Klaus-Michael Bogdal

Europa erfindet die Zigeuner

Eine Geschichte von Faszination und Verachtung
Cover: Europa erfindet die Zigeuner
Suhrkamp Verlag, Berlin 2011
ISBN 9783518422632
Gebunden, 592 Seiten, 24,90 EUR

Klappentext

Geborene Diebe und Lügner, Gefährten des Satans, Waldmenschen, unzähmbare Wilde, eine Bande von Asozialen Dies sind nur einige der Zuschreibungen, mit denen die Romvölker Europas in den letzten 600 Jahren ausgegrenzt wurden. Wie es möglich wurde, daß jahrhundertealter Hass in einem Spannungsverhältnis von Faszination und Verachtung sich bis heute halten konnte, zeigt in seinem Buch nun Klaus-Michael Bogdal zum ersten Mal im europäischen Vergleich. Der Autor weist nach, wie die Europäer zum verachteten Volk am unteren Ende der Gesellschaftsskala stets die größtmögliche Distanz suchten. Keine der unterschiedlichen Gesellschafts- und Machtordnungen, in denen sie lebten, ließ und lässt eine endgültige Ankunft in Europa zu. Ohne einen schützenden Ort sind sie seit ihrer Einwanderung vor 600 Jahren ständigen Verfolgungen und Ausgrenzungen ausgesetzt: in den Imaginationen der Kunst und in der politischen Realität.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 09.02.2012

Der Bielefelder Literaturwissenschaftler Klaus-Michael Bogdal hat mit diesem buch keine Geschichte der Zigeuner vorgelegt, baut Rezensent Rolf-Bernhard Essig falschen Erwartungen vor, sondern eine Studie über unsere Zuschreibungen, die bereits im 15. Jahrhundert, als die Roma aus Indien nach Europa einwanderten, unangenehm zu werden begannen. Wobei die negative Klischees (sie haben der Heiligen Familie auf der Flucht nach Ägypten die Unterkunft verwehrt, Christi Kreuznägel geschmiedet, etc.) durchaus mit erotischen Fantasien (Carmen) einhergehen konnten. Einige von Bogdals Theorien findet Essig übertrieben, aber er ist doch entsetzt, wie hochmütig und gehässig diese Gruppe über Jahrhundert behandelt wurde. Und selbst 1956 bewertete der BGH ihre Verfolgung durch den Nationalsozialismus als "sicherheitspolitische und kriminalpräventive" Maßnahme gegenüber "primitiven Urmenschen", wie Essig zu unserer aller Beschämung zitiert.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26.11.2011

Ganz kann der Autor es wohl nicht vermeiden, selbst in die Falle der Klischeebilder vom Zigeuner zu tappen. Dennoch findet Uwe Ebbinghaus genug Erhellendes in dieser Studie, um dem Autor Lob auszusprechen. Der tastenden, differenzierten Vorgehensweise des Autors verdankt Ebbinghaus einen Einblick in die Geschichte der Romvölker in Europa und ihre Marginalisierung und Verfolgung. Auch ohne dass der Autor ihre Herkunft näher beleuchtet, gelingen ihm laut Rezensent quellennahe Erklärungen ihrer Verachtung und auch Bewunderung. Dabei erweist sich für Ebbinghaus zwar die Fiktionalität der zugrunde liegenden Mechanismen, was jedoch nicht verhindern kann, dass dem Rezensenten das Blut gefriert angesichts der im Buch geschilderten antiziganistischen Fakten.
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Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 22.11.2011

Cia Rinne, die 2007 selbst ein Buch über die Roma veröffentlicht hat, hält Klaus-Michael Bogdals Studie zur Entstehung der 'Zigeuner'-Stereotypen in einer Zeit, in der ihrer Beobachtung zufolge der Antiziganismus auflebt, geradezu für unerlässlich. Bogdal kann eindrücklich zeigen, wie die Roma seit ihrem Auftauchen in Europa ausgegrenzt und als das Fremde schlechthin abgelehnt wurden, so die Rezensentin. Sie sieht sich in diesem Buch nur allzu oft an die Gegenwart erinnert, und für sie lässt sich der Übergang vom Spätmittelalter in die Neuzeit mit der Erstarkung nationaler Ideen gut mit der gegenwärtigen Situation der EU-Erweiterung vergleichen. Der Autor zeichnet zudem nach, wie das Bild von den 'Zigeunern' buchstäblich "erdichtet" wurde und sich dann "tief im europäischen Bewusstsein" verankerte, erklärt Rinne. Sie wünscht sich dieses Buch jedenfalls in den Geschichtsunterricht und auf den Politikerschreibtisch, denn das Verständnis für die Geschichte des Antiziganismus hält sie auch und gerade heute für dringend notwendig, um Vorurteilen und Ausgrenzung entgegenzuwirken.