Dmitrij Kapitelman

Eine Formalie in Kiew

Cover: Eine Formalie in Kiew
Hanser Berlin, Berlin 2021
ISBN 9783446269378
Gebunden, 176 Seiten, 20,00 EUR

Klappentext

Dmitrij Kapitelman kann besser sächseln als die Beamtin, bei der er den deutschen Pass beantragt. Nach 25 Jahren als Landsmann, dem Großteil seines Lebens. Aber der Bürokratie ist keine Formalie zu klein, wenn es um Einwanderer geht. Frau Kunze verlangt eine Apostille aus Kiew. Also reist er in seine Geburtsstadt, mit der ihn nichts mehr verbindet, außer Kindheitserinnerungen. Schön sind diese Erinnerungen, warten doch darin liebende, unfehlbare Eltern. Und schwer, denn gegenwärtig ist die Familie zerstritten.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 06.03.2021

Rezensentin Sonja Zekri erfährt bei Dmitrij Kapitelman, dass die Grenzen zwischen den Zugehörigkeiten fließend sind. Was Kapitelman als Sohn ukrainischer Einwanderer in Deutschland erlebt und was als ukrainischstämmiger Deutscher zurück in Kiew, liest sie mit Lust und Gewinn. Dazu tragen Kapitelmans Wortschöpfungen bei ("übersprunghandeln") und seine Auseinandersetzungen mit den Eltern und den bestechlichen Kiewer Behörden. Wie kulturelle Traditionen die Realität von Migranten ausdauernd prägen, lernt Zekri bei Kapitelman auf anekdotische Weise.
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Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 22.02.2021

"Ein Feuerwerk" der Sprache und der Ironie nennt Rezensent Fokke Joel Dmitrij Kapitelmans autobiografischen Roman, von dem er sich zunächst gut unterhalten, dann leicht genervt und schließlich ernsthaft berührt fühlt. Die Erzählung beginnt mit Kapitelmans Entscheidung, nach 25 Jahren in Deutschland die deutsche Staatsbürgerschaft zu beantragen. Warum gerade jetzt, fragt sich der Leser. Und Kapitelmann erklärt: Lange wollte er seinen zur Verklärung neigenden Eltern beweisen, dass er zu ihnen gehört. Als diese jedoch immer wunderlicher werden und beginnen, Putin zu glorifizieren, distanziert er sich -und beantragt die deutsche Staatsbürgerschaft. Allerdings fehlt ihm für den Antrag noch eine beglaubigte Kopie seiner Geburtsurkunde, weswegen er nach Kiew reisen muss, erklärt Joel. Von der Reise und seinen zwiespältigen Gefühlen gegenüber den Eltern erzählt der Autor eindrücklich und mit sehr viel Witz und Ironie - so viel Witz und Ironie, dass der Rezensent es irgendwann über hat. Sobald jedoch Kapitelmans kranker Vater für eine dringend notwendige Behandlung ebenfalls nach Kiew kommt, wandelt sich der Erzählton plötzlich. Alle Ironie fällt ab und übrig bleibt Wahrhaftigkeit, was den Rezensenten für den "überdrehten Witz" entschädigt.

Rezensionsnotiz zu Die Welt, 30.01.2021

Nach dieser Lektüre bescheinigt Rezensent Marc Reichwein Dmitrij Kapitelman den Witz eines Saša Stanišić, die Zärtlichkeit eines Joseph Roth und die ethnografische Genauigkeit einer Emilia Smechowski. Der Roman über Dima, der nach 25 Jahren in Leipzig endlich eine letzte Formalie in Kiew erledigen will, um den deutschen Pass ausgestellt zu bekommen, zeigt in Reichweins Augen, dass Migration nie aufhört. Sowohl die Erkundung der eigenen Identität, zu der die Hauptfigur durch die Kiew-Reise angeregt wird, als auch die liebevollen, skurrilen Nebenfiguren haben den Kritiker verzaubert - "eine kleine comédie humaine in Kiew", lobt der Kritiker.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27.01.2021

Rezensent Andreas Platthaus hat sichtlich Freude am zweiten Buch von Dmitrij Kapitelman. Diesmal geht es nicht nach Israel, wie im ersten Buch, erläutert Platthaus, sondern von Leipzig nach Kiew, in die alte Heimat des autobiografischen Ich-Erzählers, der dort Behördengänge zu erledigen hat und mit seiner Kindheit und ukrainischen Gebräuchen konfrontiert wird. Wie der Autor die sprachphänomenologischen Details des Sächsischen wie des Ukrainischen anbringt, macht Platthaus Spaß, so sehr, dass ihn die vielen Klischees im Buch gar nicht stören. Im Gegenteil, das Buch hält er für einen unterhaltsamen Beitrag zur Völkerverständigung.
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Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 22.01.2021

Rezensent Paul Jandl findet Dmitrij Kapitelmans autobiografische Amtssatire mit den Austragungsorten Leipzig und Kiew nicht allzu gewagt. Wie es in den Behörden Sachsens und der Ukraine zugeht, kann Jandl sich vorstellen, und genauso beschreibt es der Autor auch, meint er. Wie es den Helden im Buch aufgrund eines Amtsvorgangs zurück in die ukrainische Geburtsheimat verschlägt, wie er in die eigene Kindheit eintaucht, Verwandte trifft, den gesellschaftlichen Stillstand begutachtet, all das scheint Jandl doch sehr vorhersehbar. Stilistisch stört ihn mitunter die Unentschlossenheit zwischen Erlebtem und Satire.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk Kultur, 21.01.2021

Spätestens seit "Das Lächeln meines Vaters" ist Rezensentin Sigrid Brinkmann Fan des in Kiew geborenen, deutschsprachigen Schriftstellers Dimitrij Kapitelman. Die scharfe Beobachtungsgabe und das "Gespür für Pointen" machen auch den zweiten Roman Kapitelmans aus, freut sich die Kritikerin, die hier einem jungen, in Deutschland aufgewachsenen Ich-Erzähler in die Ukraine folgt, wo jener zunächst nur seine Geburtsurkunde beglaubigen lassen will und schließlich den zunehmend dementen Vater durch Kiew begleitet. Wenn der Erzähler auf die Kindheit in Kiew, die Eltern und deren Gefühl, nie in Deutschland heimisch geworden zu sein, zurückblickt, staunt Brinkmann, dass der Autor nie in den "Kitsch" abgleitet. Stattdessen bietet ihr dieser, wie sie findet exzellente Roman, Leichtigkeit und viel "Wortschöpfungslust".