Arno Lustiger

Rettungswiderstand

Über die Judenretter in Europa während der NS-Zeit
Cover: Rettungswiderstand
Wallstein Verlag, Göttingen 2011
ISBN 9783835309906
Gebunden, 462 Seiten, 29,90 EUR

Klappentext

Arno Lustiger schildert die Bemühungen, Juden im gesamten besetzten Europa das Leben zu retten, aus einer neuen Perspektive. So erweitert er die Kriterien dessen, was in der öffentlichen Wahrnehmung unter "Judenrettung" verstanden wird: Er schildert nicht nur die Aktionen derer, die als "Gerechte unter den Völkern" geehrt wurden, sondern auch die in Vergessenheit geratenen Rettungsversuche von Diplomaten, Juden, Geistlichen u.a. Auch unterscheidet er nicht zwischen erfolgreichen und missglückten Aktionen; eine Hierarchisierung der Retter findet ebenfalls nicht statt. Auf diese Weise bringt er auch die kleinen, alltäglichen Rettungsbemühungen von Einzelpersonen ebenso wie von Netzwerken ans Licht, die den Mord an den europäischen Juden nicht aufhalten konnten, die jedoch gleichwohl Widerstand gegen die Nazis bedeuteten. Vor diesem Hintergrund prägte Lustiger den Begriff "Rettungswiderstand".

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 24.11.2011

"Längst überfällig" nennt Ludger Heid dieses Buch des Frankfurter Historikers Arno Lustiger, der darin all den Menschen ein Denkmal setzt, die ihren jüdischen Nachbarn, Freunden und Kollegen geholfen haben, den Nazi-Häschern zu entkommen. Ganz einverstanden ist der Rezensent, dass Lustiger diesen Rettungswiderstand als das "kostbarste moralische Kapital", das die europäischen Gesellschaft nach dem Krieg besaßen (was ihnen bestimmt nicht immer klar war). Heid stellt klar, dass Lustiger angesichts der immensen Zahlen und einzelnen Schicksale, um die es hier geht, keine Vollständigkeit erreichen konnte. Auch sind seine Kriterien durchaus subjektiv und unterscheiden sich etwa von denen, die Jad Vashem bei der Ehrung seiner "Gerechten unter den Völkern" anlegt. Aber einer musste ja mal hierzulande anfangen, scheint Rezensent Heid sagen zu wollen und freut sich, endlich vom niederländischen Dorf Nieuwlande lesen können, in dem alle 117 Bewohner gemeinsam beschlossen haben, dass jedes Haus eine jüdische Familie verstecken solle. Keiner konnte den anderen verraten, alle Juden wurden gerettet, alle Christen wurden geehrt.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 12.10.2011

Es geht um die Bereitschaft, also nicht nur um die geglückte Rettung jüdischer Verfolgter im Dritten Reich. Das macht der Autor der Rezensentin klar. Was der Laienhistoriker Arno Lustiger aus eigener Erfahrung und aus bisher unerschlossenen, vor allem osteuropäischen Quellen rekonstruiert und knapp, mitunter sogar amüsant darstellt, hat Stefana Sabin tief beeindruckt. Erstens, weil sie anhand der Geschichten zu erkennen meint, wie einfach Rettungswiderstand sein konnte und wie viel Mut zugleich dazu gehörte. Zweitens, weil ihr die Helfer, die Kuriere gefälschter Papieren, die couragierten Unterschlupfbieter und Befehlsverweigerer auch ihr Gegenteil vor Augen führen: Die überwiegende Menge der Wegducker, Opportunisten, Denunzianten und ihr Fortwirken nach dem Krieg, dem noch viele der hier geehrten Widerständler zum Opfer fielen. Für Sabin bietet das Buch nicht weniger als eine Begriffserweiterung. Widerstand und "Judenrettung", meint sie, werden neu definiert.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 04.10.2011

Rezensent Rainer Blasius hat dieses Buch von Arno Lustiger sehr beeindruckt, aber er bleibt etwas auf Distanz. Lustiger möchte die Retter von Juden während des Nationalsozialismus, oft unbesungene Helden, deren Zahl er insgesamt auf 100.000 Menschen in Deutschland und im besetzten Europa schätzt, ins rechte Licht setzen. Von mehr als zweihundert Rettern erzählt Lustiger ausführlicher, und Blasius hat die Geschichten sehr bewegt nachgelesen. Dass Lustiger seine Quellen nicht immer genau angeben kann oder nicht die gleichen strengen Standards an eine heldenhafte Tat anlegt, wie die Jerusalemer Gedenkstätte Yad Vashem, stört Blasius nicht. Nicht ganz einverstanden scheint Blasius mit Lustigers generelleren Ausführungen zum deutschen Widerstand, den Lustiger dadurch in seiner Bedeutung relativiere, dass er - wie der 20. Juli - entweder zu spät kam, nicht in der Bevölkerung verankert war oder kaum Erfolgsergebnisse vorweisen konnte.
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Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 27.09.2011

Arno Lustiger gebührt das "Verdienst", mit seinem Buch über den "Rettungswiderstand" nicht nur einen treffenden Begriff geprägt zu haben, findet Klaus Hillenbrand. Er hat auch als erster in einer Studie die Rettung von Juden vor der Deportation und Vernichtung durch die Nazis in verschiedenen Ländern und von ganz unterschiedlichen Menschen gesammelt und so viele bis dahin nicht gewürdigte Heldentaten vor dem Vergessen bewahrt, lobt der Rezensent. Der Autor, selbst Überlebender von Auschwitz und Buchenwald, wie Hillenbrand mitteilt, stellt dabei ganz unterschiedliche Rettungsgeschichten vor, deren Protagonisten vom SS-Oberscharführer Erwin Dold bis zu vermeintlich unpolitischen Hausfrauen oder Prostituierten reichten, so der Rezensent gefesselt. Er ist zwar nicht wie Lustiger davon überzeugt, dass es immer altruistische Motive waren, die Menschen in den Rettungswiderstand trieben, und er hätte sich eine eingehendere Untersuchung für die "Rahmenbedingungen" der Rettungsbemühungen gewünscht. Zudem sind ihm mehrere sachliche Fehler ins Auge gesprungen, die er sich für spätere Auflagen korrigiert wünscht. Das entwertet für ihn dieses überaus verdienstvolle Buch nicht, lässt aber Raum für weitere Forschungen, wie er betont.