Post aus Los Angeles

Ende des kleinen Grenzverkehrs

Von Sascha Josuweit
24.04.2017. Donald Trumps Pläne, eine Mauer zwischen den USA und Mexiko zu bauen, werden immer konkreter. Fest steht: Sie wird den amerikanischen Steuerzahler rund 21 Milliarden Dollar kosten. Erste Entwürfe können bereits begutachtet werden. Malibu hat sich bereits zur sanctuary city für Einwanderer erklärt.

Die Grenze zwischen den USA und Mexiko. Bild: Wikipedia

In der Metropolregion San Diego-Tijuana, rund 200 Kilometer südlich von Los Angeles sieht die Grenze zwischen Mexiko und den USA aus wie eine Festungsanlage. Mit ihren Vorder- und Hinterlandzäunen, den Licht- und Kameramasten und den Fahrwegen, auf denen die US-Grenzer patrouillieren, erinnert sie an die Berliner Mauer. Anders als einst zwischen West- und Ostberlin floriert zwischen den Grenzstädten ein 230 Milliarden Dollar schwerer wirtschaftlicher und kultureller Austausch. Es geht nicht nur um Handel, man produziert gemeinsam, Hand in Hand. Elektronik, Autoteile, Produkte für die Luft- und Raumfahrtindustrie werden auf einer Art transnationalem Fließband zwischen den Fertigungsanlagen auf beiden Seiten der Grenze hin- und hergeschickt. 20 Millionen PKW und rund eine Million LKW kamen 2016 laut Statistik über San Diegos Checkpoints in Otay Mesa und San Ysidro. Man schaut hier lieber über die Grenze als nach Mexiko City oder Washington, D.C. Was in den Hauptstädten passiert, ist nicht nur geografisch weit weg.

"Beim Anblick der Grenze denken viele zuerst an Teilung. Wir in San Diego sehen das anders", meinte San Diegos republikanischer Bürgermeister Kevin Faulconer im Hinblick auf das neue politische Klima in einer gemeinsamen Erklärung mit Tijuanas Bürgermeister Juan Manuel Gastélum bei einem Treffen Ende März in Mexico City. Die beiden Städte gäben ein gutes Beispiel dafür ab, wie Zusammenarbeit über Staatsgrenzen hinweg zum Wohl der Menschen aussehen könne. Faulconer stellte die weitere Kooperation in den Bereichen Wirtschaft, Grenzgestaltung, interkultureller Dialog und öffentliche Sicherheit in Aussicht. Man wolle Brücken statt Mauern bauen, Verbindungen schaffen, schließlich habe man eine Menge gemein. Faulconers mexikanischer Kollege sieht das genauso. "Hat Tijuana Arbeit, dann hat auch San Diego Arbeit und umgekehrt", sagte Gastélum. "Wir haben viel erreicht, und wollen genau da weitermachen, die Beziehung stärken, auch wenn woanders andere Stimmen zu hören sind."

Woanders, das ist Washington, D.C. Vergangene Woche verriet Justizminister Jeff Sessions dem Nachrichtensender Fox News, er gehe davon aus, dass der Kongress Trumps Mauerpläne finanzieren werde. Nach neuesten Schätzungen wären das 21 Milliarden Dollar. Mexikos Präsident Enrique Peña Nieto hat bereits bekräftigt, sein Land habe nicht vor, für die Kosten aufzukommen, wie ursprünglich von Trump gefordert. Sessions sagte weiter, Trump werde für seine Idee kämpfen. Er selbst halte den Bau für eine historische Angelegenheit. Bereits jetzt sorge Washingtons strikter Kurs für die niedrigste Rate an illegalen Grenzübertritten seit 17 Jahren, ein Rückgang um 70 Prozent seit Ende der Ära Obama. Ein enormer Erfolg, so der als erzkonservativer Hardliner geltende Minister.

Genau das bezweifeln viele Menschen entlang der abgesehen von einigen neuralgischen Punkten verhältnismäßig lax gesicherten 3200 Kilometer langen Landesgrenze von Kalifornien im Westen bis Texas im Osten. Sie befürchten das Ende des kleinen Grenzverkehrs, die Enteignung ihres Besitzes und die Zerstörung sensibler Ökosysteme oder sind der Meinung, eine "border wall" als Mittel gegen Kriminalität und Arbeitslosigkeit und alle möglichen und unmöglichen Ängste vermittle höchstens ein trügerisches Gefühl von Sicherheit. "Ist die Mauer zehn Meter hoch, kommen die Leute eben mit einer zehn Meter langen Leiter", erklärte Terence Garrett, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Texas Rio Grande Valley, kürzlich in der Los Angeles Times. Und der demokratische texanische Kongressabgeordnete Henry Cuellar meinte treffend, eine Mauer sei eine Lösung aus dem 14. Jahrhundert für ein Problem des 21. Jahrhunderts.


Die Grenze bei El Paso. Bild: US-Regierung/Wikipedia, unter cc-Lizenz

Wie sähe eine zeitgemäße Lösung aus? Mehr Überwachungstechnik oder striktere Kontrollen der US-Betriebe und verstärkte Ahndung von Schwarzarbeit, wie es Mark Reed, ein ehemaliger Topbeamter der Zuwanderungsbehörde, in der LA Times anregte? Optik sei alles, meinte Reed. Der Grund, warum man in Washington lieber in Richtung Grenze schaue, anstatt auf die Vorgänge im Innern des Landes, sei der: Mit dem Bau einer Mauer sei der Eindruck von Fortschritt einfach viel besser zu vermitteln.

Dass die Wirklichkeit anders aussieht, wird nirgends so deutlich wie im Golden State, wo ganze Branchen von der Arbeitskraft mexikanischer Zuwanderer abhängen. Am stärksten betroffen ist die Landwirtschaft. Auf den Erdbeerfeldern nördlich von Los Angeles und in den Weinbergen des Napa Valley fehlt schlicht und ergreifend die Manpower, seit Trump seine Drohblitze Richtung Grenze schleudert. Nach einer Erhebung des US-Arbeitsministeriums sind gerade mal 4 Prozent der landwirtschaftlichen "labor force" Kaliforniens nicht lateinamerikanischer Herkunft, 56 Prozent der Arbeiter sind ohne Papiere. Anders als man sich das in Washington ausmalt, ändert daran bisher selbst die Anhebung der Löhne auf bis zu 20 Dollar pro Stunde nichts. Die körperlich harte Feldarbeit scheint für Einheimische einfach nicht sehr verlockend. Ähnlich sieht es in anderen Bereichen des Niedriglohnsektors aus. Soeben hat sich das schicke Malibu auf Anregung eines seiner vielen berühmten Einwohner, des Schauspielers Martin Sheen, offiziell zur "sanctuary city" erklärt, zum Zufluchtsort für illegale Migranten - bloß, um nicht seiner Heerschar von Gärtnern, Köchen und Nannys verlustig zu gehen, wie böse Zungen behaupten.

Die Zahlen, die das statistische Bundesamt der USA heraus gibt, sprechen eine noch deutlichere Sprache. Demnach könnte der ökonomische Schaden, den Trumps Zuwanderungspolitik verursacht, auf lange Sicht die gesamte Wirtschaft in Mitleidenschaft ziehen. Dass die Gesamtarbeitskraft in den USA trotz Überalterung und niedriger Geburtenrate zugenommen hat, ist nämlich vor allem das Verdienst der Zuwanderer, hoch und gering qualifizierter. Darüber hinaus bedeutet mehr Zuwanderung nach Meinung der Experten geringere Kosten in der Waren- und Dienstleistungswirtschaft sowie eine Stärkung der Kaufkraft und damit wirtschaftliches Wachstum.

All das hindert die Trump-Administration nicht daran, bis zu 500.000 Dollar für jeden der 20 Anfang letzter Woche vorgestellten Mauer-Entwürfe auszugeben. Wie in der Times of San Diego zu lesen war, sollen die Prototypen von Juni an auf einem Teilstück der Grenze in Otay Mesa errichtet werden. Mit Protesten, heißt es, ist zu rechnen.