Die Financial Times Deutschland ist tot, die Frankfurter Rundschau ist pleite, der Berliner Verlag streicht Stellen, der Spiegel baut ab. In Medien und Blogs bricht die notorische Debatte wieder los. Die Zeit veröffentlicht ein Dossier mit den deprimierenden Äußerungen deutscher Medienhierarchen zu ihrer Krise. Sie klopfen sich selbst auf die Schulter. Der Journalismus hat Zukunft, versichern sie sich gegenseitig. Zwar sinken Auflagen und Einnahmen seit Jahren, und die Leserschaft altert. Aber die Hierarchen rufen sich zu: Wir hätten unseren Journalismus nur zahlbar machen müssen, dann würde es wieder laufen. Als sei ihr Journalismus nicht stets zahlbar geblieben! FAZ, SZ und die meisten anderen Medien stellen nur geringe Auszüge ihrer Printprodukte kostenlos ins Netz. Falls die Hierarchen glauben sollten, was sie sagen, ist die Diagnose nur noch betrüblicher. Sie lügen sich was in die Tasche. Bisher haben sie noch kein Geschäftsmodell für die digitale Ära gefunden.

Gleichzeitig ertönt von anderer Seite dröhnendes Schweigen. Wahrend sich die Fürsten aus dem Print und die paar versprengten deutschen Blogger wie üblich kabbeln, duckt sich ein Dritter in die Landschaft. So ganz gelingt es ihm nicht: Wie will man die Alpen verstecken? Aber als so etwas wie die Alpen stellt sich dieser Apparat dann auch wieder hin: Er ist einfach immer schon da, naturwüchsig, nicht in Frage zu stellen.

In dem Moment, in dem sämtliche private Medien egal welchen Genres - Internet, Print, Fernsehen - bange Fragen nach ihrem Geschäftsmodell stellen, erhält das öffentlich-rechtliche System in Deutschland eine automatische Absicherung. Ab nächstem Jahr muss jeder zahlen, der ein internetfähiges Gerät besitzt. Und gibt es noch jemanden, für den das nicht gilt? Wer keinen Fernseher hatte, wurde bislang verschont, nun ist alles Fernsehen. Man mag sein Iphone nutzen, um Sudoku zu spielen oder zu twittern, die öffentlich-rechtlichen Anstalten (nennen wir sie der Kürze halber ÖRA) halten auf jeden Fall die Hand auf: Macht 215,76 Euro, bitte.

Eine Diskussion darüber ist fällig – und scheint endlich auch in Gang zu kommen: Gerade veröffentlichte Hans-Peter Siebenhaar sein Buch über die "Nimmersatten", in dem er schlicht vorschlägt, das ZDF abzuschaffen. Ist es nicht tatsächlich so, dass die ÖRA ihre Existenzgarantie genau in dem Moment erhalten, wo sie vollends obsolet zu werden drohen? Wie gerecht ist es, dass jeder 18-Jährige zahlen muss, während der Altersdurchschnitt der Zuschauer beim ZDF bei 63 Jahren liegt? Und dass man jetzt nicht mit den Digitalkanälen kommt, in denen sich schräg gebürstete Moderatoren auf alten Sofas bei der Jugend anbiedern. Sie wären über kurz oder lang nur ein weiterer Vorwand, die Gebühren zu erhöhen.

Dieser Apparat verbraucht jetzt schon acht Milliarden Euro im Jahr, eine davon aus Werbung, die die privaten Medien dringend gebrauchen könnten, der Rest aus Gebühren. Man muss sich einmal klar machen, was das heißt: Acht Milliarden Euro – das ist in etwa so viel wie sämtliche Kultursubventionen aller deutschen Länder und Gemeinden, sämtliche Museen, Theater und Bibliotheken. Es ist nur unwesentlich weniger als die Kirchensteuer, deren Aufkommen bei neun Milliarden Euro liegt. Die ÖRA sind uns fast so viel wert wie der liebe Gott.

Welches ist eigentlich der Mangel, dem die ÖRA mit derartigem Aufwand ihre "Grundversorgung" entgegenhalten? Als das System gegründet wurde, lag die Antwort auf der Hand: Selbstverständlich wollten die Alliierten nach den Erfahrungen, die sie mit den Deutschen gemacht hatten, die seltenen Frequenzen und kostbare Technik nicht in die Hand eines neuen Hugenberg-Konzerns geben. Die neuen Medien mussten gerade um ihrer Macht willen ein Teil der entstehenden demokratischen Strukturen sein. Und sie hatten ihre größte Zeit dann auch in der neuen alten Bundesrepublik, das Radio in den fünfziger und sechziger Jahren, das Fernsehen in den sechziger und siebziger Jahren.

Sicher , auch heute gucke ich meist noch öffentlich-rechtlich, wenn ich zappe (ich bin allerdings auch schon 55!) Ich amüsiere mich mit der "Heute-Show" oder dem "Tatort" aus Wien. Zuweilen lohnt es sich auf zu bleiben, um eine großartige Dokumentation zu sehen. Nicht wenige Fernsehspiele verdienen die Betätigung der Record-Taste. Arte setzt Impulse. Der Apparat hat bis heute große Verdienste.

Aber er ist so redundant geworden, und er steht in einer derart radikal gewandelten Öffentlichkeit, dass seine Legitimation ernstlich neu geprüft werden muss. Diese Redundanz zeigt sich am deutlichsten in der grauenhaften konzeptionellen Leere der dritten Programme, die einst die Experimentierstätten der ÖRA waren: endlose Wiederholungen des "Tatorts", Kutschfahrten durchs Weserbergland, die Lieblingswitze der Hessen, und ein Gesundheitsmagazin pro Ländersender, als wären nicht alle Ländersender in allen Ländern gleichzeitig zu empfangen. Über Monate hinweg kann man ein und demselben Spielfilm dabei zusehen, wie er durch die Anstalten gereicht wird, wie in jenen Zeiten, als die Kraft der Antennensignale nur hundert Kilometer weit reichte!

Es sind die Strukturen der alten Bundesrepublik der siebziger und achtziger Jahre, die heute künstlich am Leben gehalten werden. Weitet man den Fokus, so zeigt sich, dass selbst der ewige Clinch zwischen Privatmedien einerseits und den ÖRA andererseits nur da zu sein scheint, um diese Strukturen zu bestätigen. Wenn die Verleger gegen die Tagesschau-App oder eine längere Archivierung öffentlich-rechtlicher Inhalte im Netz fechten, zementieren sie nur die sorgsam austarierte Machtverteilung eines Mediensystems aus der vordigitalen Ära. Durch die Forderung nach Leistungsschutzrechten für Presseinhalte unterstreichen die Verleger noch einmal, dass es auch ihnen nur um Artenschutz und Abwehr von Innovation geht.

Anderswo entstehen im Internet neue Medien. In Deutschland halten sich die alten Medien in Schach und achten darauf, dass kein neues hochkommt.

Aber der Medienwandel lässt sich nicht aufhalten – auch nicht, indem man 18-Jährige zwingt, für Inhalte zu bezahlen, die für sie gar nicht relevant sind. Die neuesten Fernsehgeräte erlauben es bereits, ebenso flüssig zwischen Youtube-Kanälen zu wechseln wie zwischen Peter Scholl-Latour und den Greisen aus dem Musikantenstadl, die in den ÖRA häufig genug die Alternative sind. Lovefilm von Amazon bietet schon jetzt mehr Filme zu interessanteren Preisen als Privatsender und ÖRA zusammen. Und es gibt längst andere Plattformen im Netz, auch für Autorenfilme.

Im Internet ist auch nichts "presseähnlich" oder "fernsehähnlich". So lauten nur die Schutzformeln der alten Institutionen, die weiter ihre verbürgten Rollen spielen wollen. In Wahrheit ist es genau umgekehrt: Alles ist Netz. Presse ist eine ausgedruckte Internetdatei. Fernsehen ist ein gestreamtes oder gespeichertes Videoformat. Die Gattungsgrenzen zwischen den Medien sind nicht mehr nur porös – sie haben sich längst aufgelöst. Was ist ein Blogeintrag, der mit einem Youtube-Video angereichert wird. Presse? Fernsehen?

Wenn aber alle Medien alles sind, wenn Schrift, Ton und Bild ineinander übergehen, wie kann es dann sein, dass ein einzelner Akteur, dessen Identität aus einem obsoleten Medienbegriff rührt, ganz allein beauftragt wird, öffentlich-rechtliche Information zu organisieren? Die Sender sind bisher weder damit aufgefallen, im Netz besonders innovativ zu agieren, noch scheinen sie dies als ihren Auftrag zu betrachten. Wahrscheinlich werden sie sogar daran gehindert, weil der Gesetzgeber selbst an künstlichen Gattungsgrenzen in der Medienlandschaft festhält. Wie die Printmedien, die sich selbst versichern, dass ihr Journalismus überlebt, beharren sowohl die Politiker als auch die öffentlich-rechtlichen Sender auf dem alten Sender-Empfänger-, Volksbeglücker- und Torwächter-Modell, das sie in einer viel agileren, unübsersichtlicheren, aber auch weitaus autonomeren Öffentlichkeit schon jetzt in den Bedeutungsverlust führt.

Die Frage ist also, wie sich die Idee eines öffentlich-rechtlichen Journalismus im Zeitalter der Digitalisierung neu formulieren lässt.

Wohl nur, indem man das Öffentlich-Rechtliche von den Anstalten befreit.

Es ist eine wichtige Frage: Sie ist fast identisch mit der Frage, wie sich die demokratische Öffentlichkeit im Zeitalter der Digitalisierung neu strukturieren soll - in einem Zeitalter also, das bisher noch keine überzeugenden Geschäftsmodelle für das gesellschaftlich so notwendige Gut der Information und der öffentlichen Auseinandersetzung hervorgebracht hat. C.W. Anderson, Emily Bell and Clay Shirky machen in ihrem Papier über den "postindustriellen Journalismus" glaubhaft, dass Journalismus noch nie aus sich heraus profitabel war. Für einige Jahrzehnte überlebte er in einer Ökonische mit Anzeigen und Rubrikenmärkten, die sich jetzt effizientere Kontexte gesucht haben. Die Frage nach dem Gemeingut einer informierten Öffentlichkeit stellt sich seitdem an die ganze Gesellschaft.

Wie wäre es also, wenn man Gelder, die man aus der Reduktion der Redundanzen bei den ÖRA gewinnt, per Ausschreibung für neuartige Medienprojekte bereitstellt? Schon im Jahr 2010 erschien im Blog Carta des unvergessenen Robin Meyer-Lucht ein Papier von Andrea Beyer und Hanno Beck (ehemals FAZ), das ein solches Modell en détail durchdenkt. (Ursprünglich war das Papier in der Zeitschrift Wirtschaftsdienst publiziert worden, zu finden ist es hier.)

Statt eines weiteren Gesundheitsmagazins eines dritten Programms könnte etwa ein Internetmedium ausgeschrieben werden, das frei und unabhängig über diese Themen informiert und sie bündelt – mit allen Vorteilen der Durchsuchbarkeit, der Kommentar- und Diskussionsfunktionen, die nur das Internet bietet. Es könnten neue Debattenforen entstehen, die sowohl Bürger als auch Experten mobilisieren – zu allen wichtigen Themen: Klima, Energie, Genforschung, Europa. Jeder Medienakteur auf dem Markt könnte sich auf eine solche Ausschreibung bewerben, Zeitungen, Fernsehanstalten und Internetmedien.

Ein solches System müsste aber offen genug sein, um auch bloggende Bürger einzubeziehen, gerade auf lokaler Ebene, die in der bestehenden Organisation der Pfründen von den ÖRA gar nicht bespielt und von den Zeitungen häufig schlecht verwaltet wird. Die Idee einer öffentlich organisierten, viele Player einbeziehenden Information, darf nicht dazu dienen, Zeitungen, die im Netz fantasielos agierten, einfach mit neuen Aufträgen auszustatten. Es muss schon einen Wettbewerb geben.

Auf diese Weise ließe sich auch die Gefahr von Staatsmedien umgehen. Auch andere öffentliche Projekte werden schließlich ausgeschrieben und suchen sich die besten Anbieter auf dem Markt.

Gewiss, auch Ausschreibungsverfahren haben eine Menge Tücken. Bürokratisierung droht. Wer genau definiert den Bedarf? Und es droht die Gefahr, dass sich wieder die alten Platzhirsche gegenüber neuen Akteuren durchsetzen – aus schierer Größe, Marktmacht und Erpressungspotenzial gegenüber Politikern. Aber es führt kein Weg daran vorbei, die Idee des Öffentlich-Rechtlichen so oder anders neu zu denken.

Die von manchen geforderte Kulturflatrate existiert bereits – sie geht nur in Form von GEZ-Gebühren an einen überalterten und dysfunktionalen Apparat. Die Debatte darum ist dringend. Sie sollte auch im Wahlkampf eine Rolle spielen. Und die öffentlich-rechtlichen Anstalten dürfen sich nicht vor ihr verstecken.

Thierry Chervel

twitter.com/chervel