Außer Atem: Das Berlinale Blog

Der Unbehausteste: Roman Polanskis 'The Ghost Writer'

Von Thierry Chervel
12.02.2010.
Am gnadenlosesten schnappen immer die Fallen zu, in die man sehenden Auges lief. Polanski ist der Filmemacher der bösen Ahnung, einer uranfänglichen Unbehaglichkeit, aus der man wie im Alptraum nicht zurück kann. Noch bevor irgendetwas passiert ist, spürt der amerikanische Arzt Richard Walker in "Frantic", dass Paris ihn nicht willkommen heißt. Er fährt trotzdem, mit der geliebten Frau. So wie Trelkovsky in "Der Mieter" die Wohnung der Selbstmörderin mietet, vor der es ihn graust und in der er seine einsame Emigrantenexistenz dann doch zu Ende fristet, und wie der Assistent des Vampirologen im "Tanz der Vampire" seinem gesunden Widerwillen hätte nachgeben sollen. Aber zu spät, die Falle schnappt zu, weil der Held zu höflich war, oder egoistisch oder neugierig oder bedürftig und weil er durch seine eigenen kleinen menschlichen Fehler den grausamen Mechanismus des Räderwerks nach Kräften schmiert.



Auch in "Ghost Writer" gibt es ein böses Haus, das nur der Unbehausteste unter den Filmemachern so in Szene setzen kann, einen hocheleganten Bunker, aus Sichtbeton und unbehauten Quadern vollgehängt mit erstklassiger Kunst, verkleidet mit grob gehobelten Edelhölzern, vollgestellt mit massivem Kunsthandwerk und erstklassigen Schnäpsen, die allein diesen Architektenterror lebbar machen dürften. Das Haus steht auf einer Insel im rauen Atlantik. Es regnet und regnet, eine Novemberidylle.

Da wohnt Adam Lang, der ehemalige britische Premier, angelehnt natürlich an Tony Blair, gespielt von Pierce Brosnan, der eine der Überraschungen des Films ist. Sonst eher als ausdrucksloser Grinsemann eingesetzt, entfaltet er hier nicht nur komische, sonder auch geradezu unheimliche Wirkungen. Er ist zwiespältig, scheinbar nur ein geckenhafter Politikdarsteller, dann wieder ein Mann mit Überzeugungen, ein Komödiant, und heimlich auch ein Tragiker. Wenn er joggt, sieht er aus wie ein mechanischer Blechgockel. Wenn er aus Wut das Handy wegschmeißt, sammelt der Security-Mann die Trümmer auf. Es irrlichtert am Horizont. Der einst Geliebte und Umjubelte will seine Memoiren schreiben, Randomhouse (eine der Firmen, die in diesem Film ihre Produkte platzieren) hat schon zehn Millionen Dollar Vorschuss gezahlt. Aber es kommen unschöne Details aus seiner Regierungszeit ans Licht. Folter, CIA, Terror, Irak - wie nicht anders zu erwarten.

In diese gelackte und heimlich böse Welt des Elder Statesman und der ihn umgebenden giftigen Damen gerät also Ewan McGregor als Ghostwriter, der das dröge Memoirenmanuskript Langs tüchtig frisieren soll. Wie gesagt, er läuft sehenden Auges in die Falle. Er ist Ghostwriter Nummer 2. Nummer 1 wurde tot am Strand gefunden. Selbstmord, sagt man. Aber 250.000 Dollar für vier Wochen Arbeit am Manuskript, können den begabten, wenn auch haltlos wirkenden Autor locken. Er hat übrigens ein kleines Alkoholproblem.



Es gibt in diesem Film die vornehme Gräue des Hauses am Strand auf einer Insel in Massachusetts (in Wirklichkeit auf Sylt gedreht, wie man in der Pressekonferenz hörte), die wilde Gräue des winterlichen Ozeans inklusive Wind und Regen und die staubige Gräue des Ewan McGregor. Die ganze Spannung dieses Films würde sich nicht aufbauen, wenn McGregor es nicht hinbekäme, inmitten der Pfauen und Elfen der hochpolitischen Sphäre etwas deplatziert Wirkliches zu behalten. Der Trick ist alt: Schon Hitchcock schickte auf diese Weise Stellvertreter unserer selbst in unserer Klein- und Bedingtheit in eine Welt von Menschen, die nie Schuppen auf dem Jackett haben. Wenn McGregor über der pompösen Langeweile des Lang-Manuskripts einschläft und die Haushälterin ihn weckt, dann hat der grobe Pullover, in den er sein Gesicht gebettet hat, tatsächlich Falten darin hinterlassen. Welcher Regisseur könnte die atmosphärischen Misstöne, die einer solchen Geschichte ihr Fluidum geben, noch so überzeugend konstruieren?




"Ghost Writer" ist ein Thriller in New-Hollywood-Tradition, leider auch mit einigen Nachteilen des Genres: Thriller sind im Grunde stets nur inszenierte Verschwörungsthoerien. Hier läuft es darauf hinaus, dass Lang als britischer Premier eine Kreation der CIA war, von Jugend an aufgebaut, um eine britische Politik ganz im Sinne des Geheimdienstes zu garantieren. Seine so intelligente wie ambitionierte, gefährliche und attraktive Frau (Olivia Williams) spielt dabei einer Rolle. Und selbstverständlich ein Rüstungskonzern, der Waffen in den Irak verkaufen will. Man muss es als ein Grundmuster nehmen, vor dem Polanski seine Subtilitäten entfaltet. Polanski ist intelligent genug, das Muster nicht auszuwalzen, sondern eher ironisch zu variieren. Er schafft es, das Knistern der Haarrisse länger dauern zu lassen als den falschen Rausch der Auflösungen. Der Schluss in seiner pessimistischen Ironie ist wieder ganz von ihm.

Twitter.com/chervel

Roman Polanski: "The Ghost Writer". Mit Ewan McGregor, Kim Cattrall, Olivia Williams, Pierce Brosnan. Frankreich, Deutschland, Großbritannien, 2009, 128 Minuten. (Vorführtermine)