Glossar der Gegenwart

Cover: Glossar der Gegenwart
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M. 2004
ISBN 9783518123812
Taschenbuch, 320 Seiten, 12,00 EUR

Klappentext

Herausgegeben von Ulrich Bröckling, Susanne Krasmann und Thomas Lemke. Das Glossar der Gegenwart versammelt die Leitbegriffe von heute. Rund fünfzig Artikel untersuchen Konzepte von "mittlerer Reichweite", aber hoher strategischer Funktion, die in den aktuellen Debatten eine Schlüsselstellung einnehmen: Deutungsschemata, mit denen die Menschen sich selbst und die Welt, in der sie leben, interpretieren; normative Fluchtpunkte, auf die ihr Selbstverständnis und Handeln geeicht sind; schließlich konkrete Verfahren, mit denen sie ihr Verhalten zu optimieren suchen. Die Artikel präparieren die Antinomien gegenwärtiger Selbst- und Sozialverhältnisse heraus und verbinden wissenschaftliche Analyse mit politischer Diagnostik und Kritik. In der Summe ergibt sich ein Register zeitgenössischer "Menschenregierungskünste" (Foucault). Stichworte (Auswahl): Assessment Center / Biopolitik / Coaching / Commitment / Cool / Empire / Erlebnis / Evaluation / Flexibilität / Good Governance / Humanitäre Aktion / Just-in-Time / Kreativität / Kundenorientierung / Lebenslanges Lernen / Leitbild / Nachhaltigkeit / Performance / Risiko / Synergie / Wellness / Zukunftsfähigkeit.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 22.02.2005

Erst im vorigen Jahr seien auf Deutsch Vorlesungstexte von Michel Foucault aus den Jahren 1978/79 erschienen, die bei der Foucault-Rezeption in Deutschland seltsamerweise nie eine Rolle gespielt hätten, wundert sich Michael Schefczyk. In diesen Vorlesungen hätte Foucault die Grundlagen der "governmentality studies" entwickelt, die den Zusammenhang von Regieren und Mentalität untersuchten. Die Herausgeber des "Glossar der Gegenwart" waren auch die Herausgeber der erst im Jahr 2000 auf Deutsch publizierten "Gouvernementalität der Gegenwart", teilt Schefczyk mit. Das nun vorliegende Glossar mit einer Artikelsammlung von rund 40 Einzelbeiträgen zu zentralen Begriffen wie Aktivierung, Globalisierung, Monitoring, Netzwerk, Wellness und so weiter knüpft an diese Gouvernementalitätsgeschichte Foucaults an. Schefczyk kritisiert nicht die Texte im einzelnen, die meistens durchaus lesenswert seien. Seines Erachtens könnten jedoch die Herausgeber den selbst formulierten Theorieanspruch nicht halten, wonach ihr Glossar ein angemessenes Instrument sei, "die Gegenwart auf Begriffe zu bringen". Für ihn leistet das Glossar genauso viel und genauso wenig, wie es gemäß der Duden-Definition auch zu leisten hat: es enthält ein Verzeichnis von Begriffen, die erläutert werden.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 06.10.2004

Die Begriffe, die wir verwenden, haben "dunkle Seiten" - so verbirgt sich in "Wellness" nicht nur das Wohlfühlen und gesundheitliche Selbstsorge, es steckt auch die Dressur des Selbst darin. Man soll sich nicht nur wohlfühlen, man soll sich verpflichtet fühlen, sich wohlzufühlen. Und Herrschaft über sich selbst auszuüben, ist eine finstere Sache. Dem von Foucault-inspirierten Luhmann-Schülern herausgegebenen "Glossar der Gegenwart", das der Wellness ebenso wie dem "Empowerment", dem "Monitoring" oder der "Virtualität" - insgesamt gibt es 44 Einträge - auf die Schliche kommen will, spricht Rezensent Dirk Knipphals eines uneingeschränkt zu: einen "hohen Durchschauungsfaktor". Natürlich, manchmal nervt ihn der entlarverische Zwang der Autoren, bei denen es immer wieder auf die Selbstrestriktion hinausläuft - aber will denn tatsächlich jemand, wirft Knipphals ärgerlich ein, auch wenn "Flexibilität" untrennbar mit ökonomischen Zwängen verschränkt sein mag, so unflexibel wie die Großvätergeneration leben? Doch insgesamt ist Knipphals durchaus angetan, zumal er das emanzipatorische Element nicht verkennt, das darin liegt, manchmal etwas misstrauischer zu sein, als man vielleicht müsste. Die Qualität der Beiträge reicht, Knipphals zufolge, von dem leisen Rascheln "akademischen Seminarwissens" bis zur "wirklich brillanten Analyse".

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 27.09.2004

Gottfried Oy bleibt skeptisch. Zwar hat er wirkliche Einwände nur gegen den Beitrag über den Gender-Begriff. Den findet er zu undifferenziert. Ansonsten lässt er sich den Zugang über ein "Glossar zur Gegenwart" zu einer Gesellschaft, die sich, wie Foucault und Deleuze herausgearbeitet haben, von einer disziplinarischen zu einer kontrollierenden verändert hat, durchaus gefallen. Warum nicht gesellschaftliche Trends und Verschiebungen über Schlüsselbegriffe entfalten? Von "Aktivierung" bis zur "Zivilgesellschaft" in 44 Beiträgen? Die Herausgeber, die aus der Gouvernementalitäts-Debatte bekannt sind, wollen sich der Gesellschaft von unten nähern, so Oy, aus der Sicht des Alltags. Und der Rezensent findet das offenbar auch durchaus erhellend, wenn es um "Branding" als "Führungstechnologie" geht und um "Evaluationitis". Was Oy aber fehlt, ist die Berücksichtigung des Umstands, dass nach wie vor "sehr direkte Formen der Machtausübung" in Gebrauch sind - der Rezensent verweist zum Beleg auf die anstehenden Reformmaßnahmen der Bundesregierung. Das sei gutes, altes disziplinargesellschaftliches Verhalten.