Friederike Mayröcker

Und ich schüttelte einen Liebling

Cover: Und ich schüttelte einen Liebling
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2005
ISBN 9783518417096
Gebunden, 238 Seiten, 19,80 EUR

Klappentext

Friederike Mayröcker hat sich Zeit genommen. Nach dem Tod ihres Schreib- und Lebensgefährten Ernst Jandl hat sie ihre Erinnerungen und Träume, Gespräche und Zitate, Eindrücke und Beobachtungen auf Notizblättern gesammelt und - immer wieder neu - gewartet auf den fruchtbaren Augenblick, da Schreiben und Ernten in eins und die Wörter und Sätze wie reife Früchte zu Papier fallen: "und ich schüttelte meinen Text".

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 18.10.2005

Sehr angetan zeigt sich der Rezensent Paul Jandl von Friederike Mayröckers neuem Gedichtband, den er als "anrührende 'Gedanken Aufregung' zu Ehren Ernst Jandls" gelesen hat. In einem "gleichzeitigen Prozess des Schauens, Erinnerns und Notierens" schreite Mayröcker ihre gegenwärtige, um die Anwesenheit des Gefährten gebrachte Alltagswelt ab, erhebe gewöhnliche Hinterlassenschaften zu "Reliquien", gebrauche trotzig die "Formeln der Trauer" und beschwichtige ihren Zweifel im dialoghaften Selbstgespräch. Aber dies, betont der Rezensent, ist nicht "das große Ernst-Jandl-Erinnerungsbuch", das der Klappentext anpreist: Es ist vielmehr ein "Buch des Übergangs" (und durchaus auch zum eigenen Tod hingewandt), das von einer methodisch betriebenen "großen Offenheit" lebt - sowohl in seiner "ästhetischen Unangestrengtheit" als auch in seiner "Selbstentblößung". "Und ich schüttelte einen Liebling" ist für den Rezensenten "große Poesie", die zwei Dichter "in ihrer schönsten Rolle" zeigt: "ganz dicht beieinander".

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 04.10.2005

Mit großer Sympathie bespricht Meike Fessmann Friederike Mayröckers "Abschiedsbuch" für ihren verstorbenen Lebensgefährte Ernst Jandl. Sie empfiehlt es Mayröcker-Veteranen ebenso warm wie Erstlesern. Ohne jegliches "Kitschbrimborium" habe Mayröcker ein Buch über die Liebe, das Schreiben und die Abwesenheit geschrieben, eine "Symbiografie", wie Fessmann es in Anlehnung an Brigitte Maria Meyers Buch über Heiner Müller bezeichnet. Dabei sei ein "typischer Mayröcker" herausgekommen, mit einer Sprachkraft die nicht nachzulassen, sondern sich mit dem Alter eher zu verstärken scheint. Aus literarischer Perspektive sieht Fessmann hier einen dritten Weg zwischen experimenteller Avantgarde und Wiederbelebung des Realismus beschritten: eine Literatur, "die sich von der Sprache leiten und inspirieren lässt, ohne die Existenz zu vergessen".
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 29.09.2005

Die hier rezensierende Christina Weiss hält es für unmöglich, dieses Buch von Friederike Mayröcker ohne "Rührung und Berührung" zu lesen. Es ist ein Buch über Mayröckers Schmerz angesichts des Todes ihres Lebensgefährten Ernst Jandl und ihr Leben allein und es vereinigt autobiografisches Alltagserleben und Gedanken zu Lektüre und zum Schreiben, erklärt die Rezensentin. Wie zu erwarten ist die "Grenze zwischen poetischem Sprechen und erzählerischen Momenten fließend" betont Weiss, die klar stellt, dass gradliniges Erzählen von Geschichten von einer Autorin wie Mayröcker ohnehin nicht zu erwarten ist. Immer wieder würden als "Leitmotiv" die "poetische Umsetzung des Textereignisses" beschworen, das sich im "Schütteln eines Lieblings", wie es im "wunderbaren Titel" heißt, ausdrückt, so die Rezensentin fasziniert. Das Buch ist eine "schreibende Annäherung an sich selbst", ein Buch der Trauer, so Weiss berührt. Es zeigt aber auch, dass für die Autorin, die, wie die Rezensentin findet, zu den "interessantesten Sprachkünstlern" der Gegenwartsliteratur gehört, Schreiben und Lesen geradezu "magische Handlungen" sind, die ihr den geliebten Verstorbenen wieder nahe bringen.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 10.09.2005

Berührt zeigt sich Rezensentin Silvia Hess von Friederike Mayröckers neuem Buch, einem "Gedenkstein für ihren toten Lebensgefährten Ernst Jandl". Mayröcker beschönige nichts - weder Jandls langjähriges Herzleiden, noch seinen Anblick auf dem Totenbett und die eigene Hilflosigkeit vor dem Tod. Gerade diese Aufzeichnungen sind nach Hess' Ansicht in ein "intimes Licht getaucht", während die gemeinsamen Lese- und Ferienreisen und die sommerlichen Landaufenthalte, die diese einmalige Gemeinschaft zweier Künstler bezeugten, "vordergründiger vorhanden" seien. In die Trauer über den Tod mische sich die Angst der inzwischen 81-jährigen Autorin vor dem Tod. Beeindruckt hat Hess zudem die sprachliche Gestaltung des Buchs. Wie schon in früheren Werken verweigere sich Mayröcker auch hier dem Geschichten-Erzählen. Ihr Text entstehe durch einen "sich fortlaufend erneuernden Sprachfluss". Hess spricht von einem "Strom der Bilder", der assoziativ flute, und von "rauschhaften Wogen von Wahrnehmungen und Empfindungen". Die Sprache ist es dann auch, die Trost spendet. Ein "fast religiöses Vertrauen in meine Sprache" habe sie, zitiert Hess die Autorin und resümiert: "Ihr Schreiben, das sich diesmal, wie noch nie, an den Grenzen entlang der Lebenskraft bewegt, fordert dieses Vertrauen. Und verdient es. Restlos."

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 23.08.2005

Nichts weniger als "entrückt" fühlt sich Rolf-Bernhard Essig nach der Lektüre von Friederike Mayröckers "wunderbarer Buchgeburt". Neun Monate hat Mayröcker Ereignisse und Eindrücke ihres Lebens gesammelt, dabei aber kein Tagebuch geschrieben, sondern ihre Gefühle in so "künstlerischer Rücksichtslosigkeit" erforscht, bis sie den Kern des Menschlichen erreicht hat. Für Essig sowohl emotional als auch stilistisch ein "Höhe- und Tiefpunkt" des Mayröckerschen Werks. Das "figurale" Schreiben erreicht hier unbekannte Extreme, berichtet der Rezensent, der sich durch die eigenwillige Interpunktion, das Wechseln von Themen und Zeiten oder das dichte, ungeordnete Aufeinanderfolgen von Lyrik und Prosa nicht gestört fühlt. Für ihn veranschaulichen diese Stilmittel vielmehr Mayröckers Grundanliegen: das vielfältige Wesen des Menschlichen "überhaupt". Essig ist auch am Schluss der Rezension immer noch ganz ergriffen und preist das "atemlose" Werk als eine "Symphonie fantastique mit hundert Themen", das alle Altersstufen der Schriftstellerin in sich vereint.