Stamm-Klientel der Buchhandlungen stellen. Diese Kundengruppe ist nach Maßgabe aller Zielgruppenanalysen wie auch aller entscheidenden Soaps seit "Sex and the City": urban, vielseitig, launisch und durchaus kokett!

"Romance" als Gattungsbegriff für solchen Lesestoff ist bei "successful urban professional women", und eben nicht in der snobistisch gebrandmarkten "TV Unterschicht", mit exzellent gestalteten Angeboten des kanadischen Pioniers Harlequin zu einem der Eisbrecher für eBooks geworden, erst in Kanada und den USA, und nun auch in Deutschland. Auf diesen Schwingungen segelt nun "Shades of Grey" - also ziemlich unabhängig von dem, was das selbstreferenzielle Kulturestablishment zur Lektüre freigibt, oder auch nicht.

Diese Kundengruppe ist im Übrigen auch technologisch recht affin, und erwartet hohe Qualität und Usability, sonst wandert sie recht rasch zu anderen, auch zu nicht legalen Angeboten ab. Den Grundton dazu schlägt nicht das Buchhändlerethos (obwohl gerade diese Leserinnen tolle Buchhandelskundinnen sind!), sondern jede Menge unterschiedlichster Trends.

Zusammenfassend: Das Stiftungsabenteuer bei Weltbild ist wohl ein ziemlich brutal riskantes Unterfangen mit unkalkulierbarem Ausgang. In der Urheberrechtsdebatte hingegen müssen die Straßendemonstranten verdattert überlegen, ob sie nun demnächst die Bundeskanzlerin, oder wenigstens die Bundesjustizministerin als Ehrenmitglied in ihren Reihen begrüßen wollen.

Meine derart streunenden Gedanken sammeln sich indessen bei den Autoren, denn hier würde ich mir ein Aufwachen, ein neugieriges Austüfteln der tatsächlichen Optionen und Perspektiven am meisten wünschen. Denn die Welt und die Ökonomie für Autoren hat sich völlig verändert, ohne dass dies von den meisten wirklich so ausgesprochen wurde. Deren Lage ist auch verwirrend, uneinheitlich, auseinander driftend zwischen relativ wenigen Siegern, Verlierern in größerer Zahl, und vor allem angesichts einer kompletten Infragestellung des Mittelbaus, also der meisten. Sorry, im Rahmen dieses Kommentars bleibt dies ein - wie immer: besonders unbefriedigender - "offener" Schluss.

Rüdiger Wischenbart