Heute in den Feuilletons

Verblüffendes Freispiel der Themen

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
20.04.2010. Irights.info stellt das Online-Spiel Cat Protect vor, mit dem der Börsenverein Kinder für das Urheberrecht sensibilieren möchte (und wer es bricht "wird für alle Ewigkeit als abschreckendes Beispiel gefangen sein"). The Big Picture bringt very big pictures des Eyjafjallajökull. In der FAZ verteidigt Werner Spies den allenthalben groß präsentierten Maler Neo Rauch gegen Neider und Zweifler. Die SZ sieht ihn vor allem als sehr deutschen Künstler.

Aus den Blogs, 20.04.2010

Ilja Braun stellt auf irights.info das Online-Spiel "Cat Protect" vor, mit dem der Börsenverein Kinder für die Idee des Urheberrechts sensibiliseren will: "Das Spiel endet damit, dass Daark in einem Marmeladenglas gefangen wird. 'Wenn du das Glas auf das Bild schiebst, wird Daark dort für alle Ewigkeit als abschreckendes Beispiel gefangen sein. Das soll allen eine Lehre sein, die unerlaubt Kopien machen!'"

TechCrunch hat's exklusiv: "Steve Jobs Reiterates: 'Folks who want porn can buy an Android phone'."

Ebenfalls eine Techcrunch-Meldung. Die deutsche Constantin Film hat sämtliche auf Eichingers Film "Der Untergang" basierende Hitler-Parodien bei Youtube sperren lassen, äh, naja, nicht ganz sämtliche: TechCrunch hat noch fünfzig gefunden.

Weitere Medien, 20.04.2010

Vier Tage nach dieser Strecke bringt The Big Picture eine weitere, nicht minder atemberaubende mit weiteren Bildern von Eyjafjallajökull. Dass der Vulkan mittlerweile gerne mit Mordor aus Tolkiens "Herr der Ringe" in Verbindung gebracht wird, verwundert angesichts solcher Fotos kaum.
Stichwörter: Vulkane, Tolkien

NZZ, 20.04.2010

Ronald D. Gerste erinnert an den Ausbruch des indonesischen Vulkans Krakatau von 1883, der über dreißigtausend Menschen tötete, aber mit seiner 80 Kilometer hohen Aschewolke für "Sonnengänge und Farbpanoramen von nie geahnter Schönheit" sorgte. Mona Naggar erzählt von den schütteren Resten eines jüdischen Lebens im Libanon. Marion Löhndorf berichtet von den Höhen- und Tiefpunkten des britischen Wahlkampf.

Besprochen werden die Premiere von Verdis "Luisa Miller" am Opernhaus Zürich, Avishai Margalits bisher nur auf Englisch erschienener Schrift "On compromise and rotten compromises", Jachym Topols Roman "Die Teufelswerkstatt" und Alain Schnapps Archäologie-Geschichte "Die Entdeckung der Vergangenheit" (mehr ab 14 Uhr in unserer Bücherschau des Tages).

TAZ, 20.04.2010

Die in dieser Woche regierenden taz-Praktikanten greifen eine bei Wikileaks lancierte Information auf: "Die CIA hat eine PR-Strategie entwickelt, mit der die Unterstützung des Afghanistan-Einsatzes unter der deutschen und der französischen Bevölkerung verbessert werden soll. "

Im Kulturteil stellt Christoph Gurk die einzige irakische Heavy-Metal-Band Acrassicauda vor, die eine Platte herausgebracht hat. Silvia Hallensleben berichtet vom Internationalen Frauenfilmfestival in NRW, wo Schwulenfeindlichkeit in Osteuropa thematisiert wird. Pablo Abend schreibt über Für und Wider Google Street View. Marlene Halser besucht eine neu eröffnete Schauspielschule in Ramallah. Und Franziska Seyboldt unterhält sich mit der Berliner Schauspielschülerin Dorothee Krüger über die schwer zu bewältigende Dialektik von Kunst und Leben.

Und Tom.

Welt, 20.04.2010

Auf der Forumsseite verteidigt der Unternehmer und "Business Angel" Peter Jungen mit Verve den Kapitalismus und beklagt die Innovationsfeindlichkeit in Europa und speziell in Deutschland: "Die 'Global Entrepreneurship Monitor'-Studie sagt über Deutschland unter der Überschrift 'Nationale Besonderheiten', dass für die Deutschen die Folgen unternehmerischer Tätigkeit - Erfolg haben und reich werden oder Misserfolg haben und Konkurs machen -, dass diese beiden Folgen im Auge der Deutschen gleichermaßen negativ wahrgenommen werden: 'equally negative', dies Zitat werde ich nie vergessen. Das sagt doch viel aus!"

Im Feuilleton beweist der künftige Präsident der Humboldt-Uni, Jan-Hendrik Olbertz, im Interview mit Christina Weiss höchste Geschmeidigkeit was Freiheit, Karriere oder Kooperationen zwischen Universität und Wirtschaft angeht: "Man muss eine Win-win-Situation gestalten, nur so kann es sinnvoll sein." Hanns-Georg Rodek denkt über die Darstellung von Päpsten im Film nach - jetzt soll Michel Piccoli Johannes Paul II. spielen, unter der Regie von Nanni Moretti. Der Piranesi, den Walter Mixta als Stadtpfarrer mit Geld aus der Waisenkasse bezahlte, war ziemlich sicher gefälscht, berichtet Stefan Koldehoff. Rainer Moritz singt ein Loblied auf kleine Fußballspieler wie Messi, Litti und Maradona. Sven Felix Kellerhoff berichtet über einen Fund des amerikanischen Historikers Jeffrey Herf, der als verschollen geltende arabische Radiosendungen ausgrub, die zwischen 1939 und 1945 von Hitler-Deutschland aus in den Nahen Osten ausgestrahlt wurden (mehr in den Vierteljahresheften für Zeitgeschichte). Mh. meldet, dass die Ehefrau des Historikers Orlando Figes bei Amazon unter Pseudonym Werke von Konkurrenten verrissen hat (mehr dazu im Guardian).

Besprochen werden Inszenierungen politischer Theaterstücke auf Bühnen in Nordrhein-Westfalen und einige CDs.

FR, 20.04.2010

Christian Thomas plädiert gegen "fundamentalistische Wurstigkeit" und für einen realistischen Blick auf die Lage in Afghanistan und die Strategie der Taliban: "Zum Markenkern ihrer Politik aus Korruption, Ausbeutung, Unterdrückung, Willkür, Mord und Selbstmordattentat zählt eine globale Destabilisierungsstrategie. Wegen dieses Taliban-Universalismus fürchtet der Westen nicht von ungefähr einen Dominoeffekt. Zum Repertoire der psychologischen Kriegsführung der Taliban gehört die gezielte Verunsicherung. Im Fadenkreuz der Taliban-Strategie des Zweifels steht der Selbstzweifel des Westens. Angesichts der Parole 'Raus aus Afghanistan', ob sie nun kopflos, gut gemeint oder perfide kalkuliert ist, muss man darauf beharren, dass der Dominoeffekt in einer ohnehin instabilen Region in Kauf genommen wird."

Weiteres: Die Autorin Antje Ravic Strubel schickt einige Gedankensplitter aus Los Angeles, wo sie wegen des Flugverbots feststeckt. Judith von Sternburg fragt sich in Times mager, was sie einst dazu trieb, in Goethes "Wahlverwandtschaften den Satz "Meinem Pferde mag die Erholung zugut kommen" zu unterstreichen. Verärgert berichtet Jörg Biesler von einem Konvent der Baukultur in der Zeche Zollverein.

Besprochen werden Mary Rafters in Dublin aufgeführtes Dokumentarstück über Kindesmissbrauch "No Escape", Sophie Hungers neues Album "1983" und Thomas Gsellas Prosa "Blau unter Schwarzen" und Judith Butlers neues Buch "Raster des Krieges".

Tagesspiegel, 20.04.2010

"Man muss sich seiner Irrtümer nicht schämen, aber man sollte sich für sie interessieren", sagt Schriftsteller Peter Schneider in einem Interview, das Christiane Peitz zu seinem Siebzigsten mit ihm führt. Es geht um 68, das Ich in der Literatur, korrumpierte Erinnerung und Afghanistan: "Ich halte die Frage nach dem Sinn und Zweck eines Krieges, in dem eine Rebellenarmee von höchstens zwanzigtausend Taliban-Kämpfern das mächtigste Militärbündnis der Welt in Schach hält, für legitim und notwendig. Aber wer einen sofortigen Rückzug fordert, muss dann auch etwas zu dem Risiko sagen, dass die islamistischen Radikalen in Pakistan nach einem Triumph der Taliban Zugang zur Atombombe erhalten. Leider hat die Kanzlerin bisher nicht den Mut gefunden, den Deutschen zu erklären, warum Deutsche in Afghanistan kämpfen."

FAZ, 20.04.2010

Groß sind die Ausstellungen in Leipzig und München, zahlreich sind die Glückwünsche zum 50. Geburtstag des Malers Neo Rauch. Aber auch die kritischen Stimmen sind längst sehr vernehmlich. Werner Spies unternimmt es, den Künstler auf einer ganzen Seite gegen die Vereinfacher unter seinen Verächtern zu verteidigen: "Der weltweite Ruhm des Fünfzigjährigen ist inzwischen so angewachsen, dass er eine Heerschar von Neidern und Zweiflern hervorbringen musste. Doch kann man angesichts dieser verschlüsselten Fragebilder wirklich, wie es eine smarte und aggressive Vereinfachung versucht, von Realismus und von einer abgetanen Wiederkehr des Figurativen reden? Wo gibt es Werke, in denen ein derartig verblüffendes Freispiel der Themen und eine derartig beunruhigende Mischung aus Körpern und Accessoires zur Siedehitze gebracht würden?"

Weitere Artikel: In der Glosse erklärt Dieter Bartetzko in deutlichem Widerspruch zu Frank Schirrmachers gestrigem simulationsskeptischen Aufmacher, wie segensreich und prognostisch genau Simulationen gerade auf dem Gebiet des Vulkanausbruchs bereits funktioniert haben. Patrick Bahners porträtiert den nach 35 Jahren aus seinem Amt scheidenden US-Oberrichter John Paul Stevens. Oliver Jungen berichtet vom Kölner Frauenfilmfestival (Website). Sabine Frommel begutachtet skeptisch einen von Cy Twombly entworfenen blauen Deckenhimmel im Louvre. In osteuropäischen Zeitschriften erfährt Joseph Croitoru unter anderem, warum der Pole nie ein "homo sovieticus" gewesen ist. Gemeldet wird, dass das deutsche P.E.N.-Zentrum zu einer Unterschriftenaktion für die Schriftstellerin und Soziologin Pinar Selek aufgerufen hat.

Besprochen werden ein Konzert der Wild Beasts (Website) in Köln (Eric Pfeil ist sehr aus dem Häuschen: "Für Bands wie diese wurde einmal die Popmusik erfunden"), Günther Krämers und Gerd Albrechts Dresdner Produktion von Franz Schmidts Oper "Notre Dame" (Julia Spinola erlebt eine Art Wiederauferstehung des nicht zu Unrecht vergessenen Werks) und Bücher, darunter Louise Jacobs' Roman "Gesellschaftsspiele" (mehr dazu in der Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).

SZ, 20.04.2010

Als sehr deutschen Maler porträtiert Catrin Lorch den jetzt in Leipzig und München schon zum Fünfzigsten gut abgehangenen Neo Rauch: "Man kann von beiden Seiten Deutschlands auf diese Malerei schauen wie in einen gemeinsamen Spiegel, und vielleicht hat Neo Rauch nicht unbedingt zum Verstehen beigetragen, dafür aber das gegenseitige Befremden geeint."

Weitere Artikel: Henning Klüver berichtet, das Silvio Berlusconi Autoren wie Roberto Saviano angegriffen hat, die seiner Meinung nach durch ihre Bücher über die Mafia das Bild Italiens (und damit seiner selbst) beschädigen - Saviano denkt jetzt darüber nach, den Verlag zu wechseln, denn bisher erschienen seine Bücher bei Mondadori und Einaudi, die zum Berlusconi-Imperium gehören (hier Savianos offener Brief an Berlusconi). "Crab" kompiliert eine Recherche des Internetmagazins informationisbeautiful.net, das herausgefunden hat, wie oft ein Song bei Itunes heruntergeladen werden muss, damit der Musiker einen Mindestlohn erhält (als nächstes bitte dann eine Recherche über die Zahl der Zeilen, die man als Freier pro Monat in einer deutschen Zeitung schreiben müsste). Aus Anlass des hundertsten Todestages von Mark Twain schreibt Christopher Schmidt eine kleine Hommage auf Tom Sawyer und Huckleberry Finn. Henning Klüver wünscht sich, dass Giorgio Dirittis Film "L'uomo che verra" (Trailer) über das von deutschen Soldaten an italienischen Zivilisten verübte Massaker in Marzabotta auch ein deutsches Publikum findet ("Giorgio Diritti hat einen Film darüber gedreht, wie der Krieg in den Alltag der Menschen eindringt, ihre Häuser besetzt, ihre Gedanken beschwert und ihr Leben vergiftet").

Johannes Willms betrachtet ein jüngst aufgefundenes Foto Arthur Rimbauds (hier eine Seite von Liberation zum Thema mit mehreren Repros des Fotos). Kristina Maidt-Zinke weist auf eine Tournee finnischer Autoren durch deutsche Literaturhäuser hin. Alexander Menden kompiliert ohne Angabe von Quellen eine Geschichte des Guardian, der herausgefunden hat, dass die Frau des Historikers Orlando Figes, Stephanie Palmer, bei Amazon.co.uk Bücher von Konkurrenten ihres Mannes verriss (hier außerdem ein Blogeintrag von Dave Itzkoff von der New York Times zum Thema).

Eine Ausstellung der Totenmasken von Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe in Esslingen ist der SZ sogar eine Seite-3-Reportage wert.

Besprochen werden Klavierabende von Grigorij Sokolov und Ivo Pogorelich in München, eine Dramatisierung von Heinrich Bölls "Billard um halb zehn" in Köln, "Die lange Nacht der Autoren" am Deutschen Theater Berlin und Bücher, darunter die bei Matthes & Seitz herausgegebenen Tagebücher des Insektenforschers Jean-Henri Fabre.