Jonathan Franzen

Die 27ste Stadt

Roman
Cover: Die 27ste Stadt
Rowohlt Verlag, Reinbek 2003
ISBN 9783498020873
Gebunden, 670 Seiten, 24,90 EUR

Klappentext

Aus dem Amerikanischen von Heinz Müller. Den dramatischen Verfall einer amerikanischen Großstadt im Auseinanderbrechen einer Familie zu spiegeln - das ist Franzens ehrgeiziger Masterplan für seinen Romanerstling. und so entfaltet er vor unseren Augen die politische Topographie einer ehemals blühenden und nun trostlos verrohten Metropole. St. Louis, einst die viertgrößte Stadt der USA, Eisenbahnknotenpunkt und bedeutendster Binnenhafen des Landes, stürzte in der Hierarchie der wichtigsten Städte auf Rang 27 ab, ins Niemandsland der nationalen Wahrnehmung.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 13.11.2003

Nach dem großen Erfolg von Jonathan Franzens "Korrekturen" hat der Verlag nun mit dem viel früher entstandenen Roman "Die 27ste Stadt" aus dem Jahr 1988 nachgelegt. Dass man ihn heute konformistischer interpretiere als beabsichtigt, lasse sich dem Autor wohl kaum vorwerfen, überlegt Thomas E. Schmidt - stören tut es ihn dennoch. Der Roman atme noch (oder vielmehr schon) schon das ganze Flair der Clinton-Ära, behauptet er und bezichtigt Franzen eines "weich gespülten literarischen Puritanismus" und meint damit jene typische Mischung aus Selbstkritik und Selbstbewusstsein, die in der Welt eines Bush und Rumsfeld "seltsam flau wirke". Die flaue Wirkung wiederum verdankt sich einem eher aufgeregten hyperrealistischen Stil, der tausend Erzählfäden spinnt, einer Detailbesessenheit, die die Leser schnell den Überblick, die Geduld und das Interesse verlieren lässt, meint Schmidt. Jeder Zeile des Romans merke man den Willen zur great american novel an, schreibt der Rezensent: der Aufschwung der Stadt St. Louis sei zugleich ihr moralischer Zerfall, ein großes amerikanisches Thema, das Franzen zu einem politischen Science Fiction-Roman mit Thriller-Elementen ausbaut. Dass er dabei einer archaischen Gut-Böse-Unterscheidung folgt, kann den Vorwurf einer "künstlich leeren Dramatik" aus Sicht des Rezensenten auch nicht entkräften.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 08.10.2003

Mit den "Korrekturen" kann Jonathans Franzens erster Roman, der in Deutschland jetzt erst auf Grund des Erfolges des späteren erscheint, nicht mithalten, meint ein etwas enttäuschter Guido Graf. Ihn stört die ganze "Versuchsanordnung" des Romans, der wie eine gigantische "Sinnentleerungsmaschine" arbeitet und dabei einer aberwitzigen und höchst unglaubwürdigen Konstruktion gehorchen muss. Der Protagonist des Romans ist ein erfolgreicher Bauunternehmer, der lange Zeit nicht wahrhaben will, dass "seine" einst prosperierende Stadt im amerikanischen Mittelwesten immer mehr zerfällt. Damit es ihm und auch Franzens Lesern ja auffällt, so legt Graf nahe, setze der Autor alles dran, den Mann und seine Familie zu zerstören und bietet dafür eine regelrechte Verschwörung auf in Gestalt eines indischen Clans, der die Stadt und den Mann in seine Klauen bekommt. Diese ganze Verschwörung sei ziemlich unglaubhaft (eine Inderin als Polizeichefin im Reagan-Amerika!), meint Graf. In den "Korrekturen" hätte sich Franzen dann ganz auf die "Anatomie der amerikanischen Familie und die kleinen Verschwörungen" konzentrieren können, der großen Verschwörung hätte es da nicht mehr bedurft. Insofern scheint ihm "Die 27ste Stadt" noch zur Abnabelung und Abrechnung mit der Elterngeneration gedient zu haben, mit dem Nachteil, sich von deren Denkmustern noch nicht ganz gelöst zu haben.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 07.10.2003

Angela Schader vergleicht Jonathan Franzens Debütroman "27. Stadt" mit seinen vielgepriesenen "Korrekturen" von 2001, und gibt dem Erstling von 1988 klar den Vorzug. Das hängt für sie nicht nur mit dem "virtuos gehandhabten Erzähltempo" zusammen, das durch "wohlgesetzte Schnitte" Überblick und Spannung erhalte, oder den "raffinierten Überraschungen, Einsichten und Schocks", die reichlich vorhanden seien. Vielmehr sei der Roman "im Innersten hohl", was den ungeklärten Widersprüchen in der Anlage des Hauptcharakters geschuldet sei: Susan Jammu, Inderin und frischernannte Polizeichefin von St. Louis, geht über Leichen, um die heruntergekommene Stadt wieder auf Vordermann zu bringen. Die Kluft zwischen ihren nie ganz einsehbaren Absichten, ihrer rührenden Schmächtigkeit und ihrer gleichzeitigen Kaltschnäuzigkeit wird nie überbrückt, was die Rezensentin für den "größten Mangel" und zugleich die größte Stärke des Romans hält. Denn dieses "Vakuum" im Zentrum erzeugt eine reißende Dynamik, "so dass am Ende Gier und Anstand, Verschlagenheit und Aufrichtigkeit in eine höllische Quadrille gezwungen werden", schreibt die faszinierte Rezensentin.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 06.10.2003

Karl-Markus Gauß weiß sich mit anderen Kritikern einig: Jonathan Franzens Debütroman aus dem Jahr 1988 ist kein wirklich gelungener Roman. Uneinig ist man sich nur über das Warum. Gauß stören jedenfalls nicht kleine Schwächen innerhalb einer angeblich großartigen Gesamtstruktur. Für ihn verhält es sich gerade anders herum: der Roman ist "ein einziges Fiasko mit vielen erzählerischen Stärken". Dort, wo es um den Zerfall der Familie, die Zeichnung der Charaktere und der vielen Nebenfiguren geht, zeige sich Franzens ganzes Können, die Konzeption des Romans findet Gauß dagegen geradezu billig. Denn um den Ruin der Familie des Protagonisten und den Niedergang seiner Stadt herbeizuführen, greife Franzen zu saftigen Verschwörungstheorien, und nichts weise darauf hin, dass er diese ironisch meint. Man muss sich mal vor Augen halten, schreibt Gauß empört, was es bedeutet, dass der einzige, der die Aktionen des feindlichen asiatischen Clans im Roman durchschaut, dem Profil eines Sicherheitsberaters Ronald Reagans gleicht! Dies ist kein Roman, der von der Reagan-Ära erzählt, schließt Gauß, sondern einer, der zu ihr passt.
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