Magazinrundschau

Die Magazinrundschau

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
19.07.2004. In Outlook India klagt Arundhati Roy die Erbauer des Narmada-Sagar-Staudamms an. Al Ahram erklärt, wo für ägyptische Kopten die Freiheit endet. Der Espresso hat Ken Warwick, den ersten Cyborg interviewt. Radar porträtiert den Filmschurken Timothy Agoglia Carey. Der Economist hat ein deja vu, wenn er Nicolas Sarkozy sieht. Im New York Times Magazine will sich Walter Kirn keinesfalls medikamentös von Untreue kurieren lassen.

Outlook India (Indien), 26.07.2004

Arundhati Roy klagt an: Wäre Indien wirklich eine so wunderbare Demokratie, dann säßen alle hinter Gittern, die das Narmada-Sagar-Dammprojekt (mehr hier) im Bundesstaat Madhya Pradesh auf dem Rücken vieler Tausender Menschen und entgegen aller Warnungen von Umweltschützern und unabhängigen Wirtschaftsexperten durchsetzen. Um 123.000 Hektar Land zu bewässern, werden 91.000 Hektar geflutet. 249 Dörfer und eine Stadt werden nicht mehr existieren. Die Bewohner der Stadt Harsud haben ihre eigenen Häuser demontiert; eingeschüchtert von Gerichtsurteilen, schreibt Roy, blieb ihnen nichts übrig, als dem Versprechungen auf Entschädigung Glauben zu schenken. Roy war vor Ort: "Eine Stadt, die ihr Inneres nach außen gekehrt hat (...) In einigen Häusern hängen Sittiche in Käfigen von kaputten Balken. In einen Sari gewickelt, schaukelt ein Säugling sanft im Türrahmen einer frei stehenden Mauer, die von nirgendwo nach nirgendwo führt. (...) Der örtliche Karikaturist sitzt auf einem Steinhaufen und bietet seine Cartoons dar. Jeder einzelne handelt davon, wie die Regierung die Menschen betrogen und hinters Licht geführt hat." Und Neu-Harsud? Ein Stück Niemandsland ohne fließendes Wasser, ohne Häuser, ohne Schulen, ohne Krankenhäuser. "Und so", schreibt Roy, "wird mit den Bewohnern einer Stadt verfahren. Man muss kein Raketentechniker sein, um sich vorzustellen, wie es den Dörfern ergeht."

Weitere Artikel: Pramila N. Phatarphekar stellt den legendären Naturschützer "Billy" Arjan Singh vor, einen erstaunlichen alten Herren, der mit 86 immer noch unter Einsatz seines Körpers für den bengalischen Tiger im Einsatz ist. Ishita Moitra sagt ja zum Crossover: Gemeint ist der Erfolg von pakistanischem Pop in Indien. Während einheimische Musiker Zuträger für Bollywood sind, produziert das Nachbarland genuine Rockstars - just take a look at MTV India. Anupreeta Das ist zufrieden mit der Arbeit der neuen Regierungskoalition, will aber den Tag nicht vor dem Abend loben. Und Mariana Baabar hat im Interview mit dem kommenden pakistanischen Premierminister Shaukat Aziz vor allem eines erfahren: Wie man antwortet, ohne etwas zu sagen.
Archiv: Outlook India

Times Literary Supplement (UK), 16.07.2004

Sichtlich bewegt ist Claire Harman von Angela Bourkes Biografie "Homesick at the New Yorker" der irisch-amerikanischen Schriftstellerin und New Yorker-Kolumnistin, Maeve Brennan, die - schwer vom Alkohol gezeichnet - ihre letzten zwanzig Jahre vereinsamt in einem Pflegeheim verbrachte. Aber immerhin recht lange hatte das Magazin Anstand bewiesen: "Der New Yorker hegte und pflegte sie, für den legendären Chefredakteur William Shawn war sie Angestellte und exotisches Haustier. Er hielt in ihren unproduktiven und schwächsten Zeiten zu ihr, bezahlte ihre Schulden, brachte sie zum Arzt, sorgte dafür, dass sie ihre Medikamente nahm. In den schmerzlichen späten Jahren, als Brennan praktisch obdachlos war, drückte das Management ein Auge zu, als sie nachts in der Damentoilette schlief, und sah klaglos mit an, wie sie ein Büro zertrümmerte."

Zum siebenhundertsten Geburtstag Petrarcas beklagt Hugo Estenssoro die bittere Ironie, dass dessen Gedichte so oft kopiert und nachgeahmt wurden, dass sie uns nun wie eine "gewaltige Ansammlung von Gemeinplätzen" vorkommen. John Ryle empfiehlt Peter Robbs Reisetagebuch "A Death in Brazil", das zwar auch eindrucksvoll von Kultur, Literatur, Politik, Sex und Verbrechen in Brasilien erzählt, aber am besten sei, wenn es ums Essen geht, zum Beispiel Ziegenmagen.

Eine hübsche Geschichte erzählt Zinovy Zinik, der Solidarität mit der muslimischen Minderheit in London beweisen wollte und in einer marokkanischen Bar bei arabischer Musik einem irakischen Flüchtling das Wodka-Trinken beibringen wollte. Der Flüchtling stellte sich als Iraks führender Intellektueller in Sachen russischer Philosophie heraus, die Barbetreiber als Israelis und die Musik als sephardisch.

Espresso (Italien), 22.07.2004

1998 war er dank eines implantierten Chips der erste Cyborg der Welt, in spätestens zehn Jahren soll Silizium sein Gehirn unterstützen. Für dem publicitygewandten Kevin Warwick von der Universität Reading ist der Mensch verbesserungswürdig, wie er im Gespräch mit Francesca Tarissa feststellt. "Zum Beispiel sind wir nicht besonders gut in Mathematik. Wenn wir uns das Gedächtnis anschauen, mutet es im Vergleich zu einem Computer sehr dürftig an. Ganz zu schweigen von unseren kommunikativen Fähigkeiten: die sind einfach schrecklich. Ich persönlich kann es kaum erwarten, bis Hybride völlig normal sind, ja fast banal, und wir menschliche Wesen uns mit Anderen nur über die Gedanken verständigen können." Und wie schweigt man dann? Gianni Vattimo fürchtet im nachgeschalteten Kommentar außerdem, dass wir mit Mikrochips leichter zu steuern sind.

Der Chefredakteur von Foreign Policy, Moses Naim, liest der US-Regierung die Leviten: Unilateralismus, Präventivkrieg, Nation-Building: ein Scherbenhaufen. Die Demokratisierung: nur mehr ein leerer Slogan. Denn "ein demokratisches Regime in Pakistan, in Ägypten oder Saudi-Arabien, kontrolliert von frei gewählten islamischen Fundamentalisten, war noch nie das Ziel irgendeiner amerikanischen Regierung." Riccardo Bocca berichtet vom ungleichen Kampf eines patagonischen Ehepaars gegen die Familie Benetton, die ihre argentinischen Ländereien nicht mit den dort lebenden Menschen teilen will. "Wörter in Fahrt" nennt sich der Literaturwettbewerb für alle, der von den Verkehrsbetrieben Roms ausgerichtet und in Rom zur guten Tradition wird, wie Monica Maggi im durch die Sommersonne geschmolzenen Kulturteil notiert.
Archiv: Espresso

Spiegel (Deutschland), 19.07.2004

Großartig: Zu lesen ist von Alexander Smoltczyk eine Reportage aus Bayreuth - von "den turbulenten Proben" für Christoph Schlingensiefs "Parsifal": "Gestern Abend noch saß Schlingensief mit seinen Getreuen im Wirtshaus 'Auf der Theta', oberhalb und fern des Bayreuther Hügels, wütete gegen die Wagner-Maschine, rezitierte, monologisierte bei fränkischem Sauerbraten, lachte, rief den schweren Leibern in der Bierstube zu: 'Seid ihr denn Blumen?', zweifelte, heulte vor Einsamkeit, sprach in Zungen und um Mitternacht schließlich: 'Warum nicht alles kurz vor der Premiere hinschmeißen?!' Die allabendliche Dekompression. Bayreuth ist kein Ort wie andere. In Bayreuth ist man deutschem Wahn und Wähnen bekanntlich näher als anderswo. Das geht an die Substanz. Doch jetzt ist Schlingensief besserer Dinge: Die Bunte hat heute morgen den Text über seinen angeblichen Drogenkonsum nicht gebracht, Wolfgang Wagner ist außer Sichtweite, und der Chor singt, dass es Gänsehaut macht."

Jan Fleischhauer hat Anonymus "Mike" ("Für drei Jahre war er Kopf jener CIA-Einheit, die Osama Bin Laden zur Strecke bringen sollte.") besucht, dessen Buch "Imperial Hubris" seit Donnerstag in allen großen amerikanischen Zeitungen (hier die Kritik in der NY Times) und Fernsehsendern vorgestellt wurde. Die zentrale These des Buches ist, "dass die Führungseliten im Westen noch immer keine klare Vorstellung von der Natur des Feindes besitzen. Tatsächlich hätten die USA nicht nur eine kleine Gruppe fanatischer Terroristen gegen sich, sondern nahezu die gesamte muslimische Welt. Mike sieht für die Amerikaner auf lange Sicht nur zwei Optionen: Entweder sie ziehen sich aus dem Nahen Osten zurück - oder sie setzen ihre Militärmacht mit jener Entschlossenheit ein, mit der sie im Zweiten Weltkrieg Feuer über Deutschland und Japan regnen ließen."

Im Print: "Die ARD hat eine Stasi-Studie über sich selbst in Auftrag gegeben - nun möchten viele in den Funkhäusern das Ergebnis am liebsten verstecken", berichtet Peter Wensierski. Außerdem: Ein Beitrag über Martin Walsers neuen Roman "Der Augenblick der Liebe". Und ein Interview mit dem amerikanischen Filmregisseur Larry Clark "über Sex, Gewalt und Pornografievorwürfe gegen seinen Film 'Ken Park'".

Im Titel ziehen Matthias Geyer und Dirk Kurbjuweit Bilanz: "Fünf Jahre hat Gerhard Schröder gebraucht, um sich zu einem Reformprogramm durchzuringen. Es ist eine Geschichte des Zauderns und der verpassten Chancen. Nun ist der Kanzler zufrieden, aber das Land wartet auf den Aufschwung."

Archiv: Spiegel

Al Ahram Weekly (Ägypten), 15.07.2004

Yasmine El-Rashidi erzählt, warum Osama Fawzis Film "Bahib Al-Sima" (I Love Cinema, wir haben bereits über den Film berichtet) einige Kopten in Ägypten aufs Äußerste erzürnt: "Was der Regisseur als künstlerische Arbeit sieht, deren Moral besagt, dass Frömmigkeit nicht dazu führen darf, andere zu unterdrücken, wird von der religiösen Minderheit des Landes als verächtlich und schädlich angesehen. 'Wir sind nicht gegen Freiheit, aber sie sollte nicht gegen die Doktrin verstoßen. Dieser Film verspottet die christliche Doktrin', sagt Morcos Aziz", der koptische Anwalt, der Fawzis Film gerichtlich verbieten lassen will.

Weitere Artikel: Nehad Selaiha versucht dem Rätsel des Theaterautors Nagui George auf die Spur zu kommen, der 2002 starb. George wurde als Sohn wohlhabender Kopten geboren, sympathisierte mit den Kommunisten und kämpfte ein Leben lang gegen die Zensur. Jenny Jobbins empfiehlt eine Fernsehreihe über das alte Ägypten auf Großbritanniens Channel Four. Und Fatemah Farag ist nach Alexandria gefahren um herauszufinden, was die Stadt mehr braucht: ein Kinderkrankenhaus oder - in dem Fall müsste das Krankenhaus abgerissen werden - einen Park mit teuren Hotels als "kulturelles Umfeld" für die Bibliotheca Alexandria.

Archiv: Al Ahram Weekly

Nouvel Observateur (Frankreich), 15.07.2004

Es ist Sommer, Zeit also für die gaaanz großen Themen - und für Serien. Der Nouvel Observateur startet in dieser Woche mit gleich zwei Fortsetzungsprojekten. In der Abteilung Arts et Spectacles beginnt er mit dem Vorabdruck einiger der 200 Liebesbriefe, die Emile Zola an seine Geliebte Jeanne Rozerot geschrieben hat, und die im Herbst bei Gallimard erscheinen werden. In der Rubrik "Reflexions" dagegen wird es in den kommenden sechs Wochen um Kulturen gehen, "deren Erben wir sind". Den Anfang machen die Griechen, deren Denkern auch das Titeldossier gewidmet ist. Und in seinem Debattenbeitrag erklärt uns der Philosoph Jean-Pierre Vernant (mehr), inwiefern unser heutiges Alltagsleben noch immer vom "hellenistischen Erbe" durchzogen ist. Zum Stichwort Kultur schreibt er: "Wir denken noch immer ein wenig wie die Griechen. Was tut man, um Philosoph zu werden? Man liest zuerst die Griechen, danach liest man Descartes und Spinoza, aber da gibt es einen Zusammenhang. Man liest die Griechen und nicht die chinesischen Philosophen, auch nicht die Indiens. Das gilt auch für die Künste. Die Malerei der Renaissance hat ihren Ursprung in griechischen Vorlagen. Beim Theater und in der Tragödie ist es das gleiche. Doch abgesehen von diesem Erbe hat man sich von Griechenland entfremdet. Einem Griechenland, das man wiederentdecken wird."

Die nächsten Wochen schreiben dann Jacques Le Goff über das mittelalterliche Europa, Paul Veyne über Rom, Christiane Desroches Noblecourt über Ägypten, Armand Abecassis über die hebräische und Henry Laurens über die arabisch-muslimische Welt.

New Yorker (USA), 26.07.2004

Philip Gourevitch (mehr hier) untersucht, ob John Kerry tatsächlich ein außenpolitisches Konzept hat und es ihm gelingen kann, die Wähler davon zu überzeugen, dass er "das Land wieder auf den rechten Weg" bringen wird. Die Amerikaner seien nicht daran gewöhnt "dass Fragen von Außenpolitik, Strategie und Krieg einen Präsidentenwahlkampf in entscheidender Weise bestimmen". Vor zehn Jahren habe Henry Kissinger in der amerikanischen Geschichte "zwei widersprüchliche Einstellungen gegenüber der Außenpolitik" identifiziert: "Die erste besteht darin, dass Amerika seinen Werten am besten damit dient, indem es die Demokratie bei sich zu Hause perfektioniert und so als Leuchtturm für den Rest der Menschheit agiert; die zweite geht davon, dass die amerikanischen Werte die Verpflichtung in sich tragen, in der ganzen Welt für sie zu Felde zu ziehen.Anhänger der "Leuchtturmschule" neigten dabei eher zum Isolationismus, die "Kreuzzugsseite" dagegen sei gezwungen, Amerika ans Ausland zu binden. Nachdem sich Bush nach dem 11. September als "kompromisslos einseitiger Kreuzzügler" erwiesen hätte, sei Kerry heute, so Gourevitch, der Auffassung, "dass wir diejenigen sind, die isoliert sind".

Weiteres: Susan Orlean berichtet über ein Bostoner Stadtviertel im Wandel. Ben McGrath porträtiert Paul Light, seines Zeichens Politikwissenschaftler und der amerikanische Experte für Vize-Präsidenten (über Dan Quayle etwa meint er: "Der kann einem wirklich Leid tun").

John Updike rezensiert zwei "verschwenderische" Ausgaben der "wohlbehüteten" Gedichte des britischen Lyrikers Philip Larkin (1922-85, mehr). Die Kurzbesprechungen widmen sich unter anderem der Abrechnung eines amerikanischen Afghanistan-Veteranen mit dem Militär. Peter Schjeldahl führt durch eine Retrospektive von Ed Ruscha (mehr) im Whitney Museum. Hilton Als schwärmt vom "fesselnden" Spiel des Schauspielers Sam Waterston in einer Inszenierung von Shakespeares "Viel Lärm um nichts". Nancy Franklin stellt die neue Fernsehserie "Rescue Me" um einen Feuerwehrmann vor, die auf den Ereignissen vom 11. September basiert und sich auch mit dem islamischen Fundamentalismus und der neuen Weltunordnung auseinandersetzt. Und David Denby sah Joshua Marstons "großartigen" Independentfilm "Maria Full of Grace" und "The Door in the Floor? von Tod Williams, eine Adaption des Romans "Witwe für ein Jahr? von John Irving.

Nur in der Printausgabe: ein Bericht über zornige neue Verbündete von Al Qaida, die Erzählung "Man Crawling Out of Trees" von Annie Proulx, eine Reportage aus dem Mathematikunterricht und Lyrik von Galway Kinnell.
Archiv: New Yorker

Radar (Argentinien), 17.07.2004

Ein echtes Kuriositäten- und Gruselkabinett hat die Radar-Redaktion für die aktuelle Ausgabe eingerichtet: Zu Beginn rekonstruiert Moira Soto die reichlich exzentrische Lebens- und Liebesgeschichte von Hedwig Kiesler und Fritz Mandl - erstere legte sich später in Hollywood den Namen Hedy Lamarr zu, letzterer war Waffenhändler bzw. eine Art Karlheinz Schreiber des Dritten Reichs (s. a. hier), der in den vierziger Jahren in Argentinien untertauchte und fortan General Peron zu seinen besten Kunden zählen durfte; Manuel Puig hat aus dem Stoff seinen berühmten Roman "Pubis angelical" gemacht, und Radar bringt the whole story.

Ein echter Freak war auch Timothy Agoglia Carey, der sich durch seine verhängnisvoll infantile Begeisterung für die eigene Flatulenz um eine Filmkarriere brachte; da blieb ihm zeitlebens nur die Rolle eines "Segundon", also dieser (für die Geschichte des Kinos so unverzichtbaren) Schläger und Bösewichte im Hintergrund - u. a. Kubrick, Cassavetes, Coppola und zuletzt Tarantino müssen sich geradezu um ihn gerissen haben, erzählt Grover Lewis.

Wo das alles endet, beschreibt wiederum Moira Soto: Sie hat das Museum des Leichenschauhauses von Buenos Aires besucht: "Unbestrittener Star unter den Ausstellungsstücken ist der Leichnam einer Frau, der/die erst 'post mortem' zerstückelt wurde: er/sie wurde in Männerkleidern aufgefunden, da war Zerstückeln offensichtlich die angemessene Strafe für ein als 'Mann' zugebrachtes Leben."

Wer jetzt noch nicht genug hat, darf sich von Radar Bilder einer Webseite zeigen lassen, die (noch lebende) Hollywoodstars als Glatzköpfe präsentiert - womöglich, um ihnen oder auch den Betrachtern beizeiten den Kopf zurechtzurücken?
Archiv: Radar

Economist (UK), 16.07.2004

Endlich mal ein frischer Wind, tönt es aus Frankreich. Gemeint ist nicht der Fahrtwind der Tour de France, sondern Finanzminister Nicolas Sarkozy, der für viele zu einer wirklichen Alternative zum amtierenden Präsidenten Jacques Chirac geworden ist, vielleicht weil er Chiracs genaues Gegenstück zu sein scheint. Dies veranlasst einen leise zweifelnden Economist sich zu erinnern: "In den 80er Jahren gab es einen aufstrebenden, jungen Politiker der Rechten, der sich nach der Präsidentschaft sehnte, und dessen Energie die Franzosen großartig fanden. Er sprach wortgewaltig von der Notwendigkeit, Frankreich zu modernisieren, die Wirtschaft zu liberalisieren und Veränderung zu bringen. Er war dynamisch, arbeitete ungeheuer viel und überzeugte die einfachen Leute, dass er auf ihrer Seite war. Kurzum, er war wie Nicolas Sarkozy. Sein Name? Jacques Chirac."

Prinz Charles hat sich in der vorletzten Sonntagsausgabe des Independent gegen die Nanotechnologie ausgesprochen. Unbeeindruckt vermutet der Economist, es gehe dem rückschrittlichen Prinzen wohl eher um die Technologie im Allgemeinen, und bedeutet ihm, den Mund zu halten.

Weiteres: In seiner Reihe über Swing states (das sind die US-Bundesstaaten, die bei den Präsidentschaftswahlen als strategisch und trendweisend gelten) beschäftigt sich der Economist diesmal mit Florida. Dass so viele verschiedene Gruppierungen hinter der Ermordung des amerikanischen Journalisten und Herausgebers der russischen Forbes-Augabe Paul Klebnikov (mehr hier und hier) stecken könnten, zeigt laut Economist, wie vielfältig Klebnikovs Interessen (und dadurch auch seine journalistischen Attacken) waren, aber auch wie brutal und korrupt es noch in Russland zugeht. Damit wir nicht unschlüssig vor dem Reisekoffer stehen, hat der Economist Lesetipps für den Sommer zusammengestellt, darunter Louis de Bernieres' "Birds without Wings", eine Geschiche um Freundschaft, Religion und Krieg. Nachdem der Internationale Gerichtshof die von Israel errichtete Mauer für illegal erklärt hat stellt der Economist Vermutungen darüber an, wie sich nun der Sicherheitsrat verhalten wird. Und schließlich stellt der Economist im Dossier verschiedene Gesundheitssysteme vor.

Nur im Print zu lesen ist der Aufmacher: George Bush und Tony Blair sind "aufrichtige Betrüger".
Archiv: Economist

New York Times (USA), 18.07.2004

"KRIEG DICH WIEDER EIN!" rät John Leonard seinem Kollegen Dale Peck, dessen "Hatchet Jobs" eine einzige Fatwa gegen die schreibende Zunft der vergangenen Jahrzehnte sei. Peck glaubt, notiert Leonard, "dass die westliche Literatur mit James Joyce auf die schiefe Bahn geraten, mit Don DeLillo völlig zusammengebrochen und im Ganzen auf den Müll zu werfen ist. Seinem Kollegen Sven Birkerts widmet Peck alleine "über 30 verächtliche Seiten, wegen des Delikts und der Erzsünde der Großzügigkeit in der literarischen Kritik." (Hier einige Kritiken Birkerts zum Nachprüfen.) "Das ist keine Kritik. Es ist nicht mal Performancekunst. Es ist Rowdytum." Passend dazu Laura Kipnis schöner Text über "Peck The Knife" auf Slate.com.

"Drei Geister der Demokraten" und Fast-Präsidenten der Vergangenheit sind angetreten, um John Kerry zu erzählen, wie man es besser macht, stöhnt Ryan Lizza, der die drei Ratgeber recht reserviert bespricht. "Grandios" findet dagegen Terrence Rafferty "The Tyrant's Novel" (erstes Kapitel) von Thomas Keneally, wo ein offenkundig irakischer Schriftsteller mit der unmoralischen Auftragsarbeit des Diktators kämpft. Die neuen Geschichten der deutschstämmigen Ruth Prawer Jhabvala drehen sich wieder einmal um kulturell heimatlose indische Mittelschichtler, seufzt Pankraj Mishra. Für ihn bezeugen "My Nine Lives" (erstes Kapitel) vor allem die Weltentfremdung der Autorin. Alle halbe Stunde kommt in den USA ein belletristisches Buch auf den Markt, stellt Laura Miller schließlich in ihrer Kolumne fest und fragt sich, wer das noch alles lesen soll.

Im New York Times Magazine schaudert Walter Kirn ob der Aussicht auf ein Medikament, dass Untreue kurieren soll. Lawrence Osborne begibt sich nach Hawaii, um dort von Traumwissenschaftler Stephen LaBerge in einem 9-Tage-Kurs zu lernen, wie man seine Träume kontrolliert. Lisa Belkin widmet sich einer neuen Zivilisationskrankheit, der "Aufmerksamkeits-Defizit-Störung". Und Pat Jordan versucht herauszufinden, warum der 22-jährige Baseballer Matt Harrington ein Multimillionen-Dollar Angebot der ersten Liga ausgeschlagen hat und jetzt in der Provinz spielt.
Archiv: New York Times