Paul Celan. Die Goll-Affäre. Dokumente zu einer Infamie

Cover: Paul Celan. Die Goll-Affäre. Dokumente zu einer Infamie
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2000
ISBN 9783518411773
Gebunden, 926 Seiten, 81,81 EUR

Klappentext

Zusammengestellt, herausgegeben und kommentiert von Barbara Wiedemann. Die Ausgabe ist auch broschiert erhältlich für 98 Mark. Ausgelöst wurde die so genannte "Goll-Affäre" durch einen ungeheuerlichen Vorwurf von Yvan Golls Witwe Claire: Celan habe das Werk ihres Mannes plagiiert. Dieser Vorwurf erschütterte Celan zutiefst. Den Kampf um seine poetische Integrität führte er bis zum Tod. Zugleich aber durchschaute er das Exemplarische der Affäre und wehrte sich heftig dagegen, sie aufs Persönliche zu reduzieren. Erstmals wird nun das äußerst schwer erreichbare Material zu diesen ? in ihrer Bedeutung für das Werk Paul Celans kaum zu überschätzenden ? Vorgängen lückenlos aufgedeckt. Enthalten sind die frühen Zeugnisse der Begegnung beider Dichter, die bislang unveröffentlichten Goll-Übertragungen Celans, sein Briefwechsel mit Claire Goll, die (zum großen Teil unpublizierten) Briefe, Texte, Entwürfe und Notizen Celans zu den Plagiatvorwürfen. Die Sammlung dokumentiert die von Claire Goll entfesselte Pressekampagne, die Ausläufer der Affäre und das polemische Wiederaufflackern nach Celans Tod. Kenntlich wird, wie Claire Golls Vorwürfe mit ihren manipulativen Editionsverfahren am Nachlass Yvan Golls zusammenhängen, vor allem aber, warum Celan diese Auseinandersetzung mit ihrer antisemitischen Stoßrichtung als einen Vernichtungsfeldzug, als seine persönliche Dreyfus-Affäre verstehen musste. Kenntlich wird schließlich auch, weit über den engeren Plagiatvorwurf hinaus, welche Mentalitäten im Deutschland der 50er und 60er Jahre meinungsbildend am Werk waren.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 17.03.2001

In einem großen Aufsatz bespricht Christiane Zintzen drei neue Bücher über Paul Celan.
1) "Die Goll-Affäre. Dokumente zu einer `Infamie`"
Die Plagiatsvorwürfe, die Claire Goll, Witwe des 1950 verstorbenen französischen Dichters Yvan Goll, dessen Werke Celan teilweise ins Deutsche übersetzt hatte, jahrzehntelang verbreitete, gehören zu den hässlichsten Gerüchten, die über Paul Celan kursieren, erzählt die Rezensentin. Hässlich deswegen, weil mit diesen Vorwürfen einerseits die Witwe selbst die Chance ergriff, sich die Rechte auf das erschienene Werk und den Nachlass des Gatten zu sichern. Und andererseits, weil Golls Anschuldigungen im Literaturbetrieb nicht auf taube Ohren stießen und manchem ermöglichten, sich auf Celans Kosten zu profilieren. Das ganze Ausmaß dieser "giftigen Dämpfe von Denunziation, Fama und Verdacht" mag ermessen, wer die mehr als 900-seitige Dokumentation von Barbara Wiedermann liest, schreibt Zintzen. Das Dossier, bestehend aus publizierten und bisher nicht erschienenen Dokumenten (Briefe, Gedichte, Entwürfe, Entgegnungen) zeige Ursprung und Entwicklung einer literarischen Destruktion sowie die Schattenseiten eines Literaturbetriebes voller Profilierungssucht und antisemitischen Ressentiments. Wohnte der Wahrheit dieses Rufmordes nicht eine so bittere Sprache inne, könnte man die "Goll-Affäre" glatt für einen peinsamen Literaturkriminalroman halten, resümiert die Rezensentin.
2) Jean Bollack: "Paul Celan. Eine Poetik der Fremdheit"
Jahrelang stand der französische Philologe Jean Bollack in engem Kontakt zu Paul Celan. Eine "gedankenvolle" Monografie habe er nun rechtzeitig zum 80. Geburtstag des Dichters verfasst, meint Zintzen. "Liebevoll-sorglich" schlägt Bollack eine neue Lesbarkeit der hermetischen Gedichte Celans vor. Die Interpretation des Philologen sei allerdings so dicht und konsequent, dass sie beim Leser keinen Widerspruch mehr zulasse, so die Rezensentin. 300 Seiten "Diskursmanöver", das nicht nicht nur alle anderen Exegeten Celans auszuschalten, sondern Bollack selbst zum einzig wahren Kenner Celans zu erheben trachte, kritisiert Zintzen. Bollack vermag zwar mit "kunstvollem rhetorischen Raunen" den Leser dazu zu bewegen, sich intensiv mit Celans schwer zugänglicher Poetik zu beschäftigen, aber einen Freiraum für Widersprüche gegen seine Auslegung des Werks lässt er nicht zu, so die Rezensentin.
3) Otto Pöggeler: "Der Stein hinterm Aug. Studien zu Celans Gedichten" Anders ist es Zintzen mit Otto Pöggeler ergangen. Auch der deutsche Philosoph stand in persönlichem Kontakt zu Celan, auch er hat sich jahrzehntelang um Celans Werk verdient gemacht, informiert die Rezensentin. Und auch er möchte die wahre Exegese der Werke des Dichters vorlegen. Und hat eine "perspektivenreiche Aufsatzsammlung" zusammengestellt - "eckiger" und "schwerfälliger" formuliert als Bollack. Aber Zintzen war dankbar, während der Lektüre überhaupt Gelegenheit zum Widerspruch gegen Pöggeler erhalten zu haben. So gegen dessen "bemühte, doch höchst fragwürdige, ja mitunter alberne" Illustration von Celans Leben mit Versatzstücken aus dessen Gedichten oder gegen Pöggelers Bemühungen, Celan und Martin Heidegger am Ende doch noch zu versöhnen. Und das wohl eher deswegen, mutmaßt Zintzen, weil Pöggeler selbst im Konflikt der Loyalitäten - hier der philosophische Fixstern. dort der Dichterfürst - stehe.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 23.11.2000

Eines der traurigsten Kapitel auch deutscher Literatur- und Nachkriegsgeschichte resümiert Thomas Böning nach Lektüre des Buches von Barbara Wiedemann, das mit seinen 860 Seiten "eine beeindruckende Leistung geduldiger und kenntnisreicher Philologie" darstelle. Minutiös dokumentiere die Germanistin die Stationen der sogenannten "Goll-Affäre". Von dem harmlosen Besuch Paul Celans am Krankenbett Yvans Golls angefangen und der Bitte Golls, einige seiner Gedichte ins Deutsche zu übertragen. Nach Golls Tod, berichtet Böning, ging die Witwe nicht nur so weit, die Herausgabe von Celans Übersetzungen zu hintertreiben, sondern sie übernahm ihrerseits Formulierungen Celans und kehrte ihren geistigen Diebstahl in einen Plagiatsvorwurf gegen Celan um. Die deutsche literarische Öffentlichkeit habe keineswegs eindeutig pro Celan reagiert, notiert Böning weiter, im Gegenteil: teilweise seien antijüdische Ressentiments dem frisch gebackenen Büchner-Preisträger gegenüber hochgekocht. Claire Goll, die Witwe, war ein "tragischer Fall jüdischen Selbsthasses", meint Böning - Celan aber sei verstummt. Wie sehr diese "Infamie" seinen Selbstmord beeinflusst habe, lasse sich nicht mehr feststellen. Wohl aber ließen sich die Vorwürfe Claire Golls korrigieren, die teilweise Eingang in literarische Standardwerke gefunden hätten.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 14.11.2000

In einem sehr umfangreichen Text sagt Jürgen Busche kaum etwas zu den Qualitäten des vorliegenden Bandes, vermutlich weil er der Ansicht ist, die Affäre spreche sozusagen für sich. Und so rollt er die Geschichte neu auf und erläutert im Detail die fälschlichen Anschuldigungen Claire Golls, Celan habe bei ihrem Mann abgeschrieben - ein Vorwurf, der Celan lange Zeit anhing, ihn isolierte und möglicherweise für seinen Tod mitverantwortlich ist, auch wenn sich später erwies, dass es vielmehr Claire Goll war, die sich bei Celans Texten bedient hat. Busche betont, dass diese Vorwürfe des Plagiats für Celan weitreichende Folgen hatten. So wurden, wie der Leser erfährt, im Zuge dieser Affäre auch antisemitische Klischees wiederbelebt, etwa dass Juden "lediglich Nachahmer, nicht aber Schöpfer von Neuem seien". Aber auch seine Verteidiger waren anscheinend keine große Hilfe, wenn sie etwa rieten, alles nicht so ernst zu nehmen oder ihn für ein wenig überempfindlich hielten und damit seine Isolation noch verstärkten.