9punkt - Die Debattenrundschau

Akte der Destruktion ohne Hintersinn

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
20.09.2014. Großbritannien reinstalliert Schottland, das in seinem "Nein" laut FAZ zu banaler Vernunft kam. Gehört Deutschland zum Westen? In der Welt erinnert Wolf Lepenies an französische Zweifel in dieser Sache. Während Apple, U2 und Herbert Grönemeyer gegen das Streaming von Musik kämpfen, zeigt Kutiman auf Youtube, wie kreativ man klauen kann. Blogger Wolfgang Sofsky will in den islamistischen Snuff Videos keinen Willen zu Symbolik erkennen. Necla Kelek skizziert in der NZZ den Unterschied zwischen Christentum und Islam.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 20.09.2014 finden Sie hier

Europa

Nein, auch die Russen wollen keinen Krieg, meint Wolf Biermann in einem Gedicht, das die Welt abdruckt:

"Nein, nein, mensch! auf gar keinen Fall, denn
Auch Russen wolln lieber leben, Idiot!
Wolln Frieden, wolln Butter und Freiheit aufs Brot
- nur Putin und seine Canaillen
der KGB-Offizier allein
macht Krieg mit Stalin und Gott im Verein
nur Putin und seine Canaillen (...)"

Ebenfalls in der Welt warnt Sofi Oksanen vor den Fallstricken russischer Diplomatie.

(Via Rue89) Hier der Facebook-Post, mit dem Nicolas Sarkozy mehr oder weniger bekannt gibt, dass er, entgegen seiner ursrpünglich annoncierten Intention, sich aus der Politik zurückzuziehen, nun doch wieder kandidieren will. "Ich konnte mich ohne das Gewicht der Macht, das die menschlichen Beziehungen deforiert, mit den Franzosen austauschen. Sie haben mir ihre Hoffnungen, ihr Unverständnis, ihre Enttäuschungen mitgeteilt..."

Nach Gina Thomas in der FAZ offenbarte das "Nein" einige nicht so pittoreske Aspekte der schottischen Seele: "Das von Ja-Sagern beherrschte Straßenbild täuschte, wie manche Umfrage, über die tatsächliche Stimmung im Land hinweg. Letztlich haben der biedere Calvinismus und der Rationalismus der schottischen Aufklärung deutlich über das romantische Jakobiterherz gesiegt."

Mashable
bringt eine wunderbare Zusammenschau von Tweets und anderen Internetreaktionen zum schottischen "Nein". Auszug1:



(Quelle: Seagalogist)

Auszug2:

Archiv: Europa

Gesellschaft

Richtig toll findet Jörg Häntzschel in der SZ die von Naomi Klein in ihrem neuen Buch "This Changes Everything - Capitalism vs. The Climate" eröffnete Perspektive einer Weltrevolution im Namen des Klimaschutzes: "Die Entmachtung der Öl-und Kohleverbrenner könnte die ermatteten Widerstandsbewegungen des 20. Jahrhunderts revitalisieren und zusammenbringen, um "die unerledigte Aufgabe der Befreiung" endlich zu vollenden: ökonomische Gerechtigkeit."

Außerdem eröffnet die SZ pünktlich zum 25. Jahrestag des Mauerfalls eine Serie über die noch verbliebenen Grenzmauern in der Welt. In Teil 1 begibt sich Peter Richter an die Grenze zwischen den USA und Mexiko. Außerdem verficht Theakterkritiker Helmut Schödel in der SZ am Wochenende die Idee des Tierschutzes. Und der Soziologe Heinz Bude erklärt den taz-Reportern Sebastian Kempkens und Stefan Reinecke, warum wir eine "Gesellschaft der Angst" (so der Titel seines neuen Buchs) sind.
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Ideen

Kenntnisreich setzt sich Wolf Lepenies in der Welt mit der französischen Frage aueinander, ob Deutschland sich überhaupt als Teil des Westens betrachte, und erinnert unter anderem an den Autor Henri Massis, der dies entschieden verneinte: "Auch heute hört man gelegentlich, Deutschland sei nicht wirklich im Westen angekommen und nutze die Osterweiterung der EU um seine Vorherrschaft in Europa zu sichern. Aus Gründen außenpolitischer Korrektheit ist davon meist nur im Flüsterton die Rede, auf Französisch nennt man so etwas einen Soupçon."
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Internet

Das Geschenk des neuen Albums von U2 an alles Itunes-Nutzer war nicht nur ungewollt, sondern auch noch vergiftet, schreibt Martin Weigert in Netzwertig: "Zusammen mit Apple plant (die Gruppe) die Entwicklung eines neuen Musikformats, das Konsumenten wieder in Käufer von Singles und Alben verwandeln soll. Es gehe um ein "interaktives, audiovisuelles Musikformat mit Piracy-Schutz". Totz aller gescheiterten Versuche und offensichtlichen Nachteile für Hörer sieht die Band die Rettung der Musikindustrie also noch immer in DRM." Sowohl U2, als auch Herbert Grönemeyer mit seine jüngsten Äußerungen, wollen laut Weigert weg von Streaming-Modellen.

Apropos Piraten. Mike Masnick zeigt in Techdirt, wie der israelische Youtube-Künstler Kutiman dieses Video



zu einem Teil eines umwerfenden Funksongs machte:

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Medien

In der Welt würdigt der Schriftsteller Michal Hvorecký die slowakische Dissidentin und Journalistin Agneša Kalinová, die gestorben ist: ""Genossin Kalinová, sie sollen Angst haben, sie sollen lernen, sich zu fürchten!" Diesen Satz hat Agneša, genannt Agi, im Frühjahr 1968 oft gehört. In den Sechzigerjahren war sie eine der bedeutendsten kritischen Journalistinnen des Prager Frühlings. Sie schrieb einflussreiche Artikel, übersetzte Bücher aus dem Westen und diskutierte über die Zukunft des sogenannten Sozialismus mit menschlichem Antlitz."

Die SZ verbreitet auf ihrer Medienseite das Gerücht, dass Spiegel-Chefredakteur Wolfgang Büchner noch an diesem Wochenende gekippt werde könnte.
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Religion

In Antwort -auf Martin Rhonheimer Essay "Töten im Namen Allahs" (hier unser Resümee) skizziert Necla Kelek die Unterschiede zwischen Christentum und Islam, die es für sie unmöglich machen, die beiden Religionen gleichzusetzen: "Die Christen haben sich seit dem ersten Konzil in Nizäa im Jahr 325, also schon dreihundert Jahre vor Mohammeds Auftreten, organisiert und institutionell um ihr Glaubensbekenntnis gestritten und führen diesen Diskurs um ihren Glauben bis heute fort. Das war und ist von Rückschritten und Fehlurteilen begleitet, führt aber dazu, dass die christlichen Kirchen in der Lage sind, ihre Lehren den Gegebenheiten anzupassen. Die islamische Lehre hat sich solcher Erneuerung verweigert.

Der Soziologe Wolfgang Sofsky weigert sich in seinem Blog, die als religiöse Snuff Videos inszenierten Morde des "Islamischen Staats" als symbolische Taten anzusehen: "Die Taten der Halsdurchschneider sind weder Provokationen noch kriegerische Akte oder gar religiöse Bekenntnisse. Sie sind Zerstörung, Vernichtung, nichts sonst. Die Halsdurchschneider tun nur so, als seien sie Henker, die mit dem Richtschwert die Strafe eines Gerichts vollstrecken. Sie sind keine Henker, und ihre Morde sind keine Hinrichtungen. Es sind Akte der Destruktion ohne Hintersinn."
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