Donatien Alphonse Francois Marquis de Sade

Justine und Juliette, Band 10

Cover: Justine und Juliette, Band 10
Matthes und Seitz, München 2002
ISBN 9783882218350
Gebunden, 350 Seiten, 39,00 EUR

Klappentext

Herausgegeben und aus dem Französischen übersetzt von Stefan Zweifel und Michael Pfister. Mit Beiträgen von Pierre Klossowski, Georges Bataille, Daniel Binswanger und den Herausgebern. Bildtafeln von Chantal Wicki. In Justine und Juliette treibt Sade seine atheistisch-materialistische Philosophie auf die Spitze und vervollkommnet sein Weltverständnis, das auf kosmologischer Ebene die ewige Bewegung der Materie, auf der politischen die permanente Revolution der Gesellschaft und in individuell-moralischer Hinsicht die treibende Kraft der menschlichen Triebe zum Zentrum hat.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 03.07.2003

Richard Herzinger will wissen, was es heute noch bringt, Sade zu entdecken und hat den "Lesetest" mit dem zehnten und letzten Band der ersten ungekürzten deutschen Fassung von "Justine und Juliette" gemacht. Der Rezensent berichtet, dass die Herausgeber zu beweisen versuchen, dass Sade ein "subversiver Schöpfer polymorpher Imagination" und kein pathologischer Fall war. "Soviel bedeutungsschwere Interpretation" droht allerdings, den Text wieder ins Reich der "gelehrten Abstraktionen" zu verdammen, findet unser Rezensent. So bleibt es an ihm hängen, den Leser vor der "Zumutung", die die Lektüre von Sades Werk bedeutet, zu warnen. Die "Litanei des Schreckens" aus sexuellen Perversionen, Mord- und Folterszenen ist für Herzinger "schlicht unerträglich und bleibt es". Allerdings fügt er hinzu, dass sich die Szenen oft ins "Grotesk-Fantastische, auch ins Unfreiwillig-Komische" hineinsteigern. Der Redundanz des imaginativen Materials stehen die philosophischen Passagen in keiner Weise nach, findet Herzinger. Immer liefen sie darauf hinaus, die Überlegenheit des ungehemmten, grundlosen Verbrechens über die Illusion der Moral zu beweisen. Damit treibe Sade den "Materialismus und den Religionshass der Aufklärer des 18. Jahrhunderts auf die bizarre Spitze", meint Herzinger. Er resümiert mit Verweis auf die von den Massenmedien kolportierten Monstrositäten, dass wir Sade heute eigentlich nicht mehr brauchen, um von der "Fähigkeit des Menschen zur grenzenlosen Grausamkeit" zu erfahren. Allerdings habe der 11. September gezeigt, dass die Öffentlichkeit doch nicht so abgebrüht sei, wie sie zu sein glaubt. So verfehle auch de Sades "Eintönigkeit", so Herzinger, "nicht ihre tückische Wirkung": "Der Leser, der sich auf die Dauerberieselung mit grausamen Bildern eingelassen hat, wird sich beunruhigt fragen müssen, ob nicht auch in ihm tief verborgene, verbotene Affekte schlummern".

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18.02.2003

Konträr zu vielen Lesarten des 20. Jahrhunderts beschreibt Dietmar Dath den Marquis de Sade als "Sexualisierer des Schreibens" und nicht als "Denker des Sexuellen". Auch hierin liege die Unterscheidung zu zeitgenössischen Autoren des Pornografischen, angefangen von Michel Houellebeque, Lucius Shapard über Catherine Millet zu Paul DiFilippo, die je nach persönlicher Vorliebe und mehr oder weniger gelungener Emanzipation, sei es mit Hass, Kaltschnäuzigkeit oder völliger Asozialität "ihre Meinungen über die conditio humana einwickeln wie übelriechenden Fisch in Zeitungspapier". Im jetzt auf Deutsch vorliegenden Schlussteil des de Sade'schen Hauptwerkes "Justine und Juliette" sei - versteckt unter vielen anderen Stellen und Textorgien - Adornos zentraler Gedanke der "Dialektik der Aufklärung" schon vorweggenommen, nämlich verdichtet im de Sade'schen Satz: "Die Grausamkeit selber stellt lediglich die Verästelung der Feinfühligkeit dar, sage ich, und je stärker unsere Seelen von dieser letzteren durchdrungen sind, um so schlimmere Gemetzel verüben wir."

Der von Stefan Zweifel und Michael Pfister herausgegebene, akribische und ansprechend aufgemachte Begleitband zu "Justine und Juliette" mit dem Titel "Pornosophie & Imachination - Sade, La Mettrie, Hegel" enthält, so der Rezensent, "unzählige interessante Echos und Korrespondenzen" des hochbürgerlichen Denkens, führe aber genau mit dieser akademischen Methode in die Sackgasse. Denn ein Werk des Denkens seien die "Textorgien" de Sades nicht, und ihnen hinterher zu denken, wie dies im "wahnsinnigen 20. Jahrhundert" viele versucht hätten (z.B. Pasolini) führe zwangsläufig in die Irre. De Sades Ausleuchtungen des Menschen als Sexualwesen, erstmals losgelöst vom Biologischen, könne man eher in den Horrormeldungen der Boulevardblätter (wenn man das Moralin weglässt) aufscheinen sehen, oder bei einem Abend im Internet, als bei belesenster Erleuchtung.
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Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 09.11.2002

Der mit "upj" zeichnende Rezensent ist begeistert, sowohl von de Sade als auch vom zehnten und letzten Band der neuen Sade-Übersetzungen. Zwölf Jahre liegen zwischen erstem und letztem Band, 2.500 Seiten sind zusammengekommen. In der kurzen Rezension lässt "upj" vor allem den frisch übersetzten Marquis selbst sprechen und frohlockt zum Schluss: "Nun stehen sie da, zehn stattliche Bände, und jeder deutsche Leser, der bei Sade noch immer nur an Unflat denkt, sollte buchstäblich nochmals über die Bücher gehen."