Efeu - Die Kulturrundschau

Text, Text, Text

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05.04.2014. Die SZ quittiert Aalborgs Musikhaus mit einem kräftigen "Høj, Høj, Høj!". In der NZZ erstellt Uli Sigg eine Typologie der Kunstsammler. Auf ein geteiltes Echo stößt Alex Rigola mit seiner Bühnenversion von Roberto Bolaños Monumentalroman "2666". Der Standard zelebriert dagegen die filmischen Mysterienspiele des Alejandro Jodorowsky. Sibylle Lewitscharoffs Literaturreligion kann die taz dagegen weniger abgewinnen.
9punkt - Die Debattenrundschau vom 05.04.2014 finden Sie hier

Kunst

Der Schweizer Sammler und Unternehmer Uli Sigg macht sich in der NZZ an eine Typologie des Sammelns, die zwischen dem heiteren "Ich-mag-Kunst"-Stil, dem ehrgeizigen Status-Sammeln oder dem kalkulierten Investment unterscheidet. Er selbst neigt wahrscheinlich dem vernetzenden Sammlertypus zu: "Wenn ein Fokus einmal gewählt ist, mit Sammlungsobjekten derart ein Netz zu weben, dass es diesen Fokus in einer hohen Dichte illustriert, wo ein jedes Werk Licht auf die zentrale Idee wirft, sie weiter erklärt und neue Räume dazu öffnet. Dann vermögen die Werke sich gegenseitig in einer Weise aufzuladen, die in einem andern Kontext verwehrt bliebe. Und, ganz wichtig, es geht dabei nicht etwa darum, 'Meisterwerke' wie Perlen auf einer Kette aufzureihen: Diese Zuschreibungen kommen und gehen in der zeitgenössischen Kunst - es gibt nichts Veralteteres als etwa einen Auktionskatalog, der vor fünfzehn Jahren datiert."

In der SZ begeht Till Briegleb das neue von Coop Himmelb(l)au errichtete Musikzentrum im dänischen Aalborg, in dessen Witz sich die Bewohner völlig vernarrt haben: "Sie tun das immer wieder aufrichtig kund, indem sie gemeinsam aufstehen und in Richtung Wolf Prix 'Høj, Høj, Høj!' rufen. Irgendwie skurril. Und komisch."

Die Elbphilharmonie wird dagegen erst 2017 fertig, dafür zehn Mal so teuer. Dieter Bartetzko kommentiert in der FAZ den Abschlussbericht, sieht dabei aber weniger den früheren Bürgermeister Ole von Beust in der Schuld, als ein Gestrüpp von Vorschriften und schlechten Verträgen: Längst pfeifen es die Spatzen von den Dächern, dass Großprojekte, bei denen Kommunen, Länder oder der Bund als Bauherren agieren, Baukonzernen als sichere Bank, will sagen als Chance für enorme Gewinne gelten, und dass selbst Star-Architekten mit Star-Honoraren nicht durchweg gefeit sind gegen die Versuchung von Zugewinn durch teure Planänderungen."

Im vorigen Jahr wurde die japanische Küche zum Unesco-Weltkulturerbe erklärt, prompt landet sie im Museum. Philipp Meier erfährt in der Ausstellung "Kome - The Art of Rice" im 21-Design-Sight-Museum von Tokio auch warum, wie er in der NZZ schreibt: "Die auf Reis und Misosuppe gründende Kost gilt insbesondere bei der jüngeren Generation als von gestern."

Besprochen werden die Andreas-Schlüter-Ausstellung im Berliner Bode-Museum (Tagesspiegel) und die Schau "lens-based sculpture" in der Berliner Akademie der Künste (NZZ).
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Bühne

Alex Rigolas Bühnenadaption von Roberto Bolaños umfangreichem Roman "2666" an der Berliner Schaubühne ist schon wegen der zu bewältigenden Textmasse ein ambitioniertes Unterfangen. In der Berliner Zeitung sieht Ulrich Seidler gerade darin die Schwäche des Stücks, das lediglich "eine Art von Trailer zum Roman" sei: "Rein quantitativ gibt es vom Text vielleicht ein Zehntel zu hören, die Handlung aber will der Abend weitgehend nachvollziehbar und vollständig transportieren. Das heißt, es wird geredet. Viereinhalb Stunden mit zwei Pausen. Es wird geredet in verschiedenen Kostümen, in verschiedenen Räumen und Dekorationen, in verschiedenen Intensitätsgraden, mal dialogisch, meist episch: Text, Text, Text."

Dass sich Rigola an der Sprache orientiert, hält Irene Bazinger von der FAZ unterdessen gerade für eine Stärke des Abends: "Je schwerer die Personen des Originals und ihr Schicksal zu fassen sind, desto deutlicher und schnörkelloser muss es artikuliert werden: Mit dieser knappen, aber effektiven Formel gelingt es Rigola, die Vorlage kunstvoll abstrakt zu veranschaulichen, anstatt sie illustrierend plattzumachen. Das Ensemble trägt die asketische Konzeption mit souveräner Konsequenz."

Weiteres: In der Berliner Zeitung porträtiert Kerstin Krupp Barrie Kosky, den für den International Opera Award nominierten Intendant der Komischen Oper in Berlin. Außerdem besucht Kerstin Krupp die für Besucher nun zugänglich gemachte Baustelle in der Staatsoper.

Besprochen werden Barbara Freys Inszenierung von Carlo Goldonis "Diener zweier Herren" in Zürich ("eine Schlachtplatte des höheren Klamauks", meint Martin Halter in der FAZ, ein "ungebremstes Vergnügen an Theatralik" erkennt Barbara Villiger-Heilig in der NZZ, während Egbert Tholl in der SZ "Edel-Boulevard" attestiert), Christian Josts im Kraftwerk Mitte in Berlin aufgeführtes Musik- und Tanzstück "Lover" (Berliner Zeitung).
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Literatur

Vor der Veröffentlichung von Sibylle Lewitscharoffs neuen Romans "Killmousky", widmet sich taz-Literaturkritiker Dirk Knipphals nochmals der wegen ihrer kürzlich gehaltenen Dresdner Rede umstrittenen Autorin. In ihrem Werk macht er einen Hang zur Literaturreligion aus, in der die Literatur als Trägerin der Hoffnung auf Erlösung figuriert: "Dass Literatur es vermag, die Welt zu heilen (Erlösung); dass sie einen privilegierten Zugang zu einer transzendenten Wahrheit bietet (Offenbarung) - diese beiden Grundthesen der Kulturreligion hat Sibylle Lewitscharoff keineswegs für sich allein. In Schwundstufen oder auch in nur nachgeplapperter Form findet man sie auch immer wieder in manchen Literaturkritiken, etwa wenn es darum geht, schwierige Lyrik anzusingen oder Klassiker neu zu vermarkten. Nur scheint Sibylle Lewitscharoff das auch theologisch ernst zu meinen."

Außerdem: Fatma Aydemir führt in der taz ein Gespräch mit dem dänischen Lyriker Yahya Hassan, der sich trotz einiger Schroffheiten am Ende als untypisch redselig erweist (hier einige Leseproben aus Hassans lyrischem Werk). Im Tagesspiegel wirft Ute Friederich einen Blick auf das heute in Luzern beginnende Comicfestival Fumetto in Luzern. Und in der Welt bittet Andrea Seibel Tina Brown zu Tisch.

Besprochen werden unter anderem Michail Ryklins "Buch über Anna" (taz), Michael Chabons "Telegraph Avenue" (FAZ), Donna Tartts Roman "Der Distelfink" (taz), Valentin Groebners "Wissenschaftssprache digital. Die Zukunft von gestern" (Welt), zwei Bücher über die Dichter und den Ersten Weltkrieg (Welt), Romane von Jean Echenoz und Eric Vuillard über den Ersten Weltkrieg (Welt), eine Neuausgabe der "Letzten Tage der Menschheit" von Karl Kraus (Welt), zwei Bücher über den Ersten Weltkrieg und die Kunst (Welt), Katja Petrowskajas Roman "Vielleicht Esther" (NZZ) und Jean Echenoz' Weltkriegsroman "14" (NZZ).

In der Frankfurter Anthologie der FAZ stellt Jürgen Becker Werner Heldts Gedicht "Waldkonditorei" vor:

"Schwarze Kiefern starren einsam
In den kalten grauen Himmel;
Sandig schmutzig führt der Fahrweg
An den toten Reihen hin.
..."

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Musik

Vor zwanzig Jahren nahm sich Nirvana-Sänger Kurt Cobain das Leben: In der SZ wundert sich Jens-Christian Rabe darüber, wie wenig Cobain uns mit seinen Überzeugungen im heutigen Zeitalter permanenter Selbstdarstellung noch zu sagen hat. Für Jens Uthoff von der taz steht Cobain unterdessen für "das "Seattle-Modell": "Im Pop bedeutete es, sich gegen den Starkult um den meist weißen, männlichen, gut aussehenden Frontmann einer Rockband zu stellen. Und gesellschaftlich war es ein Stinkefinger gegen den alles beherrschenden Konsumismus, Karrierismus, Konformismus. ... Nach Nirvana jedenfalls kam erst mal nur Britpop - mit Oasis auch die Rückkehr zur Rockstar-Gestik - und die Love Parade." Und in der Welt kalauert Michael Pilz: "Unsterblichkeit ist auch keine Lösung."

Jan Tölva (Jungle World) informiert sich in Alexander Pehlemanns Buch "Go Ost!" über die Geschichte von Punk in Osteuropa. Besprochen werden Avey Tares als Hommage an die Slasherfilme der 70er Jahre konzipiertes Album "Enter the Slasherhouse" ("ein Lavastrom aus Geräuschen, Feedback und Stimmen", urteilt Julian Weber in der taz) und Kevin Drews neues Album "Darlings" (Zeit).

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Film

Im Standard freut sich Sven von Reden, dass die Filme des chilenischen Exzentrikers Alejandro Jodorowsky nun auf DVD zu sehen snd: "Jodorowskys Filme sind panreligiöse Mysterienspiele, popsurrealistische Extravaganzen, psychedelische Happenings, deren Verve selbst den gefestigtsten Rationalisten in die Knie zwingt. Der zur Marketing-Worthülse verkommene Begriff 'Kult' passt hier ausnahmsweise, denn wäre er nicht Regisseur geworden - und Comic-Autor und Tarot-Experte und viele andere Dinge mehr -, hätte er auch einen guten Sektenführer abgegeben."
Archiv: Film