Magazinrundschau

Die Magazinrundschau

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
05.09.2006. Der New Yorker porträtiert Junior, ein echtes Problemkind und Amerikas wertvollster Al-Qaida-Informant. Im Spectator fordert Alan Dershowitz eine liberale Initiative zur Terrorbekämpfung. Outlook India feiert die neue Gandhi-Jugend, die Motorrad-Rallyes für den Frieden mit Pakistan veranstaltet. In Literaturen rühmt Ilija Trojanow das Talent der Bombaywallas zur giftigen Liebeserklärung. Polityka preist Olga Tokarczuks neues Buch über die sumerische Göttin Inanna. Der Economist erzählt vom Spiel synthetischer Biologen mit BioBricks. Nepszabadsag geißelt die Haltung der USA während des Ungarn-Aufstands von 1956. Der Nouvel Obs schildert die prekäre Lage verarmter Schriftsteller. Und die New York Times warnt vor bescheidenen Amerikanern.

New York Review of Books (USA), 21.09.2006

Robert Malley zieht eine recht bittere Bilanz nach Israels Krieg gegen die Hisbollah im Libanon. Ausgerechnet seine Fähigkeit zur Abschreckung, die wiederzuherstellen einer der Kriegsgründe war, hat Israel eingebüßt. "Hisbollah, Hamas, Iran und Syrien sehen ihren Stern steigen. Für einen Großteil der arabischen Welt hat dieser Krieg den Mythos der israelischen Unbesiegbarkeit beschädigt. Die größte Gefahr für Israel ist momentan, nicht mehr als dominierende Macht, sondern als eine erschöpfte angesehen zu werden... In dem Konflikt geht es längst nicht mehr darum, ein bestimmtes Ziel zu erreichen - einen Soldaten freizubekommen oder ein bestimmtes Gebiet zu erobern. Es geht um etwas weniger Greifbares und damit Ernsthafteres: Abschreckungsmacht herzustellen, die Spielregeln zu bestimmen, zu zeigen, wer das Sagen hat. Solche Konfrontationen können schwächer werden, sie könne ruhen. Aber sie enden nicht."

Weiteres: Max Rodenbeck liefert eine weitere Analyse des Libanon-Kriegs.Tony Judt liest noch einmal das Mammutwerk "Main Currents of Marxism" des polnischen Philosophen Leszek Kolakowski. Zur Frage, ob Intelligent Design an amerikanischen Schulen gelehrt werden sollte, meint Ronald Dworkin: "Sollte es irgendeinen wissenschaftlichen Beweis gegen die Evolution gebe, sollte er Schüler sofort gelehrt werden. Aber die Intelligent-Design-Bewegung hat diesen wissenschaftlichen Beweis nicht." Daniel Mendelsohn hält wenig vom Realismus der beiden 9/11-Filme "United 93" von Paul Greengrass und "WTC" von Oliver Stone: "Das Problem mit diesem Realismus ist, das der Film wie auch die Realität selbst keine Struktur hat: und ohne Struktur, ohne Gestaltung können die Ereignisse keine Bedeutung haben." Lorrie Moore stellt Suzanne Marrs' Biografie der Autorin Eudora Welty vor.

New Yorker (USA), 11.09.2006

Jane Mayer porträtiert "Junior" alias Jamal Ahmed al-Fadl, Sudanese und Amerikas "derzeit wohl wertvollster Informant" über al Qaida und wichtigster Zeuge in der Anklage gegen mindestens zwei in Guantanamo inhaftierte Terrorverdächtige. Fadl war bereits 1989 in Afghanistan zu Osama bin Laden und al Qaida gestoßen, hatte dann aber 1996 in der amerikanischen Botschaft von Eritrea Schutz gesucht und seine Mitgliedschaft gestanden. Seither lebt er - abgeschirmt und von FBI-Leuten bewacht - in den USA. Diese hielten Junior allerdings für ein Problemkind, eine Art Gammler und hätten schnell begriffen, dass "seine Ränkespiele, die einmal bin Ladens Problem waren, nun ihres sei". So war dann auch Dan Coleman, früher al-Qaida-Experte des FBI, überrascht, "dass Fadl nicht besonders religiös ist. 'Ich habe ihn nicht einmal beten sehen', erzählt er. Für Fadl sei der Dschihad weniger eine religiöse Angelegenheit, sondern eher 'eine sozial akzeptable Form schlechten Benehmens'. Oder wie Coleman es ausdrückt: 'Man jagt Sachen in die Luft und bringt Leute um, und deine Kameraden und Kumpel denken, dass du was taugst. Es macht Spaß und man kann ein Held werden'."

Sehr unterhaltsam ist Caleb Crains Bespechung einer neue Studie über das britische Projekt "mass-observation", eine Bewegung, die 1937 der Anthropologe Tom Harrison, der Dichter Charles Madge und der Filmemacher Humphrey Jennings ins Leben riefen. Mit Hilfe von 500 Freiwilligen sollte dabei das britische Alltagsleben erfasst werden. Auf der Beobachtungsliste standen unter anderem: "Verhalten von Menschen an Kriegsdenkmälern", "Ausrufe und Gesten von Autofahrern" sowie "Verbreitung und Bedeutung schmutziger Witze".

Weiteres: Joan Acocella rezensiert den neuen Roman von Alice McDermott "After This". Für eine ziemlich bunte Mischung hält Peter Schjeldahl die Ausstellung "Out of Time", die jüngste Präsentation des MoMA aus seiner Sammlung zeitgenössischer Kunst. Und Anthony Lane sah im Kino den Debütfilm von Allen Coulter "Hollywoodland" und empfiehlt eine kleine Retrospektive mit Filmen des japanischen Regisseurs Kenji Mizoguchi. Zu lesen ist außerdem die Erzählung "Black Ice" von Cate Kennedy.

Nur im Print: Reportagen und Berichte aus dem Gazastreifen, wo die Hamas über ihre Optionen nachdenkt, aus dem Sudan, wo der Islam für den Eintritt in die moderne Welt neu interpretiert wird, über die Frage, wie die nächste Stufe des Dschihad aussehen könnte und Lyrik.
Archiv: New Yorker

Spectator (UK), 02.09.2006

Wie kann man auf neue Formen des Terrorismus reagieren und dennoch die bürgerlichen Freiheiten schützen? Der Harvard-Jurist Alan Dershowitz kritisiert die westlichen Demokratien, die nach dem 11. September schlicht versäumt hätten, sich mit den "moralischen und intellektuellen Herausforderungen durch das relativ junge Phänomen von Selbstmordattentaten" auseinanderzusetzen. "Das traditionelle Paradigma - warten, bis das Unheil geschieht und dann den Schuldigen bestrafen, um andere abzuschrecken - kann bei Selbstmordattentätern, die die Todesstrafe förmlich begrüßen, nicht funktionieren." Natürlich könnten Demokratien nicht auf "tyrannische Methoden" wie etwa der Nazis oder des Stalinismus zurückgreifen. Doch eine effektive Terrorprävention, basierend auf grundlegenden moralischen und gesetzlichen Normen, sei "unabdingbar für den Erhalt bürgerlicher Freiheiten... Deshalb müssen sich jene, die die Freiheit lieben, an die Spitze der Anstrengungen der Terrorprävention stellen, selbst wenn dies einige Kompromisse hinsichtlich eines maximalistisch formulierten Paradigmas bürgerlicher Freiheiten erfordert."

Zu lesen ist außerdem ein unterhaltsamer Bericht über einen "Interviewtermin der Hölle", den der eigenwillige britische Journalist Toby Young mit der für ihre Interviews berüchtigten Journalistin Lynn Barber - Spitzname: "Satan Barber" - erlebte (hier Youngs Website mit Barbers Porträt, das am 2. September im Observer erschien).
Archiv: Spectator

Polityka (Polen), 02.09.2006

"Rückblickend scheint 1914 die Welt nur auf den Funken gewartet zu haben, der am 28. Juni in Sarajevo gezündet wurde. Ähnlich 2001 - die Welt war bereit für die großen Veränderungen, die nach dem 11. September eintraten", schreibt in einem lesenswerten Beitrag der Publizist Jacek Zakowski zum anstehenden fünften Jahrestag des Anschlags auf das World Trade Center. Die Analogien gehen weiter: Ende des 19. Jahrhunderts war es auch eine junge, radikale Bewegung - die Kommunisten - die Staaten zum Handeln zwang. Doch während Preußen und Russland den Weg der Repression wählten, versuchten England und die Schweiz den Protest ins demokratische Spektrum integrierten. "Das Ergebnis kennen wir alle: in Russland siegte der Kommunismus und in Deutschland bald darauf der Nazismus." Zakowski sieht die verschärften Sicherheitsvorkehrungen, die militärischen Aktionen und die Einschränkung der Bürgerrechte sehr kritisch: "Es ist keine Lösung, die guten Seiten der existierenden Ordnung zu zerstören, im Namen des Kampfes mit ihren Gegnern."

In einem ehrgeizigen Publikationsprojekt, das von einem schottischen Verleger initiiert und von 33 Verlagen aus der ganzen Welt aufgenommen wurde, schreiben zeitgenössische Autoren die großen Mythen der Menschheit neu. Juliusz Kurkiewicz ist von der Idee angetan, auch wenn ihn die bisherigen Publikationen nicht begeisterten. Jetzt ist das beste Buch der Serie erschienen, "Anna In w Grobowcach Wiata", und seine Autorin, Olga Tokarczuk, hat an der Geschichte der sumerischen Göttin Inanna schon vor Bekanntwerden des Projekts gearbeitet. "Tokarczuk wiederholt nicht bekannte Geschichten, und kehrt sie auch nich um wie andere Autoren. Sie taucht in die Mythen ein, will ihre Bedeutung dechiffrieren, zeigen, dass es Geschichten sind, die - obwohl sie so niemanden und niemals passiert sind - jedem und jederzeit passieren könnten. Tokarczuks Inanna - Anna In ist eine junge Frau, die wir genau so gut auf der Straße treffen könnten."
Archiv: Polityka

Al Ahram Weekly (Ägypten), 31.08.2006

Nach George Bushs Wort vom "Islamofaschismus" fordert der in Washinton lebende Publizist Mohamed Hakki in einem Offenen Brief an den US-Präsidenten mehr Respekt vor dem universalen Gott: "Es war ermutigend, dass Sie stets mit Respekt über den Islam gesprochen und ihn als Teil unseres gemeinsamen Erbes am himmlischen Glauben verstanden haben, wie er uns von dem einen Gott, an den wir alle - Christen, Moslems, Juden - glauben, gesandt wurde. Sogar nach Ihrer treulosen Verehrung und der Unterstützung Israels, ja sogar, als die ganze Welt der Zerstörung Libanons beiwohnte, glaubten wir, dies wäre bloß auf einen kaputten moralischen Kompass zurückzuführen. Doch als Sie Islam und Faschismus gleichsetzten, überschritten Sie alle Grenzen des guten Geschmacks."

Außerdem: Nevine El-Aref berichtet von der Karnevalsatmosphäre bei der Verfrachtung der Statue Ramses II. ins neu errichtete Grand Egyptian Museum. Und in einem Dossier zum Tod von Nagib Mahfus erinnert sich Roger Allen an die Soireen auf dem Hausboot des Nobelpreisträgers: "Alle 10 Minuten wurde das Gespräch unterbrochen und jemand schrie Nagib eine Zusammenfassung des Gesagten ins Ohr. Dann warteten alle auf sein Bonmot."
Archiv: Al Ahram Weekly

Outlook India (Indien), 11.09.2006

Gandhi lebt! Mit der Globalisierung ist er zurückgekehrt, meint Sheela Reddy, die überall Neo-Satyagrahis entdeckt - nicht unbedingt mit dem Insignium des Spinnrads bewehrt, sondern mit dem Moped, aber doch mit den besten Absichten: "Wer in der Globalisierung das Ende seiner Ideale sieht, findet das Angebot unwiderstehlich: Alternative Lebensformen, gesellschaftliches Engagement, eine neue Lernerfahrung und alles frei von starrer Ideologie ... Die Gandhi-Jugend setzt sich ein für die Rechte enteigneter Stämme und die der Frau, veranstaltet Motorrad-Rallyes für den Frieden mit Pakistan, organisiert Symposien an Schulen und in Slums und diskutiert sogar mit Terroristen." Auch wichtig: Anders als die alten Gandhi-Anhänger lachen die neuen viel.

Ferner: Alam Srinivas bespricht die etwas faden Erinnerungen des legendären Kricket-Coaches John Wright ("John Wright's Indian Summers"). Anuradha Raman befragt Indiens Medienminister Das Munshi über sein restriktives Walten. Namrata Joshi stellt Bollywoods neue Drehbuchautorinnen vor. Und im Interview mit Sheela Reddy verrät der 92-jährige Autor Khushwant Singh das Geheimnis seines Erfolgs: "Sieh deinen Lesern in die Augen."
Archiv: Outlook India

Literaturen (Deutschland), 01.09.2006

"In Bombay kann man leicht sterben, aber niemals vergessen, dass man am Leben ist", schreibt Ilija Trojanow in dieser sehr schönen Ausgabe zum Buchmesse-Gastland Indien. Trojanow stellt drei Bücher vor, die sich mit der "Mega-City der Schizophrenie", beschäftigen: Suketu Mehtas "Maximum City", Vikram Chandras "Der Gott von Bombay" und Altaf Tyrewalas "Kein Gott in Sicht". "Wer Bombay beschreiben will, muss einen literarischen Weg finden, diese dynamische Allgegenwart, diese Synkopen zwischen Hoffen und Verzweifeln, zwischen Fluchen und Frohlocken einzufangen. Wer über Bombay schreiben will, muss die Kunst der giftigen Liebeserklärung beherrschen, und das können richtige Bombaywallas, wortwörtlich: 'jene, die zu Bombay gehören' - Autoren wie Chandra, Mehta und Tyrewala. Ihre liebevollen Entlarvungen Bombays legen Zeugnis ab von den starken Banden, die bei aller Verletzung und Enttäuschung zwischen der Metropole und ihren Bürgern bestehen."

New Economy und IT-Boom sind in Indien mehr Wunsch als Wirklichkeit, schreibt der indische Autor Pankaj Mishra. "Trotz allen Geredes über Indien als 'back office' der ganzen Welt sind es gerade mal 1,3 Millionen einer erwerbstätigen Bevölkerung von 400 Millionen, die in den Bereichen Informationstechnologie und Büroorganisation tätig sind, aus denen die New Economy besteht. Immer noch arbeiten mehr als sechzig Prozent der indischen Bevölkerung in der Landwirtschaft. Das Image eines aufstrebenden, glitzernden Landes ('Indien leuchtet') wird hauptsächlich von einem urbanen Mittelstand gestützt, der TV-Soaps und Talkshows konsumiert, einem Cricket-Nationalismus huldigt und sich ganz den kulturell homogenen und politisch reaktionären Schichten anzugleichen beginnt, die sich während der Moderne in den Ländern Europas herausgebildet haben... Dabei herrscht immer noch Trinkwassermangel in den Dörfern, und Indien gehört nach wie vor zu den ärmsten Ländern der Welt."

Weiteres: Sigrid Löffler stellt Kiran Nagarkar als Indiens eigenwilligsten Autor vor. Wolfgang Schneider liest Martin Walsers nichtindische "Angstblüte". In der "Kriminal"-Rubrik knüpft sich Franz Schuh Lorenzo Lunar Cardedos "Ein Bolero für den Kommissar" vor.
Archiv: Literaturen

Times Literary Supplement (UK), 02.09.2006

Stein Ringen hat zwischen den Klassikern der europäischen Soziologie, die in Claus Offes Studie zum europäischen Blick auf die USA, "Reflections on America. Tocqueville, Weber and Adorno in the United States", zu Wort kommen, ein erstaunliches Einvernehmen entdeckt: "Sie sahen Freiheit - gefährdet, doch dennoch stets pulsierend. Sie sahen Gleichheit - eher zuviel davon als zu wenig. Sie sahen einzigartige Ausprägungen sozialen Lebens, insbesondere die Wirkungskraft der Religion und der ehrenamtlichen Vereinigungen. Sie erkannten in der übertriebenen Gleichheit eine Bedrohung der Freiheit... Für die Klassiker war Gleichheit eine Angelegenheit von Recht und Freiheit; und sie warnten davor, die erhabene Idee der Gleichheit auf das Streben nach Gütern zu reduzieren. Überträgt man diesen Gedanken auf unsere derzeitige Situation, so stellt sich die Frage, ob die Verfechter des europäischen sozialen Modells vor lauter Beschäftigung mit den kleinen Ungleichheiten nicht Gefahr laufen, die großen zu übersehen? Als ein Verfechter des Egalitarismus wird mir sehr unwohl bei dem Gedanken, dass ich diese Frage nicht einfach von der Hand weisen kann."

Weitere Artikel: Philip Wallers Buch über das literarische Leben in Großbritannien von 1870-1918 "Writers, Readers and Reputations, an dem er ganze 25 Jahre geschrieben hat, ist zweifelsohne ein Mammutwerk, so der Eindruck von Dinah Birch, das selbst Spezialisten viel Neues zu bieten hat, doch es krankt an zu großer Detailfreudigkeit. Und Alex Danchev nimmt es Frank Wynne ein wenig übel, dass es seinem "I Was Vermeer." - dem Porträt des genialischen Vermeer-Fälschers Van Meegeren, der jene Bilder malte, die Vermeer hätte malen müssen - ein wenig an Tiefe mangelt.

Economist (UK), 02.09.2006

Was im Augenblick unter dem Titel Biotechnologie läuft, ist bloße Herumbastelei, meint der Economist. Die Zukunft gehört den synthetischen Biologen, die noch nie dagewesene Lebewesen völlig neu erschaffen wollen, mit universalen DNA-Bausteinen, die wie Legosteine beliebig miteinander kombinierbar sind. "Im Moment sind die BioBricks wie Lego noch ein Spielzeug. Sie wurden bisher nur für Studien herangezogen, die als erster Leistungsbeweis dienen sollten, wie Fotografien von Filmen, die aus modifizierten Bakterien bestehen, aber noch nicht für ernsthafte Anwendungen. Doch es eine Menge von ihnen, viele auf der allen zugänglichen 'Registry of Standard Biological Parts' des MIT."

Derartige offene "Wetware" zieht Biohacker an, die der Economist in einem zweiten Artikel vorstellt. "Biohacking ist noch nicht wirklich etwas für einen Teenager mit einem Samstagsjob und Taschengeld, aber die Preise fallen. Nutzt man eine gebrauchte Ausrüstung, ist ein einfaches Heim-Biotech-Labor wahrscheinlich schon für weniger als 50 000 Dollar zu haben. Verständlicherweise gibt es noch relativ wenige Hobby-Biotechnologen. Aber das scheint sich zu ändern."

Desweiteren werden die Änderungen resümiert, die der 11. September in Amerika verursacht hat, ein philosophischer Ansatz zur Verbesserung der Verschlüsselungstechnologie präsentiert und die Probleme der Video-Website YouTube beim Geldverdienen diskutiert.
Archiv: Economist
Stichwörter: Biotechnologie, Spielzeug

Foglio (Italien), 02.09.2006

Mit Verwunderung und auch ein wenig Neid blickt Stefano di Michele auf das "eigenartige" editorisch-politische Phänomen der erfolgreichen Autobiografien von italienischen Kommunisten, das nach dem Krieg begann und "nie aufhörte, auch nicht mit der Auflösung der Pci". Die Motive für die Schilderung des eigenen Lebens haben sich aber vom Politischen ins Private verschoben, meint Michele und zitiert das neuste Exemplar des Genres von Walter Vetroni. "Es ist die Nostalgie. Die Nostalgie des Wissens einer vergangenen Zeit, das Wissen des schönen Lebens und begangener Fehler."

Camillo Langonen besucht den Punkmusiker Giovanni Lindo Ferretti auf seinem Hof im Appenin. Ferretti sei ruhiger und sogar fast katholisch geworden. Aber selbst als Züchter kleiner weißer Pferde der Gegend ist er noch ein wenig Punk. "Ich lasse meine Pferde frei ficken, mit den Hengsten, die sie auf den Weiden finden, mit der Beiläufigkeit und den natürlichen Gefahren der Berge. Die Hengste sind brutal, sie beißen und treten, und die Stuten kommen recht mitgenommen zurück. Aber ich will die Rasse beileibe nicht verbessern, wie sie es in der Toskana gemacht haben, wo die Maremmen heute dank der Verbesserungen nicht mehr wie Maremmen aussehen. Ich will sie verschlechtern, ich will sie zurückbringen bis zu den weißen Pferden, die von den Barbaren nach Italien gebracht wurden."

Weiteres: Maurizio Stefanini berichtet vom Krieg der Tuareg gegen andere Beduinen zwischen Niger und dem Tschad. Und Tatiana Boutourline warnt zweiseitig (1 und 2) vor einer Politik des Appeasement gegenüber dem Iran.
Archiv: Foglio
Stichwörter: Nostalgie, Tschad, Rasse, Neid, Pci, Tuareg, Niger

Przekroj (Polen), 31.08.2006

In Polen wird derzeit kaum etwas so intensiv debattiert wie die Beziehungen mit Deutschland. Man habe den Eindruck, dass der Krieg noch nicht vorbei ist, schreibt Aleksandra Pawlicka zum Jahrestag des Ausbruchs des Zweiten Weltkriegs. "Die Steinchen, die zur aktuellen Lawine geführt haben, haben die Rechten schon vor einigen Jahren geworfen, aber seit sie an der Macht sind, ist es nur schlimmer geworden. Indem man sich vom Nachbar isoliert und seine Initiativen zur Verbesserung der Situation ignoriert, wird Polen zur europäischen Peripherie. Ausländische Diplomaten geben zu, dass das Land immer mehr wie eine persona non grata behandelt wird: jemand der die Spielregeln nicht kennt und lediglich toleriert wird."
Archiv: Przekroj

Nouvel Observateur (Frankreich), 31.08.2006

Dass das Schriftstellerleben ein mühseliges Geschäft ist, hat einmal mehr der französische Soziologe Bernard Lahire in seiner empirischen Untersuchung "La Condition litteraire" ermittelt. Über 500 französische Autoren und Autorinnen hat er zu ihrer ökonomischen Situation und ihren Lebensverhältnissen befragt und bereitwillig Auskünfte erhalten. Das erste Bild, das sich daraus für Bernard Genies ergibt, ist wohl das "einer gewaltigen Frustration. Weil der moderne Schriftsteller gar nicht existiert. Oder besser gesagt: Um existieren zu können, muss er etwas anderes sein." Lahire zitiert Paul Fournel, der die Situation so zusammenfasst: "Kein Mensch fragt einen Filmemacher: Und wovon lebst du? Aber bei einem Schriftsteller ist es die erste Frage, die man ihm stellt... Ich habe sie schon tausendmal gehört." Viele müssen für ihren Lebensunterhalt deshalb in "Nebenberufen" wie Lehrer, Journalist oder Übersetzer arbeiten, denn die Einkünfte aus Buchverkäufen sind mehr als mau: "So haben 2003 44 Prozent der Befragten gar nichts erhalten, 9,3 Prozent weniger als 200 Euro, 6,6 Prozent weniger als 5.000 Euro und nur 9,3 haben die Marge von 10.000 Euro erreicht."

Espresso (Italien), 01.09.2006

Andrzej Stasiuk schickt Impressionen aus den heimatlichen Beskiden, einer idyllischen Gegend, in der man stundelang spazieren gehen kann, ohne einem lebenden Wesen zu begegnen. "Tote Landstriche, begrabene Bewohner, gefallene Soldaten von nicht mehr existierenden Armeen - alles im Laufe eines halbstündigen Spaziergangs. Zur gleichen Zeit die Wüste der Berge, das Grün, die Dürre, die Stille und die Greifvögel, die regungslos in der Hitze über den Hügeln schweben. Die Welt erscheint als enormer stiller Friedhof, gänzlich befreit von der Bedrohung des Todes. Unter den Füßen erscheinen die Straßen der Geschichte, die Ruinen und die Knochen. Es ist gut möglich, dass es sich um eine Eigenart dieser Gegend handelt, die bizarre Kreuzung zwischen einem Orient, der mit dem Tod vertraut ist, und einem Okzident, der sich zwingt, daran nicht zu glauben."

In seiner Bustina di Minerva berichtet Umberto Eco von seinen verwirrenden Fernseherfahrungen im August.
Archiv: Espresso

Elet es Irodalom (Ungarn), 01.09.2006

In den vergangenen Wochen sind die Tagebücher zweier Budapester erschienen, die ihre Erlebnisse von 1956 als 12- beziehungsweise 13-Jährige niedergeschrieben haben. Der Kulturwissenschaftler Peter György meint zu den Aufzeichnungen von Tamas Csics und Janos Kovacs: "Da das diesjährige Jubiläum bislang nur leere Riten verspricht beziehungsweise noch mit reichlich vielen ästhetischen Grausamkeiten droht, sind diese Tagebücher unerwartete Quellen der Freude und ein Grund zur Hoffnung... Diese beiden unerwarteten Texte stellen dem Leser jene Welt vor, die heute verschwunden ist hinter dem von den Hysterien des politischen Bewusstseins determinierten historischen Gedächtnis. Die Ereignisse des Alltags sind hier nachzulesen und rekonstruierbar, die Haltung der 'Durchschnittsungarn', die Distanz und die Vorsicht. Und die kurzlebige Hoffnung, dass der Kommunismus jetzt tatsächlich zu Ende geht."

Auf die Frage, ob in letzter Zeit tatsächlich weniger zeitgenössische Musik gespielt wird, ob sie sich in einem 'Ghetto' befindet, und ob unsere Zeit das Zeitalter der 'wissenschaftlichen' Dirigenten ist, antwortet der Dirigent Sir John Eliot Gardiner im Interview: "Vor zwanzig, dreißig Jahren befand sich die Barockmusik im Ghetto: Die Leute haben sich die Werke des Barock in fürchterlichen Interpretationen anhören müssen. Alles wurde auf gleiche Weise gespielt, Bach, Mozart, Schubert oder Brahms, es gab nur eine Klangwelt. Das historisch ausgerichtete Musizieren gab dem Ganzen einen bedeutenden Schwung, es veränderte den Stil der Konzerte, eröffnete reiche Quellen der Musik, von denen die Menschen bis dahin gar nichts wussten. Möglicherweise ist das eine Art neuer zeitgenössischer Musik. Die vor zwei-, dreihundert Jahren geschriebenen Werke sind für uns in der neuartigen Interpretation neu und lassen vieles entdecken."

NRC Handelsblad (Niederlande), 31.08.2006

Neu-Holländer werden ab sofort zum Einbürgerungsritual nach US-Vorbild gebeten. Der Publizist Paul Scheffer findet die Idee grundsätzlich gut, wagt allerdings ein paar "lästige Fragen". Denn: "Wie soll so eine Zeremonie aussehen? Mit jeder Auswahl sagen wir etwas über uns selbst aus. Finden wir es zum Beispiel wichtig, dass die Nationalhymne gesungen werden muss? In Amsterdam soll das so passieren - unter Anleitung durch einen echten Bariton und mit Bildschirmen, auf denen man den Text nachsingen kann. Eine Art patriotisches Karaoke."

Rob Wijnberg schimpft über die Flut neuer Modefächer an niederländischen Universitäten. Mit "schillernden Namen" sollen die Studenten geködert werden: "'Game Architecture and Design' in Breda, 'Technische Medizin' in Enschede, 'Musicology Research' in Utrecht: Insgesamt starten 98 neue Studienfächer im kommenden Semester an den Hochschulen, zusätzlich zu den 4.500 bereits existierenden. Ist das nicht ein bisschen viel? Zudem werden oft bestehende Studienfächer einfach in ein neues Gewand gesteckt, während die Inhalte praktisch gleich bleiben, wie bei 'international business administration'."
Archiv: NRC Handelsblad

Nepszabadsag (Ungarn), 04.09.2006

Im September erscheint das Buch des in Washington lehrenden Historikers Charles Gati über die ungarische Revolution 1956, "Failed Illusions". Sein Kollege John Lukacs ist begeistert: "Das Wichtigste in Gatis Werk ist, was er über die Ungarn-Politik der USA im Jahre 1956 schreibt. Die Weltpolitik der Eisenhower-Dulles-Administration wollte - trotz ihres lautstarken Antikommunismus - an der Zweiteilung Europas überhaupt nichts ändern. Im Gegenteil - und dafür gibt es indirekte Beweise, auch in diesem Buch - die brutale russische Revanche im November 1956 hat Eisenhower und Dulles, um es mal so auszudrücken, ziemlich gut gepasst. Denn hätte es im Oktober 1956 irgendeinen Ausweg gegeben, wäre dieser nur auf politischer, das heißt auf geographischer Ebene, möglich gewesen: Hätte sich Moskau aus Ungarn zurückgezogen, hätten auch die USA ein Land in West- oder Südeuropa aus ihrer Allianz entlassen müssen. Dies aber war für die Eisenhower-Administration inakzeptabel. Daher ist alles, was sie im Oktober 1956 und danach deklarierten, nicht nur unwahr, sondern auch scheinheilig: sie wussten genau, was passiert und wie man davon politisch profitieren kann."
Archiv: Nepszabadsag

Gazeta Wyborcza (Polen), 04.09.2006

Der Politologe Aleksander Smolar versucht sich zu erklären, warum radikale Strömungen in Polen derzeit so erfolgreich sind, und findet die Antwort in der Zeit der Transformation: "Damals haben sie die Auseinandersetzung um die Gestalt der Veränderungen in Polen verloren. Nicht wegen einer bewussten Marginalisierung durch die Gemäßigten in der Post-Solidarnosc-Bewegung und die Postkommunisten, wie sie heute gerne behaupten. Der Grund war, dass ihre Strategien und Losungen von damals nicht in die Wirklichkeit passten. Es fehlte an sozialer Unterstützung: die Gesellschaft wollte Ruhe, keine Konflikte, Aufrechnungen, Scharmützel. Man hatte genug Problem mit dem eigenen Alltag." Die konkreten wirtschaftlichen Probleme und das Streben nach geopolitischer Sicherheit erledigten die Anderen. Als das sicher gestellt war, konnte das Comeback beginnen.

Außerdem in der Wochenendausgabe der Wyborcza: ein Vorabdruck aus dem neuesten Buch von Nobelpreisträger Amos Oz und die druckfrische Liste der Nominierungen für den "Nike"-Preis, eine der höchst dotierten Literaturauszeichnungen Europas. Unter den Nominierten sind auch die Youngsters Dorota Maslowska und Michal Witkowski.
Archiv: Gazeta Wyborcza
Stichwörter: Oz, Amos, Solidarnosc, Nike

New York Times (USA), 03.09.2006

Im Magazin der New York Times bezweifelt Ann Hulbert, dass "private Diplomatie" für Amerikaner im Ausland ein probates Mittel ist, um das angeschlagene Image der USA aufzupolieren. Vom betont bescheidenen Auftreten nicht-arroganter, nicht-hässlicher Amerikaner hält sie wenig: "Vor lauter Selbstbeherrschung könnte uns entgehen, wie verwirrend eines anderen Landes eigene Mischung aus Unverschämtheit und glühendem Glauben, aus Offenheit und Missachtung, aus Rückständigkeit und Fortschrittlichkeit und internen Differenzen sein kann. Anzunehmen, wir seien der Hauptgrund für die Identitätskrisen anderer, ist genauso narzisstisch, wie zu glauben, wir allein hätten die Lösungen. Die schmerzhafte und befreiende Wahrheit ist: So wichtig sind wir gar nicht."

Außerdem: Lynn Hirschberg porträtiert die talentierte Charakterdarstellerin Vera Farmiga, für die Hollywood erst noch ein paar anspruchsvolle Rollen schreiben muss. James Traub denkt über Chinas neues Selbstbewusstsein auf dem UN-Parkett nach. Und im Interview mit Deborah Solomon spricht die Frauenrechtlerin Gloria Steinem über ihr neues Projekt eines "all-female" Talkradios mit Jane Fonda.

Zum fünften Jahrestag von 9/11 bespricht die New York Times Book Review Bücher, die sich dem Schrecken auf subtile Weise nähern. So beschreibt Garrison Keillor "Watching the World Change", David Friends Buch über die Geschichten hinter den Fotos, die wir alle kennen, als wichtigen Beitrag zur Wahrheitsfindung: "Fotos können die Fehler der Geheimdienste oder der Stadt New York bei der Koordination der Einsatzkräfte oder bei der Konstruktion des WTC nicht beschreiben. Wenn die Bilder allgemeingültig werden, braucht es Worte, um die Wirklichkeit zu sehen." Hier ein Audiointerview mit dem Autor.

Jonathan Mahler ist da anderer Meinung. Beim Durchsehen des Bildbands "Aftermath" (Leseprobe) von Joel Meyerowitz, der die Aufräumarbeiten auf Ground Zero mit einer antiken Großformatkamera dokumentiert hat, überlässt er sich der Suggestion der Bilder: "Man sieht diese Leute den Schmerz der ganzen Nation schultern, während sie die Trümmer wegschaffen. Der Effekt ist dennoch erhebend. Sie erobern den Ort zurück und geben ihm eine Zukunft."

Weitere Artikel: Gary Giddins gefällt an Simon Callows Biografie über Orson Welles, dass sie das Genie nicht fallen lässt. Und Richard Brookhiser staunt über die geistreichen Randbemerkungen, die der zweite Präsident der Vereinigten Staaten, John Adams, in den 3700 Büchern seiner Bibliothek hinterlassen hat.
Archiv: New York Times

Weltwoche (Schweiz), 31.08.2006

In einer äußerst unterhaltsamen Plauderei mit Piers Morgan überrascht Paris Hilton mit dem Bekenntnis: "Ich bin sehr, sehr schüchtern... Die Leute wissen ja gar nicht, wer ich bin. Kann sein, dass alle denken, ich bin bloß eine verzogene Göre, die nichts zu tun hat. Dabei bin ich in Wahrheit ein sehr bescheidener Mensch und arbeite hart. Die Leute sagen, ich liege auf der faulen Haut, dabei bin ich ständig rund um die Welt unterwegs und stehe jeden Morgen um 7 Uhr auf. Ich hatte seit langem keinen Urlaub mehr." Und Sex? - "Gefällt mir nicht."

Außerdem spricht David Signer mit dem Psychoanalytiker Paul Parin. Urs Paul Engeler verfolgt Hinweise, nach denen die Schweizer Armee mit der Hilfe der USA eine Geheimtruppe für Auslandseinsätze aufbaut. Daniela Niederberger widmet sich dem Erziehungsnotstand in Schweizer Schulen und arrivierten Familien ("Und vergessen Sie nicht, mein Kind muss gar nichts!"). Julian Schütt preist Walter Muschgs "Tragische Literaturgeschichte". Denn "mehr Wahrheit über Dichtung enthält kein Schweizer Buch".
Archiv: Weltwoche